"Die schlimmsten Wochen meines Lebens"

Nick Heidfeld hat einen bescheidenen Winter hinter sich. In Deutschland haben über vier Millionen Menschen keinen Arbeitsplatz, weitere zwei Millionen fürchten aktuell um ihren Job. Irgendwo dazwischen bewegte sich der 26-jährige Mönchengladbacher – immer in der Hoffnung auf einen der letzten freien Plätze in einem Cockpit: bei Jordan-Ford. "Das waren die schlimmsten Wochen meines Lebens", sagt er, nachdem er für 2004 einen Vertrag beim Iren-Team unterschrieben hatte. Fürs Erste das tröstende Ende einer nervigen Zickzack-Fahrt.

Rückblende: Im Dezember kam Heidfeld zum Kurzeinsatz bei Jordan. Komplimente der Ingenieure, gute Rundenzeiten, aber kein Vertrag. Und wenn, dann ohne Gehalt. Im Januar immer neue Jordan-Forderungen; immer neue Namen im Rennen ums Cockpit. Angeblich erlitt Mutter Heidfeld einen Kollaps. Zweifel und Sorgen ohne Ende. Manager Werner Heinz zürnte: "Keine Tests mehr für Jordan, wir sind doch nicht deren PR-Abteilung!" Vorige Woche doch noch ein Jordan-Test. Wieder Hoffnung für "Quick Nick". Diesmal mit Recht.

Die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und einem Jordan-Jahr schwankt zwischen Not und Elend. Obwohl Heidfeld sich jetzt ins gelbe Nest rettete, besteht für seine Karriere höchste Crashgefahr. Oder gerade deshalb. Denn: Der Tabellenzehnte 2003 muss schon lange von den Großen durchgefüttert werden.

Jordan-Pakt wie RTL-Dschungelprüfung

Sicher, ein Sieg, ein Sponsor oder ein Glücksgriff mit dem neuen Auto kann Wunder wirken im GP-Sport. Aber Jordan braucht mehr als das. Das Team ist personell und vom Wettrüsten gegen die Werksteams ausgebrannt. Wenn es gut läuft, kratzt Teamchef Eddie Jordan 50 Millionen Dollar zusammen; die Hälfte des Sauber-Etats, wo Heidfeld Ende 03 ziehen gelassen wurde.

In seiner Karriere muss etwas Grundlegendes schief gelaufen sein. Sein Weg führte zunächst steil nach oben. Bis er 2000 in die Formel 1 aufstieg. Seine Freunde gratulierten. "Ich bin nicht am Ziel, sondern am Start", konterte er. Und bewertete den Aufstieg korrekt als "wichtigen Schritt". Vier Jahre später werden andere als Schumi-Nachfolger gehandelt. Etwa Juan Pablo Montoya, den Heidfeld 1998 als Formel-3000-Rookie überwiegend beherrscht hatte. Oder Kimi Räikkönen, den er 2001 bei Sauber nach Punkten 12:9 überbot. Oder Felipe Massa, den er 2002 bei Sauber ausstach und der 2004 seinen Platz dort einnimmt.

Nun also der Jordan-Pakt: Der kommt der Dschungelprüfung bei RTL nahe. Zuletzt rief Giancarlo Fisichella, trotz Brasilien-Sieg 2003, unüberhörbar: "Holt mich hier raus!" Auch er wurde von Sauber dem Deutschen vorgezogen. Also was hat Heidfeld, dieses so erprobte Talent, falsch gemacht?

Lieber Räikkönen statt Heidfeld

Am Steuer des unzuverlässigen Prost-Peugeot schlug er sich 2000 auf dem Niveau des damals noch als Star gehandelten Jean Alesi. 2001 landete er bei Sauber, fuhr dort schon im dritten Rennen (GP Brasilien) aufs Podium (3.). Dauer-Weltmeister Schumacher befand: "Da werden wir ihn noch öfter sehen."

Die Rakete war gezündet, aber verpuffte, als McLaren-Mercedes sich Mitte 2001 trotz gemeinsamer Vergangenheit in der Formel 3000 und gültiger Vertragsoption nicht für den kleinen Nick, sondern den kühlen Kimi (Räikkönen) entschied. Statt Heidfeld zum Nulltarif heimzuholen, kauften seine Ex-Förderer als Ersatz für den rennmüden Mika Häkkinen dessen finnischen Landsmann für 20 Millionen Dollar.

Begründung: Räikkönens Lernkurve sei kürzer und steiler verlaufen. Die Wahrheit war viel einfacher: Für McLaren-Chef Ron Dennis ist gerade das Beste gut genug. Wenn er also je einen Deutschen verpflichtet, dann allenfalls Michael Schumacher. Das musste nach dessen Bruder Ralf und Heinz-Harald Frentzen damals auch Deutschlands Nummer vier erfahren.

Abgestempelt zum Jammerlappen

Es tat so weh, dass Heidfeld seiner Enttäuschung über Ex-Partner Mercedes in mindestens 20 Interviews Luft machte. Und das war – gemessen an Heidfelds Intelligenz – geradezu fahrlässig, einfach das völlig falsche Signal. Denn die Szene nahm nur wahr: "Jammerlappen!" Das ist Nick Heidfeld keineswegs. Den Mega-Crash mit Takuma Sato in Österreich 2002 steckte er klaglos weg, ebenso die Defektserie davor sowie die danach überraschende Anschuldigung seitens Saubers ("Fahrfehler!"). "Ein Toparbeiter", urteilt Sauber-Technikchef Willi Rampf, "geduldig, schnell, mit großem Technikverständnis und Engagement." BMW-Boss Dr. Mario Theissen und Ferraris Cheftechniker Ross Brawn lobten den unauffälligen, effizienten Heidfeld oft.

Seine Leistungen waren nicht der Grund für den Abgang bei Sauber, beteuert das Team. Stimmt: Da hat Sauber-Partner Ferrari dran gedreht. Aber wieder einmal in die falsche Richtung. "Er hat zu wenig Highlights gesetzt", glaubt Premiere-Experte Marc Surer. Und er hat 2003 bei Sauber dann nach Punkten das Duell gegen Oldie Heinz-Harald Frentzen (36) verloren.

Noch ein falsches Signal: Heidfeld machte sich als Mensch im Fahrerlager zeitweise unsichtbar. Wenn nicht, versprüht er – selten rausgeputzt – eher Nieselstimmung als Siegerlaune. "Ich hasse Selbstinszenierungen", sagt er, "will und kann mich nicht verbiegen. Das ist vielleicht ein Fehler." Sein Manager Werner Heinz hat sich oft darüber geärgert: "Nick hat einfach nicht geglaubt, dass er das braucht."

Nick Heidfeld im Kurzporträt

Nick Heidfeld im Kurzporträt Geboren: 10. Mai 1977 • Geburtsort: Mönchengladbach • Wohnort: Stäfa (Schweiz) • Nationalität: Deutschland • Familienstand: ledig, Freundin Patricia • Erlernter Beruf: Rennfahrer • Hobbys: Sport

Schneller Rennfloh Seit 1984 betreibt Nick Heidfeld Motorsport. Neun Jahre fuhr "Quick Nick" Kart. 1994 dann der erste Sieg gleich beim Renndebüt im Formel Ford. Er holte mit acht von neun Siegen klar den deutschen Meistertitel. 1995 wurde er internationaler Formel-Ford-Champion. In seinem ersten Formel-3-Jahr 1996 belegte er Gesamtrang drei. In der darauf folgenden Saison sicherte sich der Rennfloh (nur 1,64 Meter groß) mit fünf Siegen die Meisterschaft.

Belohnung: F1-Testfahrten für McLaren-Mercedes. Während seiner Formel-3000-Jahre 1998 und 1999 blieb der Mönchengladbacher offizieller F1-Testfahrer, wurde zunächst knapp hinter Juan Pablo Montoya Vizemeister, 1999 dann Champion. 2000: F1-Debüt mit Prost. Nach einer Saison der Wechsel zu Sauber. Bisher fuhr der 26-Jährige 66 GP und holte 25 WM-Punkte (einmal Dritter), 2004: WM-14.