Weil Politiker patzen: Schlampig gemachte Gesetzte scheitern am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Karlsruhe kämpft für mehr Freiheit des Einzelnen, Politiker für mehr Sicherheit.
Wenn Verfassungsrichter stinksauer sind, hört sich das so an: "Die beanstandeten Regelungen genügen nicht dem Gebot der Normenbestimmtheit und -klarheit, da sie weder den Anlass noch den Ermittlungszweck benennen, dem die Erhebung und der Abgleich der Daten dienen soll." Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgerich (BVerfG) die Gesetze aus Hessen und Schleswig-Holstein zur automatischen Erfassung von Kennzeichen gekippt. Niemand könne den Regelwerken Sinn und Zweck entnehmen. "Sie erfüllen nicht mal den Mindeststandard des Bestimmtheitsgebots", sagt ein Karlsruher Insider. Das Gleiche gelte für das kurz vorher ebenfalls für nichtig erklärte Regelwerk aus Nordrhein-Westfalen zur Online-Durchsuchung. Die Vorschriften seien für einen demokratischen Rechtsstaat viel zu schwammig formuliert worden.
Ebenfalls auf dem Prüfstand: die Pendlerpauschale. Sie könnte gegen den im Grundgesetz verbrieften allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Und die Plakettenverordung ist zwar noch lange nicht in Karlsruhe angekommen, wirft bei Juristen aber schon jetzt die Frage auf: Ist es gerecht, dass sich alle Autofahrer wegen ein paar Stinkern mit viel Aufwand eine Plakette besorgen müssen, um in der Umweltzone fahren zu dürfen? Wie oft unter Juristen stellt sich die Frage nach Vorsatz oder Fahrlässigkeit: Gehen Politiker bewusst an die Grenzen des Rechtsstaats, oder machen gut alimentierte Juristen in den Ministerien zu viele törichte Fehler? Der hessische Datenschutzbeauftragte und Verfassungsrechtler Michael Ronellenfitsch sagt, seine Anregungen zum gerade gescheiterten Gesetz zur Kennzeichenerfassung seien "auf taube Ohren gestoßen".
Politiker von rechtlichen Bedenken zu überzeugen, sei "manchmal unmöglich". In der Nummernschild-Entscheidung habe das BVerfG "dem Gesetzgeber Nachhilfestunden geben müssen", wie ein Gesetz gestaltet wird. Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) weist den Vorwurf von sich, Grenzen auszuloten: "Es geht darum, einen vernünftigen Weg zu finden zwischen der Freiheit und der Sicherheit für die Bürger", so der Minister. Auch das Bundesjustizministerium wehrt sich gegen den Vorwurf, schlampig zu arbeiten. "Das wird der Art, wie Bundesgesetze entstehen, nicht gerecht", erklärt ein Sprecher. Neben dem Justizressort prüfe jedes Ministerium seine Gesetzentwürfe sehr sorgfältig. Erst kürzlich wurde dieser Paragrafen-TÜV fündig: Ein Regelwerk, das dem Bundeskriminalamt umfassende Befugnisse bei Online-Durchsuchungen gestatten sollte, wird gerade nachgebessert. Politisch lassen die Meinungsverschiedenheiten zwischen Gesetzgebern und Richtern zwei Lager erkennen: Karlsruhe kämpft für mehr Freiheit des Einzelnen, Politiker dagegen für mehr Sicherheit.