Formel 1: Gerhard Berger im Interview
Ferrari wird Vettel gefallen

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Ex-Ferrari-Pilot Gerhard Berger spricht mit AUTO BILD MOTORSPORT exklusiv über Sebastian Vettels bevorstehenden Wechsel zur Scuderia nach Maranello.
Bild: Red Bull / Getty Images
Herr Berger, wie überrascht waren Sie vom Wechsel Sebastian Vettels zu Ferrari?
Gerhard Berger: Ich war schon überrascht. Ich habe es nicht gewusst und ich habe es zu dem Zeitpunkt auch nicht erwartet. Meiner Ansicht nach ist die Situation bei Ferrari im Moment etwas zu turbulent. Und ich hätte einfach nicht geglaubt, dass Vettel zu diesem Zeitpunkt so einen Wechsel durchzieht.
Können Sie den Wechsel dennoch verstehen?

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Im Sommer am Red-Bull-Ring durfte er Ihren Ferrari 88c testen. Haben Sie dort schon gewisse Emotionen bei Vettel gespürt?
Sebastian hat nie ein Geheimnis draus gemacht, dass er – wie alle Rennfahrer – Ferrari gerne auf seiner Visitenkarte stehen hätte. Und er hat jetzt zugeschlagen.
Was erwartet Vettel jetzt bei Ferrari?
Vettel ist ein cleverer Kerl. Der weiß, dass es nicht darum geht, seinen Speed zu Ferrari mitzubringen, den er zweifelsohne hat – den aber auch ein Alonso hat. Deshalb wird das nicht ausreichen. Er muss jetzt überlegen, wie er dem Team helfen kann, die Struktur zu verbessern, mit Leuten, mit Kompetenz, mit Knochenarbeit das Team nach vorne zu bringen. Die Mängel sind sicherlich auf der technischen Seite zu suchen, nicht auf der Fahrerseite.
Welche Prioritäten muss er da setzen?
Bis vor kurzer Zeit hat man immer wieder von der Aerodynamik gesprochen. Jetzt ist aber der Antriebsstrang der entscheidende Faktor. Da hat Ferrari Nachholbedarf und da wird Sebastian auch ansetzen müssen.
Wie viel Zeit sollte er sich geben?
Man sollte sich da keinen Zeitplan machen, sondern sich einfach reinschmeißen. Er hat diese Herausforderung gesucht und angenommen. Da muss er jetzt ohne Zeitplan einfach konsequent an der Aufgabe arbeiten und schauen, dass er möglichst viele Mitspieler findet, die den Speed, den er vorgeben muss, auch mittragen. Es geht jetzt darum mit frischem Wind, mit den Erkenntnissen aus der Red-Bull-Zeit Ferrari zu verbessern.
Kann Sebastian mit seinen 27 Jahren schon eine Führungsrolle einnehmen?

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Wie sehr erinnert Sie Vettels Wechsel an Michael Schumacher 1996?
Die Situation ist ähnlich. Der Unterschied liegt aber darin, dass Schumacher Jean Todt, Ross Brawn und Rory Byrne zur Seite hatte. Das waren die drei stärksten Spieler, die es zu der Zeit gegeben hat. So gesehen hat der Michael einerseits durch seine konsequente Arbeit und deutsche Gründlichkeit und seinen Speed die Kohlen aus dem Feuer geholt, aber seine Mannschaft war auch so kompetent wie er selbst.
Was ist es für ein Gefühl Ferrari-Fahrer zu sein?
Das ist etwas ganz besonderes, ein ganz eigenartiges emotionales Gefühl. Die Fans, das Umfeld, die Tradition, der Mythos. Ich bin überzeugt, es wird dem Sebastian gefallen. Im zweiten Schritt ist die Frage, ob der Erfolg eintritt oder nicht. Wenn nicht, dann fällt ihm das irgendwann auf den Kopf und dann schwenken die Gefühle ins Negative um. Wenn der Erfolg mit Ferrari kommt, ist es das Größte, was es in der Formel 1 gibt.
Wird sich Vettels Leben jetzt grundlegend ändern?

Berger war früher sogar mal Teamchef Vettels bei Toro Rosso - im Bild der Monza-Sieg 2008
Wird Sebastian Erfolg haben mit Ferrari?
50:50. Auch ein Alonso gehört zu den Besten im Geschäft und er ist kein Weltmeister geworden. Die Herausforderung, die Sebastian sich da jetzt aufhalst, ist eine der größten, die man in der Formel 1 haben kann.
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