Die Legende der Mercedes-Silberpfeile

Von Thomas Delekat Hitler war ein Versager, als Autofahrer jedenfalls. Das war zu Beginn der 30er Jahre der erste und für lange Zeit einzige Tadel, den Manfred von Brauchitsch, Silberpfeil-Rennfahrer und deutscher Volksheld, dem Führer insgeheim antat. Diese ernsten Zweifel an Hitler beschlichen ihn aber erst, als er ihn in die Bedienung eines sondergefertigten offenen Mercedes einwies. Der hatte Dampf unter der Haube, zwar nicht die 556 PS des Brauchitsch-Rennwagens, aber immerhin die monströse Kraft eines Kompressormotors.

Was aber wollte Hitler? Hitler wollte höchstens 60 Stundenkilometer schnell gefahren werden, und Hitler, sagte von Brauchtisch später, hatte sich nur für eines interessiert: Wo hält man sich fest, wenn man stehend Auto fahren will? Hitler interessierte sich für Macht und Nazitum, von Brauchitsch für Autos und Rennen, beide ausschließlich – so kamen beide nicht eben selten zusammen.

Das erste Mal auf dem Obersalzberg, als Hitler noch nicht an der Macht war. Von Brauchitsch wollte Geld für seine Rennen, Hitler ein Idol in den NS-Reihen. Ein Held, wie sie früher mal waren, cholerisch, draufgängerisch, siegreich, eine starke, saftkraftige Figur – das alles ist Manfred von Brauchtisch schon vor seinem legendären Nürburg-Eifelrennen-Sieg von 1934 gewesen, dem ersten in der Geschichte der Silberpfeile.

Damals traten erste Grand-Prix-Reglementierungen in Kraft: 750 Kilo Maximalgewicht für den Wagen, ohne Benzin, Öl, Kühlwasser, Reifen. Der Mercedesrenner W 25 wog am Vorabend 751 Kilo, und von Brauchtisch, der daneben stand, sagte etwas von "Da sind wir die Lackierten". Dies ist der Legende nach der Beginn der Mercedes-Silberpfeile gewesen. Über Nacht schmirgelten Mechaniker den weißen Lack bis aufs blanke Metall herunter, über ein Kilo Farbe. Von Brauchitsch gewann souverän.

Ein Siegerkranz nach dem anderen

Von 1929 bis 1939, die letzten fünf Jahre als Werksfahrer von Mercedes, beugte er 45 Mal sein Haupt, ein Siegerkranz nach dem anderen legte sich auf seine Schultern. Meistens die goldenen, meistens erster Platz. Nach dem Krieg gab er zu, sein Freund und (neben Bernd Rosemeyer) schärfster Rivale Rudolf Carraciola sei der bessere Fahrer gewesen. Aber der kühnere, unberechenbarere, todesmutigere war von Brauchitsch. Er fuhr rücksichtslos, zerdrosch die Maschinen, setzte sein Leben aufs Spiel. Es gab Rennen, bei denen er Räder verlor, bis zu fünf Mal. 1934 verunglückte er schwer beim Training, kurz nach seinem Sieg über Hans Stuck auf dem Nürnburgring. Er kam mit zahlreichen Brüchen und einer Augenverletzung davon.

Wenn von Brauchitsch in seinem über 350 Stundenkilometer schnellen Achtzylinder am Start erschien, als einziger im Mercedes-Team mit roter statt weißer Stoffhaube auf dem Kopf, wenn er die Gummiwülste seiner Rennbrille von der Stirn ins Gesicht zog, dröhnte der Holzboden der Berliner Avustribüne unter dem Getrampel der Bewunderer wie ein gewaltiger Trommelwirbel. Sein Ruhm schuf ihm eine solche Unangreifbarkeit, dass sich von Brauchitsch eine Prügelei mit Reichsjugendführer Baldur von Schirach leisten konnte. Der sei ihm im eigenen Hause krumm gekommen, da habe er ihn erst vermöbelt und danach zum Pistolenduell gefordert.

Von Brauchitsch hat 1939 eine jüdische Freundin, lebt seit sieben Monaten in der Schweiz bei Caracciola, als Hitler seine ersten Kriegszüge unternimmt. Man bringt ihn sanft zur Räson. Als Sohn eines preußischen Offiziers und zackig-forscher, militärbegeisterter Charakter, der bis zu einem frühen Motorradunfall selber Karriere in der Armee machen wollte, kehrt er nach Deutschland zurück. Zuletzt dient er, wenig kämpferisch, ab 1944 als Referent im Rüstungsministerium unter Albert Speer.

1954 Flucht von West nach Ost

Nach dem Krieg wanderte von Brauchitsch nach Argentinien aus, für kurze Zeit und wohl auf der Suche nach einem neuen rennsportlichen Anfang. Er kam rasch wieder zurück. In München gingen die Geschäfte lau. Die Rennen, die er organisierte, wollten nicht so recht laufen, er war zwar immer noch berühmt – aber draußen, abgeschrieben, eine historische Figur. Nur Walter Ulbricht hofierte ihn mit Respekt und auch mit Geld. Für sein 1950 verfasstes, 1953 erschienenes Buch "Kampf um Meter und Sekunden" zahlte der Ost-Berliner Verlag der Nation 75.000 Ost-Mark, die Ulbricht ihm eins zu eins in Westwährung wechseln ließ.

Von Brauchitsch begann, SED-Aufrufe zu unterschreiben, übernahm Ehrenposten und Präsidentschaften kommunistischer Organisationen. Der Westen ließ ihn überwachen – im Mai 1953 wurde er wegen Verdachts auf Hochverrat verhaftet. Nach acht Monaten wurde er "auf Ehrenwort" auf freien Fuß gesetzt – und flüchtete im März 1954 in die DDR. Dort lebte er, geehrt mit diversen Präsidentenposten und doch isoliert. Er besaß ein Haus auf großzügigem Grund, es gab Chauffeur und Haushaltshilfen. Dennoch ist der "Prototyp des aristokratischen Herrenfahrers", wie es über ihn hieß, mit der DDR nie richtig warm geworden.

Von Brauchitsch, der bis zuletzt eisern jeden Morgen nach ausgiebigem Frühsport unter die kalte Dusche ging, starb 97-jährig in seinem Haus in Gräfenwarth bei Schleiz, wo er mit seiner 13 Jahre jüngeren Frau seit seiner Flucht aus dem Westen gelebt hatte.