Spricht man dieser Tage mit Jacques Villeneuve über die besten Überholmanöver seiner Karriere fällt in erster Linie ein Name: Michael Schumacher! Der Kanadier lacht im Gespräch mit AUTO BILD MOTORSPORT: „Drei meiner besten Überholmanöver hatte ich mit Michael – ausgerechnet mit Michael...“ Neben zwei Überholmanövern aus seiner IndyCar-Zeit und einem Manöver bei den NASCARS, zählt Villeneuve drei Überholvorgänge aus seiner F1-Karriere zu seinen persönlichen Top-6-Favoriten. Und alle drei fanden gegen Schumi statt! Eines war das wohl wichtigste seiner Karriere, machte es Villeneuve im legendären Finale von Jerez 1997 doch zum Weltmeister. Aber fast noch höher schätzt der Kanadier ein, was ein Jahr zuvor im Nachbarland Portugal geschah. „Estoril 1996!“ Zwei Worte, die Villeneuve bei ihrer Aussprache ein breites Grinsen auf die Lippen zaubern.

Mit Oval-Erfahrung außenherum

Schumacher & Villeneuve
Kurz vor dem waghalsigen Manöver: Villeneuve (hinten) jagt Schumi um den Kurs in Estoril
„Das war ein Oval-Manöver und eigentlich ging es gar nicht, schon gar nicht in der Formel 1. Solche Momente gab es damals nur noch sehr selten. Ich wusste aber, dass Nigel Mansell so etwas ein paar Jahre vorher mal gemacht hat, außenherum in Mexiko...“ Davon ließ sich Villeneuve bereits beim ersten Kennenlernen der Strecke in Estoril inspirieren. „Es war meine erste Formel-1-Saison und als wir zum Testen dorthin kam, sah ich diese Zielkurve. Sie war leicht überhöht, fast wie im Oval und das war ich ja aus Amerika gewöhnt. Damals versprach ich meinem Renningenieur Jock (Clear; d. Red.) und dem Team, dass ich im Rennen dort jemanden außenherum überhole. Als wir dann zum Grand Prix zurückkehrten, erinnerten mich alle an meine Worte und rissen ihre Witze. Ich solle ihnen sagen, in welcher Runde ich es versuche, damit sie mit dem Schubkarren an die Unfallstelle kommen können, um die Wrackteile aufzuklauben, die übrig geblieben sind!“
Das Estoril-Manöver im Video: Villeneuve überholt Schumi außenherum

Nicht zu viel nachdenken

Doch Villeneuve ließ seiner tollkühnen Ansage Taten folgen – und zwar gegen keinen Geringeren als Michael Schumacher. „Ich habe es im Rennen gegen ihn tatsächlich versucht. Es ergab sich einfach die Gelegenheit und meiner Meinung nach, war es der beste und auch leichteste Weg ihn zu überholen“, erinnert sich Villeneuve 18 Jahre später. Sein Rezept: Augen zu und durch! „Man muss in solchen Augenblicken an sich und die Chance glauben... und nicht zu viel darüber nachdenken. Sonst kapiert man, wie verrückt das eigentlich gerade ist und lässt es lieber sein“, lacht der Kanadier, der an jenem Tag in Portugal eine wertvolle Lektion lernte: „Der einzige Weg, wie man Michael überholen konnte, war es, ihn zu überraschen!“ Für Villeneuve hat das mehrere Male funktioniert. „Und das Gefühl dabei war immer herausragend. Michael hat das natürlich gehasst, weil er fair und geradeaus geschlagen wurde – zeitgleich hat es aber auch dafür gesorgt, dass er mich respektiert hat“, glaubt der Ex-Weltmeister.

Duelle haben immer Spaß gemacht

Schumacher & Villeneuve
Auf der Strecke große Rivalität, daneben eine Menge Respekt: Schumi & Villeneuve trinken einen zusammen
Das nächste Aufeinandertreffen der beiden Rivalen gab es in Hockenheim. „Damals kamen wir beide mit kalten Reifen aus der Box, trotzdem habe ich es gleich in der ersten Schikane versucht und bin überfallartig an ihm vorbei. Das hatte er nicht erwartet und so kam ich vorbei“, verrät Villeneuve, der anfügt: „Mit Michael haben mir die Duelle immer Spaß gemacht. Einige Leute wurden von ihm zwar in die Mauer geschickt. Bei meinen Kämpfen mit ihm hat es aber immer einen guten Ausgang für mich gehabt. Man musste nur wissen, wie man es angeht und ihn mit einem gut vorbereiteten Move überraschen.“ In diesem Wissen reiste der damalige Williams-Pilot 1997 auch zum letzten Lauf nach Jerez.

Showdown im spanischen Jerez

Schumacher war im Vorteil, ging mit einem Punkt Vorsprung ins WM-Finale. „Auf Grund dieser Ausgangslage war klar, dass Michael versuchen würde, mich rauszuhauen, wenn es zum direkten Duell kommt. Er wusste das, ich aber auch. Also habe ich mein Manöver die Runden davor genau vorbereitet“, so Villeneuve. „Ich hatte beobachtet, dass ich in dieser einen Kurve immer viel später bremste als er. Ich habe dann meinen Boxenstopp später eingelegt, um frischere Reifen zu haben. Am Eingang der Runde habe ich dann die Entscheidung getroffen: Das wird die Runde, in der ich ihn überhole - egal was auch passiert!“ Villeneuve: „In der Kurve auf die lange Geraden bin ich dann über das Limit und Extra-Risiko eingegangen, um besser heraus zu beschleunigen. Dabei kam ich sogar ein bisschen in den Sand und wenn ich dabei abgeflogen wäre, wäre es das gewesen. Aber ich musste überholen, sonst hätte ich die WM auch verloren.“

Gut vorbereitetes Manöver

Schumacher & Villeneuve
Legendäre WM-Entscheidung: Schumi macht in Jerez 1997 die Tür zu und kollidiert mit Villeneuve
Am Ende der Gegengeraden war es dann soweit. „Ich war 20 Meter hinter ihm, also eigentlich viel zu weit weg. Aber das war das Gute! Michael schaute in den Spiegel und sah, dass ich zu weit hinten bin. Also dachte er, es passiert nichts. Doch im nächsten Moment war ich dann schon neben ihm.“ Villeneuve ist sich sicher: „Hätte er mehr Zeit zum Überlegen gehabt, hätte er die Tür wohl nicht zugeschmissen. Doch er war überrascht und hat im Bruchteil einer Sekunde die falsche Entscheidung getroffen. Danach habe ich den Schlag der Kollision gespürt und Michael rutschte ins Kiesbett...“ Der Rest ist Geschichte: Villeneuve konnte das Rennen als Dritter beenden und krönte sich zum Weltmeister. Schumacher hingegen wurde von der FIA für den Rammstoß nachträglich disqualifiziert und bekam alle Punkte sowie den Vizetitel aberkannt.
Das Jerez-Manöver im Video: Schumi rammt Villeneuve

Von

Frederik Hackbarth
Ralf Bach