Unsichere Sicherheitstechnik

Na ja, der Herr Villeneuve, der lehnt sich immer gern weiter aus dem Fenster als die anderen Formel-1-Fahrer. Das dachten viele, als der Ex-Weltmeister vorm Saisonstart den ab 2003 vorgeschriebenen Kopf-und-Nacken-Schutz HANS (Head And Neck Support) heftig attackierte: "Das Ding ist lebensgefährlich, es kann einem Piloten das Rückgrat brechen." Doch das HANS-Problem ist viel dramatischer als bisher öffentlich bekannt. Labortests in den USA haben mindestens zwei tödliche Gefahren des neuen Sicherheitssystems entlarvt:

1. Die derzeit verwendeten beiden Bänder aus Kevlar, die über zwei eiserne Ösen den Helm des Fahrers mit einem auf seinen Schultern liegenden U-förmigen Kragen aus Kohlefaser verbinden und mit ihm bei Unfällen das Vorschleudern des Fahrerkopfes reduzieren sollen, reißen bei einer Belastung von knapp einer halben Tonne. Obwohl der Automobil-Weltverband (FIA) einen maximalen Belastungswert von 1,4 Tonnen empfiehlt.

2. Der HANS-Kragen selbst bricht ebenfalls, wenn ihn mehr als eine halbe Tonne Zug treffen. Und zwar häufig auch an der hinter dem Helm aufragenden Nackenstütze. In beiden Fällen hat der Fahrer keine Überlebenschance! Wenn nur eines der beiden Bänder reißt, wird dem Fahrer durch den Rückschlag des zweiten, nicht gerissenen Bandes im wahrsten Sinne des Wortes der Hals umgedreht. Noch erschreckender sind die möglichen Folgen beim Zerbersten des Kragens an der Nackenstütze. Klappt die nämlich beim Unfall nach vorn, wirken ihre scharfen Bruchkanten beim Zurückschleudern des Kopfes wie ein Fallbeil.

Bei Schäden keine Haftung

Außer Jacques Villeneuve redet keiner offen über diese Gefahren. Doch hinter den vielen Beschwerden der Fahrer über Muskel- und Knochenschmerzen durch HANS - Barrichello erwirkte in Malaysia so eine Starterlaubnis ohne - steckt wohl vielmehr die Angst vor dem Killercharakter des neuen Systems.

Aber auch alle Sicherheitsexperten halten sich bedeckt. Auf Anfrage von AUTO BILD motorsport bestätigt zum Beispiel Oliver Schimpf, der Chefentwickler von Schuberth-Helme, nur: "Ja, bei unseren internen Tests sind Haltebänder und -haken gerissen." Schimpf gibt außerdem zu, dass er in seiner Braunschweiger Hightech-Helmfabrik inzwischen intensiv nach besseren Lösungen forscht.

Denn Schuberth sitzt eine Riesensorge im Nacken: Michael und Ralf Schumacher, Rubens Barrichello und Nick Heidfeld und seinen anderen Topkunden außerhalb der Formel 1 soll bloß nichts passieren, was ihren Helmlieferanten schlecht aussehen lässt. "Was nützt es, wenn ich an unseren Helm ein Auto hängen kann, ohne dass er auseinander reißt, wenn das hintendran der Rückhaltemechanismus nicht aushält?!", sagt Oliver Schimpf.

Deshalb kommt bald ein verbessertes HANS-System komplett made by Schuberth. Derzeit werden Kragen, Bänder und Ösen für HANS von verschiedenen Herstellern geliefert, die bei Schäden keine Haftung übernehmen wollen.

Kommentar von Leopold Wieland

"HANS soll neuerdings auch der Formel 1 mehr Glück im Unglück bringen. Wie vielen Rennfahrern, seitdem dieser Kopf-und-Nacken-Schutz 1990 erfunden wurde. Doch der vermeintliche Lebensretter ist momentan noch eine tödliche Gefahr. Dann nämlich, wenn ein Pilot mit mehr als Tempo 150 unglücklich gegen einen festen Widerstand prallt. Das beweisen Tests in den USA.

Das besonders Erschreckende daran: Die Grenzwerte der Mindestbelastbarkeit von HANS, die der Automobil-Weltverband - man lese und staune - empfiehlt, also nicht vorschreibt, werden derzeit von keinem der von verschiedenen Firmen gebauten Modelle erfüllt. Nicht mal halb so viel Zuglast wie empfohlen halten die auf die Schultern aufgesetzten Kragen und ihre am Helm befestigten Bänder aus.

Aufwachen, werte Regelmacher! Sicher machen, dieses im Grunde ja so sinnvolle Schutzmittel! Also auch bei HANS: Her mit festen Belastungsstandards und -kontrollen!" Leopold Wieland, Chefredakteur AUTO BILD motorsport