"Automobiler Held"

Helden haben Hochkonjunktur. Zumindest in den USA und insbesondere, wenn sie siegreich aus Einsätzen hervorgehen, wie in den neunziger Jahren der breitbeinige Militär-Geländewagen "Humvee". Wie einst der Ur-Jeep, Willys genannt, die Invasion amerikanischer Truppen in der Normandie unterstützte, rückt 50 Jahre später der für die US-Streitkräfte gefertigte Hummer im Kampf gegen irakische Truppen ins Rampenlicht. Die erfolgreiche Militäraktion "Desert Storm" hebt das Schalentier aufs Siegertreppchen der amerikanischen Erfolgsgesellschaft. Spontan ordert Arnold Schwarzenegger einen Hummer und bringt den Stein ins Rollen. Inzwischen zählen weiße oder schwarze und sogar auf über sieben Meter verlängerte Versionen des Hummer H1 zu den stärksten Ausdrucksmitteln patriotischer Gesinnung.

Vor zwei Jahren beschließt General Motors, den bereits rollenden Zug zu beschleunigen, der den Markennamen Hummer trägt. Dazu kauft sich GM bei AM General ein. Weil die Strategen erkannt haben: Völlig ohne Werbemittel hat sich in den Köpfen der Geländewagen-besessenen Amerikaner ein starker Markenname installiert. Doch um das Hummer-Phänomen analog zum Erfolgsrezept der Marke Jeep weiter anzuheizen, bedarf es einer Modellstrategie für mehrere Baureihen sowie der Prozess-Sicherung durch erfahrene Produktionsfachleute.

Dank einer "Work Force" genannten Mannschaft aus geliehenen Entwicklungsingenieuren ist die zweite Modellreihe Hummer H2 einschließlich ihrer Produktionsstätte nach nur 16 Monaten fertig. Die ersten "Baby-Hummer" aus South Bend/Indiana, unweit von Chicago, entstehen Tür an Tür mit den Produktionshallen des Humvee (Militärversion) und Hummer H1 (Zivilversion). Seine Komponenten basieren größtenteils auf der 800er-GM- Baureihe. Die technische Verwandschaft zum Chevrolet Tahoe – dessen Radstand er um 18 cm überragt – ist groß. Die moderne H2-Fertigung orientiert sich an den schlanken Prozessen des Opel-Werks Eisenach. Die Kapazitätgrenze von 40.000 Einheiten jährlich bestätigt die Vermutung, dass weitere Varianten folgen.

Pick-up-Version kommt 2003

Der erste öffentliche Auftritt im knapp über zwei Meter hohen, 4,82 Meter langen und 2,06 Meter breiten Hummer H2 auf gewaltigen 315/70 R 17-Reifen auf nordamerikanischen Straßen könnte in Begleitung von Arnold Schwarzenegger nicht spektakulärer ausfallen: Wo immer der Geländeriese im Rückspiegel auftaucht, gibt der Vorausfahrende die Überholspur frei – aus Respekt und Neugierde gegenüber einer Fahrzeugfront, die nach dem berühmten Vorbild in Uniform gemeißelt ist. Und wenn in Städten viele Passanten mit erhobenem Daumen Spalier stehen, gleicht die Fahrt im H2 einer Parade für den Nationalgeist Nordamerikas.

Gemessen an Auftritt und Größe verniedlicht der Begriff "Baby-Hummer" den H2 in spöttischer Weise. Denn wo 2909 Kilo automobile Gewichtigkeit auftreten, bleibt kein Stein auf dem anderen. Von einem vollbeladenen H2 mit nahezu vier Tonnen ganz zu schweigen. Allein sein 6,0-l-V8-Motor mit 316 PS bei 5200 U/min altert das vermeintliche Baby zum muskelbepackten Kerl. Dessen Kraft man allerdings nur beim Beschleunigen aus dem Drehzahlkeller eindrucksvoll spürt, etwa im Sprint von null auf 100 km/h in unter elf Sekunden. Überholvorgänge auf Landstraßen dagegen werden von heftigem Zurückschalten der Viergang-Automatik eingeleitet und hohem Drehzahl- und Geräuschniveau begleitet. Und man lernt: der Hummer H2 glänzt im fließenden Verkehr durch seine leichtgängige, aber zielgenaue Lenkung, mit gutem Fahrkomfort dank 3,12-Meter-Radstand und ungewöhnlich hoher Wertanmutung im Interieur.

Abseits befestigter Straßen zeichnen das Karosseriedesign mit extrem kurzen Überhängen und die technische Ausrüstung für seine beachtliche Geländegängigkeit verantwortlich. Neben dem permanenten Allradantrieb, Untersetzungsgetriebe und elektronisch geregelter Traktionskontrolle erweitern zwei sperrbare Differenziale, 25,5 Zentimeter Bodenfreiheit, 40 Grad Böschungswinkel vorn und hinten den Aktionsraum im Gelände. Optional wird eine Luftfederung der Hinterachse angeboten, die dort zwölf Millimeter mehr Bodenfreiheit bietet. Bereits im nächsten Jahr stellt GM dem 48.065 Dollar teuren H2 SUV die viertürige Pick-up-Version SUT ("Sports Utility Truck") nach dem Vorbild des Chevrolet Avalanche zur Seite. Eine darunter positionierte dritte Hummer-Baureihe im Format des Jeep Cherokee sei angedacht, heißt es, ist aber noch nicht entschieden. Jährlich 100 Exemplare des automobilen Helden plant General Motors über ausgewählte Händler auch nach Europa zu bringen.