Fünf getunte 911 Turbo im Test
Aufgeblasen

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Porsche-Turbo-Tuning ist die Königsdisziplin der Veredler. AUTO BILD SPORTSCARS hat fünf aufgeblasene 911er getestet – und dabei einige Überraschungen erlebt.
Hiermit entschuldigen wir uns bei den Bewohnern des Örtchens Schweinsdorf bei Rothenburg. Dieses kurze Getöse am 19. April morgens um halb sieben: Das waren wir. Oder besser: Edo, Sportec, Speedart, Neuneffeff und Techart. Die fünf Burschen können ihr Temperament nicht immer zügeln. Und auf dem Weg zum Mess-Flughafen ist es passiert: Edo gibt Gas, keiner will zurückstecken. Und ruck-zuck blasen fünf hochpotente Auspuffanlagen zum Halali. Wir waren gespannt: Wer wird beim Messen der Beschleunigung, unserer ersten Disziplin, die Nase vorn haben? Immerhin reicht die Bandbreite der fünf properen Blasebalge von 530 bis 630 PS. Und auch die Art der Leistungssteigerung geht von der reinen Modifikation von Motorsteuerung respektive Ladedruck und Abgasanlage (Speedart) über den zusätzlichen Einsatz von Sportladeluftkühler (Edo) und größerer VTGLader (Sportec, Techart) bis hin zum Austausch von Pleueln und Nockenwellen (9ff). Logisch, dass sich der Aufwand auch finanziell niederschlägt: 50 Mehr-PS zum Serien-Turbo bekommt man im Speedart für 8306 Euro, Edo nimmt 26.950 Euro (inklusive Sportladeluftkühler) für 70, Sportec lässt sich 100 Zusatzpferde mit 28.276 Euro bezahlen, Techart macht dies für 26.000 Euro (inkl. Auspuff). Und schließlich verlangt 9ff für das 150-PS-Pushup 32.011 Euro.
Trotz der Leistungsunterschiede fast auf Augenhöhe

Mit lautem Getöse brettert Testfahrer Sebastian Schneider die Startbahn auf und ab. Der 9ff klingt bei offener Klappe wie ein Rennwagen, der Sportec jagt ein Donnergrollen über den Flugplatz, der Edo kreischt wie eine Turbine, der Speedart mag's recht dumpf; nur der Techart lässt einen gewissen Versuch erkennen, ein sattes Auspuffgeräusch mit gerade noch verträglicher Lautstärke zu verbinden. Es grenzt an ein Wunder, dass die bei Edo, 9ff, Speedart und Sportec eingebauten Klappenauspuffanlagen den Segen des TÜVs erhalten haben.
Beim Bremsen stoßen die fünf Turbos an ihre Grenzen



Im Alltagsbetrieb sind die Wagen durchaus schwierig
Der Speedart kommt auch beim Fahrwerk mit den geringsten Modifikationen aus, was eindeutig kein Nachteil ist. Sein Sportfedernsatz harmoniert gut auf schnellen Autobahnpassagen, ist nicht nervös an der Vorderachse und bietet bei aller Straffheit noch angenehmen Restkomfort. Probleme bereitete allerdings der Spoiler, der zwischen 160 und 180 km/h heftigst wackelte und zweimal getauscht werden musste. Für Abhilfe sorgte erst die Rückrüstung auf den serienmäßigen Heckflügel. Wie ein Schweizer Uhrwerk marschiert der Sportec zwar nicht ganz, bietet aber sehr druckvolle Beschleunigung und ein interessantes Ladergeräusch. Der Auspuffsound kommt als schöner, tiefer Akkord, die Lautstärke kann aber auf langen Strecken nerven. Ebenso die lauten Windgeräusche und Vibrationen des großen, starren Heckspoilers. Unser Testwagen überraschte zudem mit plötzlichen Laderaussetzern unter Volllast und häufigen Fehlermeldungen des Bordcomputers.
Für die Rennstrecke abgestimmt, macht das aufwendige Fahrwerk des Edo (Dämpfung in Zug und Druck verstellbar, Nadelventile) auf der Autobahn einen zu nervösen Eindruck. Bei kurzen Stößen quietscht das Edo-KW-Competition-Fahrwerk zudem wie ein altes Sofa, bietet aber höchste Lenkpräzision. Insgesamt ist der Edo für den Alltagsbetrieb zu hart, zudem nervt der Auspuff enorm mit unangenehmen Frequenzen. Noch ein Stück brutaler nimmt der 9ff seine (wegen der ausgebauten Rückbank maximal) zwei Insassen ran. Fahrkomfort bietet das kompromisslos auf Rundkurse getrimmte, in Zug- und Druckstufe verstellbare Rennfahrwerk mit progressiven Rennfedern des 9ff nicht. Dafür ist die Geräuschkulisse mit Pfeifen, Rasseln, Zischen und Schnorcheln die interessanteste - allerdings ist die Lautstärke nicht mehr akzeptabel. Auf schlechteren Straßen ist der 9ff sehr nervös, ebenso auf welligen oder stößigen Autobahnen. Für den Alltag zu extrem, aber insgesamt sehr spaßig. Daraus ergibt sich für die Alltagstauglichkeit: 1. Techart, 2. Speedart, 3. Sportec, 4. Edo, 5. 9ff.
Auf dem Nürburgring zeigen die Turbos ihre Stärken
Doch die Königsdisziplin steht noch aus: Die Rennstrecke. SPORTSCARS-Testfahrer Dierk Möller-Sonntag ist das untrügliche Messinstrument, wenn es darum geht, das Zusammenspiel aller Komponenten zu beurteilen. Und immer wieder für Überraschungen gut. Zunächst prügelt er den Edo Shark GT um den Kurs. "Perfektes Rennfahrwerk, hat den meisten Grip an der Vorderachse, lenkt am präzisesten ein und bietet die beste Rückmeldung", so sein Urteil. 1:39,03 Minuten braucht er für die Kurzanbindung des Nürburgrings. Etwas relativiert wird der sehr gute Eindruck des Edo allerdings, da er als Einziger mit stark negativem, nicht alltagstauglichem Sturz perfekt für die Rennstrecke abgestimmt war. Als Nächstes ist der schnelle Sportec an der Reihe. "Weniger Gefühl im Lenkrad beim Einlenken, und ein sehr giftiges Fahrverhalten. Im Grenzbereich muss man nach dem Einlenken sofort Gegenlenken, weil der Sportec stark übersteuert." Das Ergebnis: 1:39,17 Minuten für den Schweizer.
Gespannt sind wir auf den kompromisslosen 9ff. Er lenkt zwar nicht so messerscharf ein wie der Edo, bietet aber auch eine sehr gute Rückmeldung. Sein Problem: Durch die sehr starke Dämpfung verlieren die Vorderräder beim harten Anbremsen den Bodenkontakt. Das kostet trotz der gut dosierbaren Bremsen Zeit: Nach 1:40,14 Minuten bleibt die Uhr stehen. Der Techart lässt vor allem durch das verzögerte Einlenken und die wenig ausgeprägte Rückmeldung in der Lenkung den letzten Tick Sportlichkeit vermissen. 1:40,30 min für den unproblematischen, aber etwas trägen Techart. Und dann die Überraschung: Mit 1:38,53 Minuten fährt der Speedart Bestzeit. "Er liegt sehr gut und ruhig, zeigt keine Lastwechsel, ist im Grenzbereich sehr gutmütig und hat sehr viel Grip an der Vorderachse." Weniger kann manchmal mehr sein. Den gesamten Vergleich mit allen technischen Daten können Sie hier als PDF herunterladen.
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