Welchen Sinn ergibt ein allradgetriebenes Wohnmobil in unserem überreglementierten Europa, wo vor jedem Sandweg mindestens ein Verbotsschild steht? Oder geht es um den Neid des Nachbarn, der versucht, mit hilflos scharrenden Vorderrädern seinen Ducato auf dem nassen Grasplatz einzuparken, wo der Hymer ML-I 580 4x4 sich ganz gelassen rangieren lässt? Und dabei Lust macht auf verschneite Pässe. Oder sandige Zufahrten zu einsamen Stränden. Das ist er: Der erste in Serie gefertigte Integrierte mit permanentem Allradantrieb und elektronischem Traktionssystem in der Klasse zwischen 3,5 und 4,2 Tonnen, lieferbar in zwei Längen: 6,99 oder 7,80 Meter. Basis ist wie beim normalen ML-I der Mercedes Sprinter 313 CDI (129 PS), erweitert um den Allradantrieb. Der bringt neben erheblichem Aufpreis auch 170 Kilogramm Mehrgewicht (inkl. erforderlicher Rahmenverlängerung) und hebt die Leermasse so auf 3210 Kilo beim 560. Eine Auflastung auf 4050 oder gleich 4200 Kilo ist also obligatorisch – Tempolimit 80/100 km/h und Pflicht zu Führerschein C inklusive.
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Im Gelände setzt der Bauch zu schnell auf

Hymer ML-I 580 4x4
Der 4x4 ist kein echter Offroader, wühlt jedoch richtig talentiert. Eine Wattiefe gibt Hymer aber vorsichtshalber nicht an.

So fährt er: Härter als vom Sprinter gewohnt. Denn damit der 4x4 wegen seines höheren Schwerpunkts in Kurven nicht kippelt, montiert Hymer stärkere Federn. Damit überrumpelt der Allrad ML-I lautstark polternd kleine Unebenheiten, liegt nur auf sehr glattem Asphalt wirklich ruhig. Und die Stollenreifen (1790 Euro) heulen ab Tempo 80 wie eine alte Straßenbahn, fahren sich schwammig und verlängern den Bremsweg. Deshalb ist auch das Tempolimit kein Problem, denn die Wohlfühlzone des 4x4 endet bei 100 km/h. Also besser bei den Serienreifen bleiben, schließlich ist der Hymer kein Geländewagen. Dafür setzen sein langer hinterer Überhang und der Bauch abseits befestigter Wege viel zu schnell auf.

Bildergalerie

Hymer ML-I 580 4x4
Hymer ML-I 580 4x4
Hymer ML-I 580 4x4
Kamera
Hymer ML-I 580 4x4 im Wohnmobil-Test
Der Testwagen kam mit dem stärkeren 316er-CDI, die 990 Euro für 55 Newtonmeter Drehmoment und 34 PS mehr sind gut angelegt. Beides dient der Gelassenheit abseits aller Tempolimits, die Automatik dagegen ist gewöhnungsbedürftig. Denn mit Allrad gibt's nur den alten Fünfstufen-Selbstschalter (1790 Euro) statt der moderneren 7G-Tronic. Der schaltet oft zurück und lässt den Motor heulen, statt seine Durchzugskraft im großen Gang zu nutzen. Da erscheint die Sechsgangschaltung lebensnäher.

Die Erwartungen an die Qualität kann Hymer erfüllen

Ein Feiner fürs Grobe
Edle Lounge: Mit bequemen Drehsesseln, solidem Ausziehtisch und feinem Holz geht's ab in den Matsch.
Das hat er: Die von einem Hymer erwartete hohe Verarbeitungsqualität. Birnbaum-Dekor ist Serie, hochwertige Beschläge und weitgehend klapperfreier Aufbau ebenfalls. Die Schubladen der Kombüse laufen mit Soft-Einzug, ein 142-Liter-Kühlschrankturm sorgt für kalte Getränke und das von der Truma beheizte Armaturenbrett verhindert kalten Zug im Nacken, wenn man auf den Drehsesseln vor dem Flachbildschirm (1240 Euro) hockt. Kritik? Na ja, der Kleiderschrank ist klein und die Kopffreiheit über den hinteren Hochbetten eher knapp. Diesen Preis zahlt der ML-I-Fahrer für eine der größten Heckgaragen dieser Klasse. Sie darf 450 Kilo schlucken, beladen wird sie durch große Portale – ideal für Fernreisende mit wuchtigem Gepäck. Ob sich für diese Käufer der Allradantrieb rentiert, bleibt die Frage. Denn komfortabler, leichter und sicher auch sparsamer fährt der ML-I ohne. Und die Traktion der vom Aufbau belasteten Hinterräder ist bei ihm ebenfalls recht gut.
Ein feines Mobil, der ML-I 4x4. Und viel zu schade für den Matsch. Doch wer nicht auf das letzte bisschen Traktion angewiesen ist, fährt ohne 4x4 billiger und wesentlich komfortabler. Und gibt, wenn er sich doch mal festfährt, lieber dem nächsten Bauern einen Zwanni fürs Rausziehen.