Es war wie der erste kleine Schritt weg aus der größten Krise seiner bisher so erfolgreichen Karriere. Der Rückstand von nur knapp sechs Hundertstelsekunden gegen den in den letzten Rennen so unbezwingbar erscheinenden Lewis Hamilton zauberte Sebastian Vettel das erste Mal seit langem wieder ein Lächeln ins Gesicht, das nicht erzwungen war.
"Wir scheinen wieder zurück in der Spur zu sein", formulierte er seine Stellungnahme noch vorsichtig wie ein Ungläubiger, der nicht fassen will, was in den Wochen zuvor passiert war. Fakt ist: Sein Team hat den Ferrari wieder ausgepackt, mit dem sich der Heppenheimer bis zum GP in Singapur ein Kopf-ein-Kopf-Rennen mit Lewis Hamilton um den fünften Fahrertitel lieferte.
Ferrari
Umarmung nach dem Quali: Ferrari wieder besser
Vettel verriet ganz offen in der Pressekonferenz in Austin: "Wir sind mit unserem Auto bei wichtigen Teilen ziemlich weit zurückgegangen. Es scheint, als wäre das besser." Fakt ist: Auf den Geraden ist Ferrari in Austin plötzlich wieder fünf km/h schneller als Mercedes. In schnellen Kurven sind beide Renner auf Augenhöhe. Nur in langsamen Kurven hat Mercedes die Nase vorn.
Hintergrund: In Singapur brachte Ferrari neue Teile, die das Auto noch schneller machen sollten. Eigentlich nur kleine Modifikationen an Heckflügel, Unterboden und Leitblechen. Statt aber weiter auf der Überholspur zu fahren, bog Vettel damit in eine Sackgasse ein. Das Auto war sogar auf den Geraden langsamer als zuvor - das stellten selbst die Gegner mit ihren GPS-Analysen fest - es war auch schwieriger zu fahren. Konsequenz: "Ich musste mehr riskieren", gab der Deutsche das erste Mal nach dem Qualifying in Austin zu.
In der Tat: Sein missglücktes Überholmanöver gegen Max Verstappen in Suzuka spiegelt das ganze Dilemma am besten wieder. Denn: Seine Kollision in Japan brachte ihn nicht nur endgültig aus der WM-Spur - sie führte auch dazu, dass gewisse italienische Medien über ihn herfielen wie hungrige Piranhas. Aus dem einstigen Heilsbringer wurde plötzlich der Angeklagte, den sie an den Pranger stellten. Plötzlich hieß es sogar, Ferrari könnte ihn Ende 2019 vorzeitig auf die Straße setzen.
Vettel
Vettel verpasste die Pole in Austin nur knapp
Dabei ist Vettel mehr Opfer als Täter. Denn die voreilig gebrachten Teilchenbeschleuniger wurden deshalb zum Rohrkrepierer, weil im Team nach dem Tod von Ferrari-Präsident Sergio Marchionne, der konsequent die Richtung vorgab, das Chaos ausgebrochen war. "Es besteht kein Zweifel, dass das Team durch den plötzlichen Tod von Anführer Marchionne unter Schock stand", analysiert Ex-Ferrari-Genie Ross Brawn wegweisend.
Besonders Teamchef Maurizio Arrivabene nutzte das durch den Tod von Marchionne entstandene Machtvakuum, um seinen Kopf zu retten. Denn Marchionne hatte längst beschlossen, den ehemaligen Zigarettenmanager Ende 2018 auszutauschen und das Zepter Technikchef Mattia Binotto zu übergeben. Arrivabenes Feindbild war also klar: Der innovative aber öffentlichkeitsscheue Binotto, der bis zum Sommer federführend den Ferrari auf die Siegerspur gebracht hatte, musste geschwächt werden.
Die Folge: Im Team herrschte plötzlich nur noch Angst, Binotto vereinsamte und war demotiviert. In dieser Atmosphäre wurden die Updates für Singapur produziert. Das Ergebnis: Das "Arrivabene"-Auto funktionierte nicht, die Rückkehr zum "Binotto“-Renner - wie in Austin zu sehen - sehr wohl.
Räikkönen
Kimi Räikkönen ist am Start erster Hamilton-Jäger
Allein: Wahrscheinlich kommt das kleine Licht am Ende des (Wind)tunnels zu spät für Binotto. Arrivabene, so behauptet zumindest die ihm wohlgesonnene "Gazzetta dello Sport" rosarot gefärbt, soll noch einmal ein Jahr Gnadenfrist vom neuen Ferrari-Entscheider, Fiat-Erbe John Elkann, bekommen.
Es gibt aber noch eine andere Wahrheit als die rosarote: Der clevere Elkann hat sehr wohl seine Zweifel an Arrivabene und denkt über ein neues Konstrukt bei Ferrari nach. Demnach könnte es 2019 zwei Teamchefs bei Ferrari geben. Arrivabene und jemand, der Ruhe ins Team bringen soll. Offiziell soll dieser Jemand für die Finanzen zuständig sein und für die wichtigen politischen Verbindungen zur FIA und Formel-1-Vermarkter Liberty. Er soll dem anderen Teamchef den Rücken freihalten. Inoffiziell soll er ihn kontrollieren.

Von

Ralf Bach