Erst seit zwei Jahren ist Max Verstappen in der Formel 1. Und schon hat er mehr als 100 teils spektakuläre Überholmanöver gezeigt, alleine 78 in der Saison 2016 – das ist ein absoluter Rekord! Zuletzt überholte Sebastian Vettel 2012 immerhin 60 Konkurrenten. Vettel war aber auch 2016 beeindruckend: Nur einmal konnte der Deutsche überholt werden – natürlich von Max Verstappen im Regenrennen von Brasilien.
Für die Statistik, die seit 1983 von den Reifenherstellern erhoben wird, zählen nur Positionsveränderungen auf der Strecke. Ausgenommen sind der Start und die erste Runde, sowie Platzwechsel aufgrund von technischen Defekten. 886 Überholmanöver gab es demnach 2016, das wird nur von der Saison 2012 getoppt, mit 890 Manövern. Der Schnitt liegt bei 41,2 Manövern pro Rennen. Auch der absolute Überholrekord fiel 2016: Beim China-GP wurde 128 Mal überholt.
Interessant ist die Entwicklung. Schon von 1981 bis 1985 gab es pro Rennen rund 40 Positionsveränderungen. Es folgte ein konstanter Rückgang: 1992 gab es erstmals weniger als 30 Manöver  pro Rennen, 1994 erstmals weniger als 20, 1996 dann sogar nur noch 11,63. Der absolute Tiefpunkt: 2005 mit 10,74 Positionsveränderungen pro GP.
Es war die Zeit, in der viele Fans über mangelnde Überholmanöver klagten. Der Abtrieb stieg und die ausgefeilte Aerodynamik wurde anfällig für Luftverwirbelungen. Die technische Arbeitsgruppe der Formel 1 machte sich Gedanken, wie die F1-Flitzer künftig leichter überholt werden könnten. Erst schlug der Automobilweltverband FIA einen zweigeteilten Heckflügel vor. Doch die Teams blockten ab. Die Entscheidungsfindung dauerte wie immer lange – und sie ging in die falsche Richtung.

2005 der Tiefpunkt beim Überholen

Verstappen
1996 gab es die wenigsten Überholmanöver
Experten schlugen vor, den Weg zurück in Richtung der 80er Jahre zu gehen, als auf natürliche Art und Weise zahlreiche Überholmanöver zustande kamen. Das Erfolgsrezept: wenig Aerodynamik, stattdessen viel mechanischer Grip und vor allem viel Leistung. Die Turbo-Motoren in den 80er Jahren leisteten bis zu 1500 PS. Wegen der schwachen Aerodynamik konnten die Fahrer diese Leistung noch nicht einmal auf die Strecke bringen. Fahrfehler häuften sich.
Die Formel 1 ging einen anderen Weg: Es wurden künstliche Überholhilfen geschaffen. Pirelli sollte Rennreifen konstruieren, die schnell abbauen. Die dadurch erzeugten Geschwindigkeitsunterschiede sollten zu Positionsveränderungen führen. Fahrer mussten in einem Rennen zudem mit zwei verschiedenen Mischungen fahren. Auch das führte zu taktischen Unterschieden, die Überholmanöver brachten. Und dann wurde noch der DRS-Flügel eingeführt, der vom Hinterherfahrenden aufgeklappt werden kann, wenn er an einer bestimmten Stelle der Strecke innerhalb einer Sekunde am Gegner dran ist. Das erhöht den Topspeed und erleichtert das Überholen.
Die Folge: eine Inflation an Überholmanövern. 2011 wurden pro Rennen 60,63 Positionsveränderungen gezählt. Danach spielten sich die Teams auf die Neuerungen ein, Pirelli baute nicht mehr ganz so extrem verschleißende Pneus, die Zahl an Manövern sank wieder etwas. 2015 waren es nur noch 30,18 Platzverschiebungen pro Rennen. Dank der neuen Reifenregeln 2016, bei denen noch mehr Mischungen eingesetzt werden können, stieg die Zahl wieder auf 49,05 an.
Das sorgt auch für Negativ-Rekorde. Sauber-Pilot Marcus Ericsson wurde 80 Mal überholt, Jolyon Palmer 74, Pascal Wehrlein 70 Mal. Das Manor-Team wurde um 157 Plätze zurückgereicht – damit korrigierte man den eigenen Rekord aus der Saison 2012 (134) nach oben.
2017 wird das Überholen mit den breiteren Autos, breiteren Reifen und vor allem mit dem geplanten zusätzlichen aerodynamischen Abtrieb wieder schwieriger. Die Negativ-Rekorde werden aber wohl dennoch nicht angepeilt werden. Es gab drei Rennen, in denen die Positionen sich gar nicht veränderten: Auf den engen Straßen von Monaco 2003, beim Skandal-Rennen in Indianapolis 2005, bei dem nur sechs Fahrzeuge starteten, sowie beim Europa-GP 2009 auf dem Straßenkurs von Valencia. Die Saison 1996 brachte mit 186 Manövern die wenigsten Platzänderungen hervor.

Von

Michael Zeitler