Interview: Kiffen und Autofahren
"Wirkung lässt schon in der ersten Stunde nach"

—
Wie wirkt sich THC auf den menschlichen Organismus aus und wie verändert es die Fahrtüchtigkeit? Interview mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, Dr. med. Franjo Grotenhermen.
AUTO BILD: Wie hoch ist der THC-Gehalt im Blut direkt nach dem Kiffen? Franjo Grotenherment: Nach der Inhalation von Cannabis werden maximale THC-Konzentrationen nach drei bis zehn Minuten zwischen etwa 50 und 300 ng/ml im Blutserum gemessen, sie können nach sehr großen Dosen aber auch höher ausfallen.
Wie lange hält die berauschende Wirkung ungefähr an? Günter Berghaus vom Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Köln teilte die fahrrelevanten Leistungsdefizite in drei Phasen ein, die im Falle einer inhalativen Aufnahme die ersten 60 Minuten, den Bereich zwischen 60 und bis zu 150 Minuten und residuale Effekte jenseits von 150 Minuten umfassen. Die Dauer der zweiten Phase und der Umfang der Leistungsdefizite in der dritten Phase sind dosisabhängig.
Wie hoch ist der THC-Gehalt im Blut zu diesem Zeitpunkt? Gegen Ende der zweiten Phase liegen die THC-Konzentrationen im Blutserum bei etwa 5 bis 10 ng/ml.

Dr. med. Franjo Grotenhermen, Mediziner und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin.
Für wie sinnvoll halten Sie den von den Gerichten festgelegten Grenzwert von 1 ng/ml bzw. in Bayern 2 ng/ml? Diese Grenzwerte führen leider dazu, dass viele Cannabiskonsumenten, die den Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr verantwortungsbewusst trennen, dennoch als fahruntüchtig betrachtet werden. Entgegen der vielfachen Erfahrung wird ihnen mangelndes Trennvermögen vorgeworfen, was im Allgemeinen zum Führerscheinverlust führt. Das bedeutet für viele Betroffene eine ungerechtfertigte Zerstörung der beruflichen Existenz.
Bei welchem Grenzwert würden Sie die Schwelle zum Entzug der Fahrtüchtigkeit ziehen? Es gibt ein grundsätzliches Problem, dass es keine klare Schwelle gibt. Ich kenne Patienten, die unter dem Einfluss von Cannabis mit THC-Blutserum-Konzentrationen von über 50 ng/ml erfolgreich psychomotorische Tests im Rahmen einer MPU absolviert haben. Andererseits kann bei einer THC-Konzentration von 3 ng/ml durchaus eine psychomotorische Beeinträchtigung vorliegen. Das hängt unter anderem mit einer Toleranzentwicklung bei regelmäßiger medizinischer oder nicht medizinischer Cannabiseinnahme zusammen. Man wird also einen Ausgleich finden müssen zwischen der Forderung nach Sicherheit im Straßenverkehr und unangemessener Härte, die nicht selten dazu führt, dass ein abendlicher Cannabiskonsum zum Führerscheinentzug am Folgetag führt. Für die Festlegung eines Grenzwertes ist es von erheblicher Relevanz, dass Cannabiskonsum etwa zu einer Verdopplung des Unfallrisikos führt, während Alkoholkonsum mit einer Risikoerhöhung um den Faktor sechs bis neun assoziiert ist. In den vergangenen Jahren wurde ein europäisches Projekt zu den Gefahren von Alkohol, Drogen und Medikamenten für den Straßenverkehr durchgeführt. Die beteiligten Wissenschaftler stellten fest, dass eine Konzentration von 3,8 ng/ml THC im Blutserum einer Beeinträchtigung bei einer Alkoholkonzentration von 0,5 Promille entspreche. Schließlich wird ein tatsächlicher Grenzwert von 7 bis 10 ng/ml im Blutserum vorgeschlagen. Aufgrund dieser Ergebnisse soll in den Niederlanden der Grenzwert auf 5 ng/ml THC im Blutplasma und in Norwegen auf 3 ng/ml THC im Blutplasma angehoben werden.
Wie verändert THC die Fahrtüchtigkeit? Die psychomotorische Leistungsfähigkeit kann beeinträchtigt werden. Beispielsweise nimmt die Reaktionszeit nach längerer monotoner Fahrt ab. Im Gegensatz zu Alkohol führt Cannabis allerdings nicht zu einer Überschätzung der eigenen Fahrleistung. Unter Cannabiseinfluss sind sich Autofahrer ihrer Beeinträchtigung bewusst und fahren eher vorsichtig und defensiv. Das kann aber auch Probleme im normalen Straßenverkehr bereiten.
Was für eine Regelung würden Sie zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit und dem Einfluss von Cannabis vorschlagen? Idealerweise sollten Verfahren entwickelt werden, mit denen sich eine psychomotorische Beeinträchtigung bzw. eine fehlende Fahrtüchtigkeit aufgrund verschiedenster Ursachen wie Übermüdung, Erkrankungen, Alkohol, Drogen messen ließen. Die zweitbeste Lösung für Cannabis wäre ein vergleichsweise niedriger Grenzwert für THC, beispielsweise 5 ng/ml, der in Kombination mit einer von einem Arzt festzustellenden psychomotorischen Beeinträchtigung Fahruntüchtigkeit nachweist, und ein deutlich höherer Grenzwert für THC im Blutserum, zum Beispiel 10 ng/ml, der auch ohne psychomotorische Beeinträchtigung nicht überschritten werden darf.
Service-Links