Mercedes hatte gerade den ersten Konstrukteurstitel seiner Formel-1-Geschichte gewonnen und Lewis Hamilton seinen Vorsprung auf Nico Rosberg auf 17 Punkte ausgebaut. Doch der große Gewinner des Russland-GP war nur einer: Wladimir Putin. Der russische Präsident kam 71 Minuten nach Rennstart, sah sich den Endspurt von der eigens für ihn freigehaltenen VIP-Tribüne aus an und hatte dann seinen großen Auftritt auf dem Podium. Zunächst setzten die Kameras Putin im Raum vor der Podiumszeremonie in Szene. Anschließend übergab der Präsident gleich zwei Siegerpokale. Spätestens da war es passiert: Die Formel 1 hatte einem zumindest in den Nato-Staaten während der Ukrainekrise umstrittenen Staatsmann eine perfekte Bühne geboten.

Extrem strikte Vorschriften

Putin
Ließ es sich nicht nehmen, die Sieger auf dem Podium auszuzeichnen: Wladimir Putin
Das Thema war allgegenwärtig am Wochenende im Olympiapark an der Schwarzmeerküste. Sport und Politik sollten getrennt werden. So lautete die Standardantwort der Teamchefs auf kritische Fragen zur Formel 1 in Russland. Dass nicht jeder die Brisanz der Nutzung von Sport als Propagandainstrument verstand, zeigte Mercedes-Formel-1-Aufsichtsrat Niki Lauda. Der fragte auf RTL, warum nicht auch die anderen Strecken vor dem Start ihre Länder mit Flaggen und Folklore präsentieren. Lauda redete am Thema vorbei, als er feststellte: „Das war doch eine super Show!“ Damit diese perfekt in die Wohnzimmer auch der westlichen Staaten übertragen werden konnte, mussten Fahrer und Teams sich an Vorschriften halten, wie sie nie zuvor ausgegeben wurden.

Sport als Fenster zur Welt

So sollte die Nationalhymne vorm Start diesmal gefälligst respektiert werden, ließ Ecclestone nach AUTO-BILD-MOTORSPORT-Informationen die Verantwortlichen wissen. In Reih und Glied lauschten die Fahrer anschließend der Musik. Doch nicht alles war schlecht bei diesem Grand Prix auf dem Boden des Olympiageländes der Winterspiele 2014. „Bislang habe ich mit Russland immer nur Schnee, Wodka und schöne Frauen in Verbindung gebracht“, sagte WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton: „Diese Anlage hier öffnet mir die Augen. Wow!“ Und wieder hatte Putin einen schönen PR-Effekt erzielt. Für 240 Millionen Euro ließ der Präsident in seinem Lieblings-Ferienort am Schwarzen Meer vom deutschen Architekten Hermann Tilke eine imposante Anlage errichten. Getreu dem Motto: Der Sport als Fenster zur Welt, Teil zwei nach den Olympischen Winterspielen.

Ausverkaufte Tribünen

Ecclestone
Putin (li.) auf der VIP-Tribüne im engen Gespräch mit Formel-1-Boss Bernie Ecclestone (re.)
„Am Anfang waren die Fahrer noch kritisch“, so Tilke zu AUTO BILD MOTORSPORT, „weil sie die Strecke im Simulator als eher langweilig einstuften. Doch nach den ersten Runden in der Realität änderten sie ihre Meinung und spendeten nur Lob.“ Allein: Der extrem glatte Asphalt sorgte im Rennen für wenig Reifenabrieb und entsprechend wenig Action. Mit 60.000 Fans waren die Tribünen ausverkauft. Klar auch: Die Organisatoren machten den Europäern im Tross der Formel 1 das Leben so angenehm wie möglich. Bezahlbare Hotels bekamen interessierte Berichterstatter in Laufweite. Keine Selbstverständlichkeit im Wanderzirkus Formel 1. Und doch blieb da dieses omnipräsente Unwohlsein: Sicherheitskontrollen, breitschultrige Security-Beamte und wer Fanartikel kaufen wollte, kam an diesem Shirt nicht vorbei: Darauf war der Präsident im Rennanzug zu sehen. In Russland waren die Fahrer nur Nebendarsteller. Alles drehte sich um Wladimir Putin Superstar.

Von

Ralf Bach
Bianca Garloff