Luft gleich Lust gleich Cabrio. Je offener ein Auto, desto besser. So einfach kann die Formel für Fahrfreude sein. Breites Grinsen, schöne Gesichtsbräune und immer eine verwegene Frisur – Cabriofans sind glücklichere Menschen. Hat da jemand Zweifel? Fakt ist: Offenfahrer sind Genießer, Typen mit speziellem Blick auf die Welt. Deshalb wirft diese Sichtweise Fragen auf. Wo fängt Cabriogenuss an? Wo hört er auf? Oder anders gefragt: Wie viel Freiheit auf Rädern braucht der Mensch? Um das zu beantworten, helfen nur Extreme. 640 gegen 2,3 PS, 6,5-Liter-V12 gegen 50-Kubik-Einzylinder, Tempo 330 gegen 30 km/h – weiter können Auto-Pole nicht auseinanderliegen. Willkommen im Grenzbereich: Murciélago trifft Mopetta.
Brütsch Mopetta Lamborghini Murciélago LP 640 Roadster E-Gear
Der Lamborghini Murciélago Roadster ist das derzeit schnellste Cabrio der Welt, die Brütsch Mopetta wohl das langsamste.
Mo... – was bitte? Nur belesene Auto-Historiker kennen dieses Wirtschaftswunder-Kuriosum. Die Mopetta von Egon Brütsch sieht aus, als sei sie gerade vom Kinderkarussell gefallen. Ein dreirädriges Osterei. Ein Aprilscherz zur Volksbelustigung. Mopetta-Besitzer Bert Grimmer ist Spott gewohnt und hält tapfer dagegen: "Fahr mal, du wirst begeistert sein." Ich nicke höflich, kann aber meine Belustigung nicht verbergen. Schließlich bin ich eben aus einem Lambo geklettert. Nicht irgendein Lambo, sondern der Murciélagp LP 640 LP 640 Roadster. Der thront in der Typ-Hierarchie ganz oben. Ein schnaufender Stier, 100 Prozent Italo-Testosteron, die pure Geilheit, auf der nach oben offenen Lust-Skala. Mit 330 km/h Spitze ist die 324.000-Euro-Flunder das teuerste und schnellste Serien-Cabrio der Welt – von Super-Exoten wie Bugatti Veyron 16.4 Grand Sport (1001 PS, 1,67 Millionen) einmal abgesehen.
Lamborghini Murciélago LP 640 Roadster E-Gear
Wie ein Kampfjet mit Bodenkontakt zoomt der offene Lambo durch das Land.
Kurios: Mit montiertem Dach darf der Stier nur bis 200 km/h geritten werden. Um Himmels willen, welchen Reiz hat es, dem Frühling mit über 300 km/h offen entgegenzukacheln? Wie die Mopetta verfügt der Lambo über ein Stoffdach mit Gestänge. Dazu abnehmbare Targaholme, die das Öffnen zur zehnminütigen Geduldsprobe ausdehnen. Jede Menge Schnickschnack füllt seine Aufpreisliste, nur das Wichtigste fehlt: Der Crashkurs beim Campingklub für den Umgang mit dem fummeligen Verdeck. Also weg damit und nie wieder anfassen. Den E-Mechanismus des Gallardo hat das Topmodell leider nicht zu bieten. Überhaupt entpuppt sich der Murciélago als Fossil aus dem vorigen Jahrtausend. Dieser Italo-Brutalo versprüht noch das Diablo-Aroma früherer Tage mit unseriöser Rotlichtnote à la Lambo-Klaus.
Egal, ich will wissen, was der Roadster draufhat. Also rauf auf die Autobahn nach links. Aus Brüllen wird Geschrei, dann heftiges Kreischen, bevor ich mit der Carbon-Wippe bei 8000 Touren den nächsten Gang aktiviere. Mit roher Gewalt stürmt der Allrad-Bolide auf 290. Dann wird er zäher, legt aber noch immer an Tempo zu. Wie ein Kampfjet mit Bodenkontakt zoomt er seinen Piloten durchs Land. Erstaunlich, wie wenig der tief sitzende Fahrer vom Taifun mitbekommt. Es zieht und zerrt nur ein wenig im Haar. Der Murciélago Roadster ist ganz viel Motor, verpackt in einen Keil, erst in zweiter Linie ein Cabrio. Flimmernd und knisternd kühlt er nach meinem heißen Ritt ab – und nun das: rein ins Witzmobil.
Brütsch Mopetta
Die Mopetta zeigt: 2,3 PS und drei Gänge reichen für den großen Cabrio-Spaß.
Ich tausche Wolkenkuckucksheim gegen Wichtelwohnung. Die Gemeinsamkeiten sind größer, als ich dachte. Beim Einstieg offenbart die türlose Mopetta ähnliche Unbequemlichkeiten wie das Murciélago-Monster mit seinen stolzen Schwingen. Erstes Bein rein, zweites Bein rein, dann aus dem Stand in den Sitz plumpsen. Elegant sieht anders aus. Statt Sportvolant hat die Mopetta eine Lenkstange. Links vereint der Drehgriff Schaltung und Kupplung, Bremshebel und Gas sitzen rechts. Zur Sicherheit gibt es noch eine Fußbremse. Und tatsächlich: Es fährt ja doch, das Ding aus der unbekannten Cabrio-Galaxie. Aber was heißt hier schon Cabrio? Die Mopetta ist ein echter Roadster, mit Notverdeck und Antrieb aufs linke Hinterrad. In diesem Autochen wird nichts verfälscht, abgemildert oder geschönt. Windschott? Pah, ist für Weicheier. Heizung? Gibt's nicht. Instrumente auch nicht. Anlasser? Selbst den hat die Mopetta nicht zu bieten.
Brütsch Mopetta
Rückwärtsgang? Nicht nötig – die 78 Kilo leichte Mopetta wird einfach vorn angehoben und gewendet.
Gestartet wird der Ilo-Zweitakter wie ein Rasenmäher per Seilzug – rängtängtäng –, schon knattert der Einzylinder fröhlich los. Nach gut 20 Sekunden, die sich anfühlen wie 20 Minuten, erreiche ich Tempo 30, und nur wenn's völlig flach ist und keinen Gegenwind gibt, kommt das niedliche Gefährt auf 40 km/h. Zeit ist Luxus. Den muss man sich halt gönnen. Der zähe Vortrieb gleicht eher einem Moped als einem Auto – Zeitlupe statt schnellem Vorlauf. Ein trainierter Radfahrer könnte problemlos mithalten. So bleibt die Muße für einen langen Blick auf Felder, Wiesen und Seen. Entschleunigung in Reinkultur. Sanft weht der Frühlingswind ums Plexiglas-Schild. Ich entdecke für mich eine neue Philosophie: Wer Pusteblumen am Straßenrand zählt, hat mehr vom Leben. Cabriospaß wurde noch nie durch hohes Tempo definiert. Lust gleich Luft gleich Mopetta. So simpel kann Fahrfreude sein.

Technische Daten Lamborghini Murciélago LP 640 Roadster
V12, Mitte längs • Hubraum 6496 cm³ • Leistung 471 kW (640 PS) bei 8000/min • Sechsgangautomatik • Leergewicht 1690 kg • 4 Scheibenbremsen • Spitze 330 km/h • Verbrauch EU-Mix 21,3 l/100 km • Preis 323.680 Euro

Technische Daten Brütsch Mopetta • Einzylinder, Zweitakt, Mitte links • Hubraum 50 cm³ • Leistung 1,7 kW (2,3 PS) bei 2300/min • Dreiganggetriebe • Leergewicht 78 kg • 3 Trommelbremsen • Spitze 40 km/h • Verbrauch ca. 2 Liter/100 km • Preis 750 DM (1956)