Sie wussten bei Ferrari nicht, ob sie lachen oder weinen sollten. Denn eine Boxenstopp-Panne und ein Fahrfehler haben Michael Schumacher im Formel-1-Titelrennen 2006 gegen den Weltmeister Fernando Alonso wieder zurückgeworfen. Die Nummer eins der "Roten" belegte beim Großen Preis der Türkei in Istanbul hinter dem "falschen" Ferrari-Sieger, Felipe Massa, der zum ersten Grand-Prix-Erfolg seiner Karriere raste, und Alonso nur Platz drei. Somit hat die beherzte Aufholjagd des Rekordweltmeisters einen empfindlichen Dämpfer erlitten. Schumacher liegt nun in der WM-Wertung zwölf Zähler hinter Alonso und kann nicht mehr aus eigener Kraft Weltmeister werden.

Vier Rennen stehen noch aus. Dem Spanier würden jeweils zweite Plätze zur erfolgreichen Titelverteidigung reichen. Die nüchternen Zahlen werden dem fesselnden Finale in keiner Weise gerecht. Wie zwei Boxer belauerten sich Alonso und Schumacher nach dem zweiten Boxenstopp, 15 Runden, so lange wie früher ein Schwergewichtskampf dauerte. Zwei Mal schien es so, als könne Schumacher seinen Vordermann überrumpeln, aber Alonso wehrte die Angriffe kühl ab. Auf dem Zielstrich fehlte dem Deutschen vielleicht eine dreiviertel Wagenlänge, nach gut 309 Kilometern ganze acht Hundertstelsekunden.

Fünfeinhalb Sekunden vorher wurde Felipe Massa als Sieger abgewinkt, dem Brasilianer gelang sein erster Grand-Prix-Sieg – wie drei Wochen zuvor schon Jenson Button in Ungarn. Die Musik aber spielte dahinter. Der Große Preis der Türkei hatte zwar nicht annähernd so viele Überholmanöver zu bieten wie die 76 Positionswechsel beim Regenrennen in Ungarn, die Spannung bezog er aus dem dramatischen Duell Ferrari gegen Alonso – Renault-Teamkollege Giancarlo Fisichella war nach einer Kollision gleich nach dem Start aus dem Geschäft und wurde Sechster.

Spannender Dreikampf zwischen Massa, Schumacher und Alonso. Am Ende hatte der Brasilianer die Nase vorn.
Die Niederlage brach überraschend und brutal über Schumacher herein. "Das Ergebnis ist eine Katastrophe für Michael. Jetzt muss er auf Ausfälle von Alonso hoffen", sagte der frühere Weltmeister Niki Lauda. Renault-Teamchef Flavio Briatore frohlockte: "Dieser zweite Platz ist für uns wie ein Sieg." Der Ferrari lieferte das gesamte Wochenende deutlich bessere Zeiten als der Renault ab. Die Hierarchien drückten sich schon in der Qualifikation aus. Zwei rote Boliden standen in der ersten Startreihe.

Dass am Ende der falsche Ferrari vorn blieb, lag an zwei verhängnisvollen Fehlern. Einmal patzte Schumacher, einmal schätzte der sonst so kühl und souverän agierenden Kommandostand der Roten die Situation falsch ein. Als Vitantonio Liuzzi mit seinem defekten Red Bull die Piste blockierte, rückte in Runde 14 das Safetycar aus. Anstatt zunächst Schumacher an die Box zu beordern, wurden sofort beide Ferrari auf einmal zum Tanken einbestellt. Der Führende Massa und zeitgleich der zweitplatzierte Schumacher. Vertauschte Rollen: Der WM-Aspirant musste solange hinter dem vermeintlichen Schattenmann warten, bis dieser abgefertigt worden war.

Alonso, der zwei Garagen weiter vorn stand, sprengte nach seinem Tankstopp das Ferrari-Duo. "Wir wollten das Rennen von Felipe nicht zerstören. Da haben wir in Kauf genommen, dass Michael benachteiligt wird", rechtfertigte sich Ferrari-Technikchef Ross Brawn. Schumacher wunderte sich nach dem Rennen: "Diese Entscheidung muss ich noch mal in Ruhe analysieren."

Die Zuschauer in Istanbul sahen ein extrem spannendes Rennen. Schon beim Start gab es hitzige Positionskämpfe.
Zurück auf der Strecke, riskierte Schumacher viel. Zu viel. Er fuhr aggressiv, doch mit gut gefülltem Tank litten vor allem die Hinterreifen. Sie warfen Blasen, "das Auto war sehr unruhig", bestätigte Schumacher. Er kam vom Kurs ab. Sein Ausflug in die Auslaufzone kostete ihn vier Sekunden. "Da habe ich das Rennen verloren", schwante es ihm hinterher.

Er fiel knapp neun Sekunden hinter Alonso zurück, schob sich zwar wieder heran, bog aber nach seinem zweiten Tankstopp 15 Runden vor Schluss eine Sekunde nach Alonso auf die Piste ein – die Entscheidung. "Es ist sehr schwierig auf diesem Kurs zu überholen", entschuldigte sich Schumacher. "Ich habe alles versucht, leider hat es nicht gereicht." Alonso machte sich derweil keinerlei Illusionen. "Wir haben Glück gehabt mit dem Safetycar. Das war der Schlüssel für meinen zweiten Platz. Das war das Maximale, was wir heute herausholen konnten."