Überwachung mit 280 Kameras

Superlange Staus, Autos im Schneckentempo, Abgasschwaden ohne Ende. Tägliches Bild auf Londons Straßen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit im Stadtkern beträgt etwa 15 km/h. Sogar Pferdekutschen waren früher schneller. Schluss damit, fordert Oberbürgermeister Ken Livingstone. Mit einem drastischen Konzept will er wieder Bewegung in die britische Metropole bringen. Wer künftig mit dem Auto oder Motorrad in die Innenstadt will, muss ab 17. Februar 2003 Wegezoll bezahlen. Von sieben Uhr morgens bis 18.30 Uhr wird der gesamte innere Bereich Londons, von Tower bis Hyde Park, zur gebührenpflichgtigen Fahrzone.

Ein Unternehmen gigantischen Ausmaßes, schließlich geht es um eine Fläche von etwa 21 Quadratkilometern – mehr als das gesamte Flughafengelände in Frankfurt am Main. Die Gebühr soll fünf Pfund (acht Euro) betragen, zahlbar per Cashcard. Nur Anlieger, öffentliche Busse, Taxis und Mopeds fahren gratis, ebenso wie behinderte Verkehrsteilnehmer. Mit rund 280 Videokameras wird die Mautzone überwacht. Ein so genanntes "Automatic Number Plate Recognition"-System kontrolliert alle Autos. Die Kennzeichen werden von Computern eingelesen. Diese prüfen, ob der Fahrer die Gebühr bezahlt hat oder eine Sondergenehmigung besitzt. Wenn nicht, werden satte 80 Pfund fällig. Und Schwarzfahrer, so Bürgermeister Livingstone, werden mit 90-prozentiger Sicherheit geschnappt.

Ob die Technologie wirklich so funktioniert, wie es sich die Verantwortlichen wünschen, bleibt abzuwarten. Falls ja, dann wollen schon bald drei Dutzend britische Orte nachziehen. Durham prescht bereits vor: Die Stadt im Nordosten Englands startet schon im September 2002 ihr Maut-Projekt. Dort wird ein Wegezoll von zwei Pfund (3,20 Euro) für den mittelalterlichen Stadtkern erhoben. Die Überwachung ist aber einfacher: Es gibt nur eine Zugangsstraße. Die Innenstadt liegt auf einer Halbinsel des Flusses Wear.

Singapur ist Maut-Vorreiter

In London soll mit der Maut der Verkehr reduziert werden. Prognose: 15 Prozent weniger Autos im Zentrum. Und kräftig das Stadt-Säckel gefüllt werden: Die Gebühren spülen 160 Millionen Pfund pro Jahr in die leeren Kassen der Stadt, rechneten die Verantwortlichen aus. Geld zur Sanierung des maroden öffentlichen Nahverkehrs, heißt es. Die U- und S-Bahn-Strecken stammen teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert, auch viele Stadtbusse sind veraltet.

Die meisten Bürger befürworten das Vorhaben der Stadt. In London kommen auf etwa 250.000 Autofahrer im Stadtzentrum mehrere Millionen U-Bahn-Nutzer und Fußgänger. Kritiker hingegen meinen: Durch das Maut-System werden die Staus nur vor die Stadtgrenze gedrängt. Der britische Automobilclub RAC befürchtet ein Park-Chaos in den Randgebieten der City.

Vergleichbare Projekte, die gut funktionieren, gibt es bereits. So fordert Norwegens Hauptstadt Oslo als bisher einzige Großstadt Europas eine Gebühr zum Befahren der Innenstadt. Auch die Bürger der norwegischen Städte Bergen und Trondheim zahlen in der City. Vorreiter fürs Straßennutzungsentgeld ist aber Singapur. Mit 680.000 Autos auf 640 Quadratkilometern hat der südostasiatische Stadtstaat eine der höchsten Verkehrsdichten der Welt. Seit 1998 gibt es auf der Insel ein "Electronic Road Pricing"-System (ERP) für die sieben Quadratkilometer große Sperrzone der Innenstadt. Das tägliche Verkehrsaufkommen wurde dadurch um etwa 22 Prozent gesenkt. Das sollte den Stau-Stehern in London Zuversicht geben.