Die voll elektrische Harley-Davidson Livewire widerspricht allem, wofür die Marke Harley-Davidson bisher steht. Sie ist kein schweres Cruiser-Eisen – und sie summt, anstatt sonor zu knattern. AUTO BILD ist die Livewire gefahren, um herauszufinden, ob das noch eine richtige Harley ist!

Das ist die Harley-Davidson Livewire

Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
Harley-Davidson will mit der hippen Livewire ein jüngeres Publikum begeistern.
Optisch ist die Livewire eine moderne Version der klassischen Harley-Modelle. Im Mittelpunkt steht wie gehabt der Motor – nur dass durch dessen Leitungen kein Benzin, sondern Strom fließt. Unter dem schick designten Tankkdeckel verbirgt sich die Ladebuchse. An einer haushaltsüblichen Steckdose tankt die Livewire pro Stunde gut 21 Kilometer Reichweite, an einer Schnellladesäule sind die Stromspeicher innerhalb einer Stunde zu 100 Prozent aufgetankt. Einstellbare Fahrwerkskomponenten sind Standard, und mit dem Start bringt Harley-Davidson gleich ein umfangreiches Zubehörprogramm auf den Markt, beispielsweise eine niedrigere Sitzbank oder Carbonteile.
Harley will sich mit der Livewire für die Zukunft rüsten – denn die Firma hat ein Imageproblem. Die Käufer werden älter, die Produktpalette wirkt auf Jüngere angestaubt. Mit dem Schritt in Richtung Elektro sollen sich neue, jüngere Kunden aus dem urbanen Raum für die Marke begeistern, denen die Maschinen mit ihrem Bollersound bislang zu laut waren. Deshalb entsteht unterhalb der Livewire eine ganze Palette an elektrischen Maschinen – die klassischen Bikes mit Verbrennungsmotor soll es aber weiterhin geben.
Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
Die Livewire ist voll vernetzt: Sie sendet sogar Push-Nachrichten aufs Smartphone.
Passend für eine jüngere Kundschaft ist die Livewire dank LTE-Modul voll vernetzt: Per App kann man Status und Standort des Bikes prüfen, den Ladevorgang überwachen und bekommt eine Push-Nachricht aufs Handy, falls sich jemand unerlaubt am Motorrad zu schaffen macht. Per Bluetooth kann man Musik und Navi-Befehle übertragen – die Infos werden auf dem 4,3 Zoll großen Touchdisplay angezeigt. Während der Fahrt kann man mit zwei Joysticks die wichtigsten Funktionen steuern.

So fährt die Harley-Davidson Livewire

Unglaublich stark! Zwar hört man beim Start nicht das klassische Auspuff-Brüllen, dafür geht nach Drücken des Startknopfs ein ganz leichtes, rhythmisches Pulsieren durch die Maschine, ähnlich wie ein Herzschlag. Das spürt man auch, wenn man an der Ampel oder am Straßenrand stehen bleibt. Erzeugt wird das durch den Zahnriemen, der Motor und Hinterrad verbindet.
Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
In rund drei Sekunden spurtet die Livewire aus dem Stand auf hundert Sachen.
Die Livewire ist zum Durchstarten bereit! Das Kuppeln und Schalten fällt weg – einfach am rechten Handgriff drehen, und los geht's: ideal für Anfänger und Wiedereinsteiger. 106 PS und 117 Newtonmeter Drehmoment  schnipsen Maschine und Fahrer in knapp über drei Sekunden von 0 auf 100 km/h – ohne Zugkraftunterbrechung! Da ziehen sich die Mundwinkel im Fahrtwind von ganz alleine nach hinten. Höchstgeschwindigkeit laut Harley: 178 km/h. Vier voreingestellte und drei programmierbare Fahrmodi machen die Livewire für jeden Fahrertypen beherrschbar, für Sicherheit sorgen Assistenten wie Kurven-ABS und Überschlagsvermeidung. Die Stärke der Rekuperation kann man einstellen – ist sie hoch, braucht man kaum noch die Bremse zu benutzen.
Trotz fast 250 Kilo Gewicht fühlt sich die E-Harley beim Fahren leicht an, der niedrige Schwerpunkt lässt sie satt auf der Straße liegen und sehr neutral durch Kurven fahren. Wer klassische Maschinen gewohnt ist, muss sich etwas umstellen: Auskuppeln in Kurven ist eben nicht möglich, man muss also andere Tricks finden, um den Winkel genau zu treffen. Und der Sound? Durch den Zahnriemen zwischen Motor und Hinterrad entsteht ein sehr markanter Klang, der an einen Düsenjet erinnert. Sicher nichts für Harley-Puristen mit Hang zum Blubbersound, aber ziemlich eigenständig und cool!
Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
In der Stadt soll die Livewire bis zu 235 Kilometer Reichweite schaffen.
Die Reichweite gibt Harley-Davidson mit mindestens 153 Kilometern im Stop-and-go-Highway-Zyklus an. Wer sie in der Stadt fährt, schafft bis zu 235 Kilometer. Das reicht für die meisten üblichen Strecken. Kleine Schwächen gibt es bei der Anordnung der Bedienelemente: Die Knöpfe für die Blinker sind einzeln auf der jeweiligen Lenkerseite angeordnet – beim Rechtsabbiegen muss man den Daumen ziemlich strecken, um den Blinker zu setzen. Das gilt auch für den Fahrmodi-Schalter, der direkt daneben sitzt und den man besser nur bei stehender Maschine benutzt, weil man ihn häufig nicht trifft oder aus Versehen gleich mehrere Fahrmodi überspringt. Ablenkungsgefahr!

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Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
Harley-Davidson LiveWire: E-Motorrad im Test
Kamera
Harley-Davidson Livewire im Test

Das kostet die Harley-Davidson Livewire

Wenn schon Antrieb und Sound für eine Harley ungewohnt sind, dann gilt das zumindest nicht fürs Preisniveau: Die Livewire ist für mindestens 32.995 Euro zuzüglich 560 Euro Transport- und Aufbaupauschale zu haben.
Fazit von Christopher Clausen: Die Livewire polarisiert, sie ist aber ein ausgereiftes E-Motorrad mit tollen Fahreigenschaften und guter Technik. Sicher wird sie Motorsound-Enthusiasten nicht begeistern können – aber sie macht den Weg frei für weitere Elektro-Maschinen. Eine echte Neuinterpration der Marke fürs 21. Jahrhundert!

Von

Christopher Clausen