Kurz vorm Saisonstart der Formel 1 in Australien spricht der neue starke Mann im exklusiven AUTO BILD MOTORSPORT-Interview über seine Vision von der neuen Königsklasse.
Bild: Getty Images; Picture-Alliance
Herr Brawn, früher müssten Sie in Ihrem Job als technischer Direktor oder Teamchef bei Ferrari und Mercedes zu spannende Rennen verhindern. Heute ist Ihre Aufgabe die Formel 1 wieder spannend zu machen. Ein ziemlicher Gegensatz.
Ross Brawn: Das stimmt: Ich wurde vom Wilderer zum Wildhüter. Heute muss ich die Teams einbremsen, die zu gut sind. Ich muss mir Gedanken über den Effekt auf die Show, die Kosten, das Racing machen. Ich hoffe, dass ich schon bald in gewissen Arbeitsgruppen den Finger heben darf – und die Formel 1 als Mittler zwischen Teams, Rechteinhabern und FIA langsam in eine andere Richtung führe. Wir dürfen nichts überstürzen und brauchen einen guten Plan. Was wichtig ist: Die FIA muss Regelhüter bleiben. Sonst sind wir kein Sport mehr, sondern Wrestling.
Wie kamen Sie eigentlich zu dem Job?
Bernie ist ein ganz spezieller Typ. Er hat seinen eigenen Stil und die Formel 1 schuldet ihm viel. Aber er will alles alleine machen. Deshalb wäre meine Rolle unmöglich gewesen MIT Bernie. Als klar wurde, dass die Formel 1 ohne ihn weiter gehen würde, haben sie mich angerufen und sind auf offene Ohren gestoßen. Es war die einzige Position, an der ich in der Formel 1 Interesse hatte. Und ich wäre traurig gewesen, wenn der Sport die Chance gehabt hätte sich zu ändern - und ich nicht an Bord gewesen wäre.
Was sagt Ihre Frau dazu, dass Sie jetzt wieder in der Weltgeschichte unterwegs sind?
Für sie macht es keinen Unterschied. Sie hat sich schon beschwert, dass sie mich seltener sieht als zu meiner aktiven Zeit. Weil ich ständig unterwegs war: Angeln, Jagen oder andere Projekte. Interessant ist
aber: Außerhalb der Formel 1 verlangsamt sich das Leben. Ich habe jetzt ein wenig gebraucht, um wieder in den richtigen Formel-1-Rythmus zu kommen. Aber eins ist sicher: Alle Fische auf dieser Welt sind dankbar (lacht)
Sie waren einer der Hauptdarsteller der ruhmreichen Ferrari-Ära von 2000 bis 2005, als Michael Schumacher auch dank Ihnen alles in Grund und Boden fuhr. Damals boomte die Formel 1 trotz der Dominanz eines Mannes und Teams. Warum?
Weil Michael ein Held war. Er hat das rote Auto bewegt wie kein anderer zu seiner Zeit. Genau wie ein Senna, Mansell oder Prost. Diese Heldenverehrung wird heutzutage nicht mehr gefördert. Die Teams und Marken stehen über den Fahrern, die oft in ihrer Persönlichkeitsdarstellung eingebremst werden. Das Gute an den neuen Besitzern aus Amerika ist aber: Sie kommen aus einer Welt voller Stars und wollen diese Herangehensweise auch in der Formel 1 implementieren. Deshalb wurden jetzt auch die Regeln bezüglich social media gelockert. Fahrer und Teams dürfen nun auch aus dem Fahrerlager Bewegtbild posten. Michael, Senna und Co waren speziell. Aber solche Typen müssen dann eben auch gefördert werden. Früher reichten dafür das Fernsehen und Magazine. Heute muss man viel mehr tun, um Aufmerksamkeit zu schaffen – besonders bei der Jugend.
Haben wir denn noch solche Persönlichkeiten?
Das eine bedingt das andere. Wenn wir Helden fördern statt unterdrücken, können sie sich auch wieder entwickeln.
Und wie wollen Sie dann mit einem wie Sebastian Vettel umgehen, der ein Verweigerer der sozialen Medien ist?
Wenn er sich bei so was lieber zurückhalten will und es vorzieht ein Privatleben zu haben, ist das auch ok. Auch solche Typen brauchen wir. Wenn er mit einer ikonischen Marke wie Ferrari siegt, kommt die Heldenverehrung von ganz alleine. Weil Vettel ein guter, ehrlicher Typ ist und Führungsqualitäten besitzt, mit denen er Ferrari wie Michael zurück auf die Siegerstrasse führen kann. Ein anderes Beispiel ist Max Verstappen. Er ist eine Art Rebell und hat riesiges Potential ein Held zu sein.
Insbesondere in Europa, wo immer weniger Rennen stattfinden. Wie groß sind die Chancen, dass der Deutschland-GP wieder sicher ist?
Wir glauben an die altehrwürdigen Rennstrecken, insbesondere ich. Das macht den Wert der Serie aus. Wir brauchen das Erbe der Formel 1 und Deutschland gehört dazu. Deshalb finden bereits Diskussionen mit den Rennstrecken statt, um herauszufinden, wie wir besser zusammenarbeiten die Traditions-GP sichern können. Dazu gehört es auch die Zuschuerzahlen zu steigern. Das geht aber nur über billigere Tickets. Dafür habe ich noch kein Patentrezept. Fakt ist: Die Leute müssen mehr bekommen für ihr Geld. Deshalb wollen wir das Event verbessern.
Welche Support-Rennen werden gefahren?
Das ultimative Ziel ist Formel 1, Formel 2 und Formel 3 zusammen fahren zu lassen, dazu vielleicht noch eine spannende Sport- oder Tourenwagenserie – besonders in Europa. So dass wir jeden Tag Action auf der
Strecke haben. Dazu brauchen wir Konzerte, wie sie bei einigen Überseerennen schon Usus sind – mit berühmten Rock- und Popstars wie vor einigen Jahren Paul McCartney in Abu Dhabi. Das ist unsere erste Priorität – neben den Ticketpreisen natürlich.
Und lauteren Motoren?
Wir brauchen ein mittelfristiges Ziel bezüglich der Autos und Motoren. Insbesondere bei den Antrieben wollen wir mit den Teams und Herstellern über einen Fünfjahresplan sprechen. Das darf kein Projekt sein, das wir übers Knie brechen. Dieser Motor muss technisch relevant sein für die Hersteller, aber kostengünstiger für Kunden und aufregender für die Fans. Mein Traum ist, dass wir alle drei Ziele unter einen Hut bringen.
Wie konnte es passieren, dass ein Team wie Mercedes so dominiert?
(lacht, weil er den Erfolg als Teamchef eingeleitet hat). Mercedes ist ein starkes Team mit vielen Ressourcen und guten Fahrern. Ich habe immer noch das Gefühl, da siegen meine Jungs. Trotzdem habe ich beim Zuschauen gedacht: Wie schade, dass wir keinen richtigen Wettbewerb haben. Zum Glück war das Duell zwischen Nico und Lewis gut, aber erst der Kampf verschiedener Teams bringt Würze in unseren Sport. Mit zwei Fahrern im selben Team kannst du keine Strategiespielchen machen. Es fehlt also ein entscheidendes Element für die Spannung. Ich hoffe, dass sich das dieses Jahr ändert. Was nicht passieren darf: Dass die Dominanz nicht durch künstliches Einbremsen gebrochen wird. Formel 1 ist die ultimative Form des Wettbewerbs. Das einfachste wären Strafgewichte, wie in der DTM. Jemanden zu bestrafen, weil er gewonnen hat, liegt nicht in der DNA der Formel 1. Was wir aber tun können: Die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass alle Teams erfolgreich sein können. Durch eine Budgetgrenze zum Beispiel.
Glauben Sie wirklich, dass Red Bull und Ferrari Mercedes in diesem Jahr herausfordern können?
Das Problem ist: Ich sehe nicht, was sich geändert haben sollte. Die Regeln sind neu, aber auch so etwas favorisiert normalerweise die besten Teams. Es ist ja nicht nur der Motor. Es ist das ganze Auto.
Fehlt Rosberg als Weltmeister der Formel 1?
Sein Rücktritt war auch für mich ein Schock. ich war gerade zu Hause in meiner Werkstatt, als jemand reinkam und mich fragte, was ich von Nicos Rücktritt halte. Ich dachte erst, das sei ein Witz und konnte es nicht glauben. Ich kann ihn teilweise verstehen. Er hatte genug – und sein großes Ziel erreicht. Aber für die Formel 1 ist es natürlich schade.
Auch ein Hamilton, die größte Marke der Formel 1, wird nicht mehr ewig fahren.
Das stimmt. Wichtig ist aber, dass von unten neue Stars hochkommen. Und genau das sind wir bereit zu unterstützen. Zum Beispiel indem wir erfolgreichen Fahrern aus der Formel 2 den Aufstieg leichter machen. Da werden Sie bald einige Initiativen sehen.
Haben Sie Hamilton damals eigentlich zu Mercedes geholt – oder war das Niki Lauda?
Wir beide. Ich habe Lewis überzeugt zu kommen. Aber wir hatten ein Problem mit der Bezahlung. Und Niki hat dafür beim Vorstand eine Lösung gefunden.
Was war die schönste Zeit Ihrer Karriere - bis hierhin?
Ferrari war eine wundervolle Erfahrung. Das Besondere daran war, dass wir als Gruppe gegen alle Widerstände immer zusammengehalten haben. Damit meine ich Michael, Jean Todt, Rory Byrne, Stefano Domenicali und mich. Das war eine ganz besondere Zeit. Aber auch der Titel mit meinem eigenen Team. Die Geschichte hätte man besser nicht schreiben können.
Die größte Nachwuchshoffnung in Deutschland ist natürlich Mick Schumacher. Wie wäre das für Sie, wenn er es in Ihre Formel 1 schaffen würde?
Das wäre für mich natürlich mit sentimentalen Gefühlen verbunden. Wegen meiner Freundschaft zur Familie und meiner Geschichte mit Michael. Das wäre sehr speziell für mich. Micks Herausforderung ist aufgrund seines Namens sehr groß. Er ist ein liebenswerter Kerl und Michael und Corinna können stolz auf ihn und Gina Maria sein. Beide sind gut ausbalanciert und wohl erzogen. Aber Mick trägt mit dem Familiennamen einen schweren Rucksack spazieren. Wobei ich den Eindruck habe, dass er damit klarkommt. Er ist ein intelligenter junger Mann und weiß, welche Ziele er sich setzen kann.