An der Förderstraße 16 ist mit Händen greifbar, wie komplex das Punktesystem ist. Wann immer ein Mitarbeiter des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg etwas aus dem älteren Datenbestand wissen will, muss er aus einem kilometerlangen Regalsystem eine Akte herausziehen. Digital erfasst sind nur neue Fälle. Für Außenstehende ist dieser gigantische Papierbestand nicht zu durchschauen. Oft wissen nicht einmal die Betroffenen selbst, wie viele Punkte sie gerade haben. Und ob die alten Sünden nach zwei Jahren wirklich verjährt sind, das ist auch nicht sicher – sobald neue Punkte dazukommen, beginnt die Tilgungsfrist wieder ganz von vorn.

Tiefensee: Reform bis 2012

Wolfgang Tiefensee
Bundesverkehrsminister Tiefensee: "Jeder Fahrzeugführer soll sich künftig selber ausrechnen können, wie viele Punkte er hat."
Das soll sich jetzt ändern. Die Große Koalition will dieses nahezu undurchschaubare Punktesystem komplett umstellen. In einem gemeinsamen Bundestags-Antrag fordern CDU/CSU und SPD für jede  Verstoß eine "gesonderte Tilgungsfrist", die sich "nicht mehr automatisch durch neue Einträge in das Verkehrszentralregister verlängert." Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) verspricht eine Reform bis 2012. Der Minister zu AUTO BILD: "Jeder Autofahrer soll sich künftig selber ausrechnen können, wie viele Punkte er in Flensburg hat.“ Die Union will sogar schon 2010 ein neues Punktesystem.

Jeder Verstoß zählt einzeln

Im Mittelpunkt der koalitionsinternen Überlegungen steht das sogenannte Storjohann-Modell. Es sieht vor: Punkte in Flensburg sollen zwar frühestens erst nach drei statt bisher zwei Jahren gelöscht werden. Doch dafür zählt und verjährt jeder Verstoß einzeln. Auch das Wirrwarr der sogenannten Überlagerungsfristen für noch nicht rechtskräftige Bußgeldbescheide hätte ein Ende. Nach einem Vorschlag des CSU-Verkehrsexperten Andreas Scheuer soll zudem die Bußgeldgrenze für Punkte von 40 auf 60 Euro angehoben werden. Allerdings wird auch künftig bei 18 Punkten der Führerschein weg sein. Und für Alkohol- und Drogenfahrten sollen nach den Unions-Plänen die Verfallsfristen auf zwölf (bisher zehn), für Straftaten im Straßenverkehr wie Fahren ohne Führerschein auf sechs (bisher fünf) Jahre steigen.

Altfälle tilgen?

Der Frankfurter Verkehrsrechtler Uwe Lenhart hält die geplante Anhebung der Löschungsfristen für Alkohol- und Drogenfahrten auf zwölf Jahre für "nicht nachvollziehbar". Lenhart: "So lange sind nicht mal einjährige Freiheitsstrafen im Bundeszentralregister erfasst." Bleibt die Frage: Was geschieht beim Inkrafttreten der Reform mit den Altbeständen? CSU-Scheuer schlägt eine Art Teilamnestie vor: "Bei dieser Gelegenheit sollten wenigstens alle Altfälle mit nur einem Punkt getilgt und damit das Punkteregister bereinigt werden."

Von

Einar Koch