Auf dem Rechtsabbieger steht ein Fremdkörper. Stellen Sie sich folgende Szene vor: Im Hintergrund sind diese typisch bayerischen Häuser zu sehen mit ihren Wandmalereien. Die katholische Kirche mit ihren Zwiebeltürmchen. Das örtliche Kur-Café. Oberbayern wie aus dem Reisekatalog. Im Vordergrund aber, an der Ampelkreuzung, steht ein knallrotes Geschoss. Es blinkt rechts und zeigt damit an, dass es abbiegen möchte – und zwar in Richtung Kreiskrankenhaus, Chiemsee und Frauenklinik. Für den Betrachter sind die Bayern-Kulisse im Hintergrund und der rote Renner im Vordergrund nicht in Übereinstimmung zu bringen, wie ein Bild mit Fehlern. Für Christian Maier (40) aber ist es eine ganz normale Straßenszene.
Reynard 91F
Seine Formel (m)eins. Der Kfz-Meister aus Grassau fährt Deutschlands einzigen Formel-Renner mit Straßenzulassung. Inklusive TÜV-Plakette, Steuermarke, Nummernschild. Amtliches Kennzeichen: TS-A7. Das Fahrzeug ist ein echtes Rennauto mit rasanter Historie: Bis 1996 fuhr Motorsportler Maier damit in der Formel Ford, einer der ältesten deutschen Rennserien. Nick Heidfeld war einer seiner Konkurrenten. Als Maier den Rennsport an den Nagel hing und seine Werkstatt aufmachte, blieb das Rennauto übrig. "Ich hatte einen Interessenten, aber der Verkauf ist an 300 D-Mark gescheitert."

Christian Maier besorgte sich Gutachten um Gutachten um Gutachten

Reynard 91F
Viele Jahre lang hing der Wagen an der Decke, staubte ein, bis sein Besitzer plötzlich eine Eingebung hatte: "Eine Straßenzulassung für dieses Auto, warum soll das eigentlich nicht gehen?" "Es wird sehr aufwendig werden, und es wird sehr viel Geld kosten", warnte der Mann vom TÜV, fügte dann aber lächelnd hinzu: "Mei, dann probieren wir es halt." Christian Maier machte sich an die Arbeit. Ersetzte das 130-PS-Aggregat aus der Formel Ford durch den 204 PS starken Turbomotor des Opel Calibra. Baute bei dem normalerweise flügellosen Renner Front- und Heckflügel an, die als Stoßfänger dienen. Fügte die Rückleuchten eines Anhängers hinzu und einklappbare Scheinwerfer. Fertigte Radabdeckungen aus Kunststoff und setzte die Blinker darauf. Ergänzte das Cockpit um Handbremse, Hupe sowie Schalter für die Lichter. Und besorgte sich Gutachten um Gutachten um Gutachten. "Die Formalitäten sind es", sagt Maier, "die einen Umbau so teuer machen."

250 km/h erreicht der Flitzer

Summen will er zwar nicht nennen, aber der böse Blick seiner Ehefrau Doris (39) lässt einiges erahnen. Vier Jahre dauerte es, dann erhielt das feuerrote Spaßmobil die Zulassung. Die ersten Fahrten gingen nicht weit: "Das sind ja alles Leichtbauteile, am Anfang fliegt da schon mal etwas davon." Und wenn alles hielt, stoppte die Staatsmacht die Ausfahrt. Den ersten Polizeibericht hat Maier aufgehoben. O-Ton: "Auf der kurvigen Strecke konnte das Fahrzeug seine bessere Straßenlage gegenüber dem Streifenwagen ausspielen." 250 km/h erreicht der 525 Kilo leichte Flitzer, er springt und tanzt dabei und läuft jeder Spurrille hinterher. "Da wirken brutale Kräfte." Er hole den Rennwagen deshalb nur noch selten aus der Halle, erzählt Maier, er werde ja auch vernünftiger. Vernünftig? Bei dem Stichwort schaut Frau Maier ungläubig herüber. Und fängt schallend an zu lachen.

Von

Alex Cohrs