Dieser sonnengelbe H2, der erste rein zivile Hummer, knallt im Mai 2002 optisch derart, dass wir ihn einfach auf das Titelblatt unserer Juli-Ausgabe nehmen müssen – kein anderes nicht offiziell importierte Auto hat das je geschafft. Wir wollten für diesen Faszinations-Fahrbericht mit fast 15 Jahren Abstand keines der vielen gepimpten Exemplare, sondern ein frühes, originales mit dem hellen Hartplastik-Cockpit im Kampfjet-Stil, möglichst ähnlich konfiguriert wie unser Cover-Auto von 2002. Fündig wurden wir beim Autoland Neustadt bei Coburg, ein inzwischen verkauftes Exemplar für 33.900 Euro.

Die Optik des Hummer hat praktische Nachteile

Hummer H2
Klare Kante: Der Hummer H2 wurde in nur 16 Monaten entwickelt, sein Design ist unverkennbar.
In rekordverdächtigen 16 Monaten Entwicklungszeit hatte GM diesen Dino zur Serienreife entwickelt und alles aus dem Regal gerissen, was der Silverado-Tahoe-Suburban-Escalade-Baukasten hergab: Permanentallrad via manuell sperrbarem Zentraldifferenzial, Untersetzung, Hinterachssperre, Luftfederung, mit dem Rahmen verschraubte Schwellerschutzrohre. Bodenfreiheit: mehr als brauchbare 254 mm. Das alles hätte einen konsequenten Offroader ergeben, würde die Formgebung nicht den ganzen geländetechnischen Aufwand konterkarieren. Wer hinter der steilen Frontscheibe im Cinemascope-Format Platz nimmt, sitzt – enttäuschend tief, wenn auch bequem und mit wirkungsvoll gestützten Lendenwirbeln. Statt Felsbrocken und anderen Hindernissen hat der H2-Fahrer immer diese hochgetürmte Flipfront im Blickfeld, garniert mit Chromdeckeln. Unter denen verbirgt sich – nichts. Ein Beifahrer sollte stets präsent sein, um nicht versehentlich den großen Nachbarshund zu plätten und es nicht einmal zu bemerken.
Alle News und Tests zum Hummer H2

Bei der Langzeitqualität gibt es erhebliche Mängel

Hummer H2
Reichlich verwohnt: Unserem Hummer sind 13 Jahre und 180.000 km Laufleistung deutlich anzusehen.
Die Designer haben der dramatisch-unheilschwangeren Geldtransporter-mit-Sehschlitz-Optik die Sicht nach vorn rechts geopfert. Die aber ist nun einmal Mindestbedingung bei einem echten Geländewagen. Die meisten Eigner dürfte es nicht gestört haben. Die Kombination Hochpreis und Dicke-Hose-Design bot sich Rappern an, Nutzanwendern eher nicht. Der H2 ist ein Faszinosum aus der Retorte, provozierend wie ein Gangsta-Rap-Reim. Als erstes rein ziviles Modell macht er Hummer zur Marke. 2008 kommt ein Facelift mit 6,2 statt 6,0 Liter Hubraum, 2010 lahmt der Absatz, Schluss. Für die Ewigkeit gebaut? Denkste! Unserem Exemplar sind 13 Jahre und 180.000 km Laufleistung anzumerken. Vor allem das Interieur mit seinen wenig verschleißfesten Materialien wirkt – ähem – patiniert. Will heißen: Es sieht ähnlich abgeschrammelt aus wie eine Gitarre der verblichenen Blues-rock-Legende Rory Gallagher und knarzt bei Berührungsdruck wie Draculas Sarg. Die Luftfederung unseres Fotomodells hebt das 2,9 Tonnen schwere Ungetüm leider nur auf einer Seite an, sodass es mit Hüftschiefstand in der Landschaft steht, als habe es einen Hexenschuss. Solche H2 für 15.000 bis 35.000 Euro sind oft Autos mit Arbeit und Folgekosten.In dieses US-Exemplar wurde zumindest mal investiert: Austauschmotor 2011 bei nur 20.000 km Laufleistung, Automatik und Verteilergetriebe wurden schon mal überarbeitet, die Bremsen ebenso. Arbeit bleibt dennoch. Wir würden mit einer Klimaanlagen-Neubefüllung anfangen.

In der Stadt stören die Abmessungen des Dickschiffs

Hummer H2
Kunststück: Das dicke Ding durch enge Gassen zu zirkeln, erfordert gutes Augenmaß und einige Übung.
Eine H2-Eignerin – diesen Hummer fahren auffallend oft Frauen – erzählte uns neulich, dass ihr Dino, amerikanisch gefahren, durchaus mit 18 Litern auf 100 km zufrieden sei. Das Übergewicht resultiert weniger in der Trunksucht als mehr in beängstigend langen Bremswegen, wenn die stolligen BF Goodrich AT in 315/70 R 17 auch nur leicht ausgehärtet sind. Noch etwas fällt auf bei unseren Fotofahrten durch die Coburger Altstadt: Der dicke Amerikaner spaltet das Publikum noch immer. Da wären einerseits die freundlichen Reaktionen: Ein Schuljunge macht einen Altersgenossen per Ellbogen auf unser Gefährt aufmerksam, zeigt auf uns mit Begeisterung: "Guck mal, ’n Hummer!" Und wir erfahren schroffste Ablehnung. Bei einer versehentlichen Irrfahrt durch einen Schlossgarten werden wir schießschartenäugig fixiert und aggressiv angehausmeistert. Unser Verhalten allein gibt diese Feindseligkeit nicht her, da wir keinem Blümlein den Kopf abgefahren haben – da muss tiefergehende Abneigung im Spiel sein. Ein dickes Fell braucht schon, wer Hummer H2 fährt.
Die Schießschartenäugigen haben ja Recht: Dieses Auto ergibt keinen Sinn, ja. Trotzdem habe ich am Steuer einen Heidenspaß. Warum? Weil das Fahren im H2 wie ein Filter wirkt: Die Schuljungs kommen durch, die dicken Mahnfinger nicht. Weil er mich verwöhnt mit unterhaltsamem, nicht zu lautem V8-Geblubber und bequemen Ledersitzen. Und weil ich so schnell die Angst vor der Breite verliere. Das Maß von 2063 Millimetern ohne Außenspiegel mag in Europas Altstädten wie eine Nervenprobe wirken, fällt aber praktikabler aus als die des nochmals zehn Zentimeter breiteren H1. Ja, der H2 ist zu breit für Parkhäuser und Waschanlagen, von Alltagsuntauglichkeit aber kann keine Rede sein. Parken wir halt etwas weiter draußen und laufen ein Stück, das tut uns gut. Ich lerne, das Monster zu reiten. So etwas kann beglückend wirken!