Repräsentations-Potenzial

Keine Angst: Empfehlungen für die nächste Bundestagswahl wollen wir nicht geben. Aber wir können sagen, was den nächsten Kanzler bewegen wird. Jedenfalls zu offiziellen Anlässen und unabhängig vom Ausgang der Wahl. Denn: Heißt der Bundeskanzler weiterhin Gerhard Schröder, wird ein VW Phaeton die Fahne des deutschen Automobilbaus hochhalten. Kann sich dagegen Edmund Stoiber durchsetzen, wird das "First Car" von BMW aus München kommen. Während auch wir mit Spannung auf das erste Rededuell der beiden Kontrahenten warten, baten wir die beiden potenziellen Kanzlervehikel zu einem ersten Fahrvergleich. Als Dritten im Bunde luden wir das Kanzlerauto schlechthin: Das jeweilige Topmodell von Mercedes, mit dem von Adenauer bis Kohl alle Regierungschefs repräsentativ unterwegs waren. In unserem Fall die aktuelle S-Klasse, die im Herbst leicht überarbeitet wird.

Um trotz des gehobenen Preisniveaus der drei Kontrahenten eine gewisse Volksnähe zu wahren, haben wir die "normalen" Versionen gewählt. Ohne verlängerten Radstand, ohne Panzerung, ohne all jene Gimmicks, die Preis und Gewicht von Staatskarossen in schwindelnde Höhen treiben. Übrigens: Bei der Wahl ihrer Privatwagen zeigen der Kanzler und sein Herausforderer Bescheidenheit: Gerhard Schröder fährt einen VW Golf, Edmund Stoiber begnügt sich mit einem Dreier BMW. Für den Dienstgebrauch zählen allerdings andere Faktoren. Repräsentativ sind alle drei Kandidaten. Selbst die mittlerweile leicht betagte S-Klasse zieht noch viele Blicke auf sich, obwohl sie im Trio geradezu grazil wirkt. Ihre Botschaft bei offiziellem Einsatz: Weniger ist mehr, Protzen ist out. Selten wurden gut zwei Tonnen Lebendgewicht auf einer Länge von 5038 Millimeter dezenter verpackt.

Stattlicher kommen die beiden Konkurrenten daher. Der massige BMW mit seiner hoch aufragenden Front- und Heckpartie mag optisch nicht jedermanns Sache sein. Aber er hinterlässt Eindruck. Und passt als automobile Verkörperung von Stoibers früherem Wahlspruch "Laptop & Lederhose" ideal zu dem Herausforderer: ein Hightech-Produkt mit barocken Formen. Glatter, aber nicht minder stattlich: der VW Phaeton, der neue Weggefährte von Gerhard Schröder. Mit über fünf Meter Außenlänge (die Kanzlerversion ist 12,5 Zentimeter länger) und der fließenden Silhouette wirkt der Wolfsburger gleichermaßen imposant und harmonisch. Das Design orientiert sich natürlich an der Konzernlinie. Mutige Design-Experimente wie etwa beim BMW sucht man vergebens. Aber schließlich trägt der Kanzler auch Brioni und nicht etwa Gaultier oder Versace. "Design der leichten Hand" könnte man das nennen: Unaufgeregt, aber bestimmt.

Die inneren Werte

Zurückhaltung und Leichtigkeit prägen das Interieur der S-Klasse von Mercedes. Sanfte Schwünge und klar gegliederte Bedienelemente verleihen dem Stuttgarter eine überaus wohnliche Atmosphäre. Aber gemessen an den beiden Widersachern, wirkt der Mercedes wie ein ehemals topmodisches Designerteil in der dritten Saison. Dabei gibt es aus ergonomischer Sicht nichts auszusetzen. Als Chauffeurslimousine beweist die S-Klasse soziale Kompetenz: Der Fahrer sitzt vorn ebenso formidabel wie der Chef im Fond.

Im BMW erkennt man die Absicht, alles ganz anders machen zu wollen als alle anderen. Was dazu geführt hat, dass man etwa anstelle eines bewährten Blinkerhebels mit drei Stellungen einen Taster eingebaut hat, der zumindest anfangs zur Verzweiflung treiben kann. Tippt man ein bisschen zu fest, rastet er zwar elektronisch ein, bleibt aber in mittlerer Position. Der Wählhebel für das Automatikgetriebe ist ans Lenkrad gerutscht, was Platz zwischen den Sitzen schafft – etwa für iDrive. Doch ist der Ganghebel so klein geraten, dass man ihn kaum anfassen möchte. Wer manuell schalten will, kann dies über Tasten an Vorder- und Rückseite des Lenkrades. Die Lage der Knöpfe ist aber nicht gerade griffgünstig gewählt. Der Innenraum mit seinen Nischen und Ausbuchtungen wirkt etwas zerfahren, die verwendeten Materialien sehen teilweise weniger hochwertig aus, als man es in dieser Klasse erwartet. Das Gestühl des Bayern ist ohne Tadel. Fahrer und Fondinsassen sitzen bequem auf komfortablen Fauteuils, die sich elektrisch jeder Größe anpassen lassen.

Der Phaeton harmoniert perfekt mit Gerhard Schröders Ausspruch, nicht alles anders, aber vieles besser machen zu wollen. So erlaubt auch die dem BMW-iDrive ähnliche zentrale Steuereinheit des Wolfsburgers die Einstellung aller Bordfunktionen über einen großen Drehknopf und Sieben-Zoll-Farbmonitor. Alle wichtigen Funktionen sind auch direkt über Tasten anwählbar. Effekt: Trotz unzähliger Einstellmöglichkeiten findet man sich im Phaeton auf Anhieb besser zurecht. Edel und dabei völlig unprätentiös wirkt sein Innenraum.

In puncto Materialanmutung, Gestaltung und Verarbeitung setzt der luxuriöse Wolfsburger im Augenblick die Maßstäbe. Obwohl auch Fahrer und Beifahrer perfekt untergebracht sind, könnte beim Blick in das Fondabteil leicht etwas Neid aufkommen. Die beiden elektrisch verstellbaren Einzelsitze hinten (gegen Aufpreis) sind bequem geschnitten. Zudem erlaubt ein mittig angebrachter Bedienmonitor die individuelle Einstellung unterschiedlicher Temperaturen für den linken und rechten Fondplatz. Natürlich auch gegen Aufpreis.

Eine Frage der Abstimmung

Obwohl alle drei Kontrahenten über verstellbare Fahrwerke und Luftfederung (beim BMW ist nur die Hinterachse luftgefedert) verfügen, sind drei verschiedene Abstimmungphilosophien erkennbar. Im Mercedes-Fond lässt sich trefflich über Visionen brüten, denn er bietet den geringsten Kontakt zur Basis, sprich zur Straße. Wie auf einem fliegenden Teppich gleiten die Passagiere dahin, unbelästigt von Straßenunebenheiten. Zwar lässt sich das Fahrwerk der S-Klasse in zwei Stufen verhärten, sportlich wird sie dadurch nicht. Die S-Klasse ist eher eine klassische Reiselimousine, die auch dem Fahrer ein Höchstmaß an Entspannung bietet. Darunter leidet etwas die Agilität, was jedoch auf Autobahnpassagen keine Rolle spielt.

Fahraktiver, aber eben auch etwas straffer gibt sich der BMW. Er erlaubt die Feinjustierung des Fahrwerks in den Stufen "Komfort" und "Sport" und lässt sich agiler bewegen als die S-Klasse. Den Spagat zwischen hohem Fahrkomfort und flottem Handling meistert der Siebener am besten. Hier fühlen sich Fahrer und Passagiere gleichermaßen wohl. Mit der Wahl des großen BMW als Dienstwagen gönnt Edmund Stoiber seinem Fahrer einen ansprechenden Arbeitsplatz, der auch noch Spaß bringt. Feiner Zug.

Das meiste Temperament stellt überraschenderweise der VW Phaeton unter Beweis. Er gibt dem Fahrer am wenigsten das Gefühl, in einer über fünf Meter langen Luxuslimousine unterwegs zu sein. Dafür ist er auch in der komfortabelsten Einstellung (das Fahrwerk lässt sich in vier Stufen verhärten) etwas straffer als der Siebener. Den Chauffeur wird's freuen, denn derart leichtfüßig lässt sich keiner der beiden Konkurrenten um enge Kurven dirigieren. Der "Kanzler aller Autos" beweist mit der Wahl des Phaeton, dass er bodenständig geblieben ist. Und nicht nur auf sein eigenes Wohlbefinden bedacht. Doch einen Hang zur etwas sportlicheren Gangart bewies Gerhard Schröder ja auch schon mit der Wahl des Audi A8 als Dienstwagen.

Während Edmund Stoiber noch bis zum Herbst auf einen standesgemäßen Zwölfzylinder für seinen Dienstwagen warten muss, kann sich der Kanzler bereits jetzt über ein Zwölfzylinderaggregat freuen. Der 420 PS starke W12 agiert zurückhaltend wie ein Diplomat, wird aber bei Bedarf athletisch wie ein Bodyguard. In 6,1 Sekunden reißt er die über zwei Tonnen auf Tempo 100 km/h, Schluss ist im Augenblick bei 250 km/h. VW stellt für den Spätherbst eine elektronisch nicht abgeregelte Version in Aussicht. Dann wird der Phaeton 285 km/h schnell sein.

Technische Daten

Während im Siebener BMW und in der Mercedes S-Klasse ein Achtzylinder-V-Motor mit 333 beziehungsweise 306 PS für den Antrieb sorgt, steckt beim VW Phaeton ein Zwölfzylinder-W-Aggregat mit 420 PS unter der Haube.