Der Orbit 360 Berlin ist am 1. August mein zweiter Versuch, eine Orbit-Strecke zu finishen. Nach meinem DNF in Bremen geht es wieder in ein Stadt-Bundesland: Berlin. Für die 230 Kilometer und 1250 Höhenmeter habe ich mir Begleitung von meinem Kumpel Hannes geholt, das geht zwar nicht in die Rennwertung, aber da muss ich eh nicht hin. Rennen oder Radtour; Gravel ist, was man draus macht. Das dachten sich wohl auch die Planer, dazu später mehr.
Der Track führt im Uhrzeigersinn einmal um die Hauptstadt herum. Wir beginnen unsere Tour nach einer 30-Minuten-Anfahrt aus der Innenstadt. Unsere Startzeit ist morgens um halb sechs, unweit des offiziellen Startpunkts am Treptowkanal im Südwesten Berlin. Es verspricht ein heißer Tag zu werden, was das Radeln am Morgen umso schöner macht. Ein Fuchs läuft vor uns über den Weg, Wildtiere sind in den Außenbezirken Berlins kein seltener Anblick. Kurz darauf geht es in den Wald und wir bekommen einen ersten Vorgeschmack darauf, was uns den Rest des Tages erwarten wird: Wald und Wurzeln. Es geht über knorrige Trails durch den Grunewald im Westen Berlins. Derr Grat zwischen spaßigen Waldpisten und knackigen Trails ist schmal. Alles fahrbar, aber mit Konzentration.

Nach einem kurzen Espresso-Stopp treffen wir zwei weitere Orbiter. Sie fahren mit Freunden, die später dazu stoßen, kürzen ein paar Schlenker ab und fahren, wie sie Lust haben. Tolle Variante, Gravel ist, was man draus macht. Wir verlieren die beiden wieder an einer Treppenpassage mit anschließender Atempause. Gut, ist auch eine willkommene Pinkelpause und die Insta-Community möchte vor dem Wannsee-Panorama bedient werden. Die Treppen hochzusteigen ist zwar etwas nervig, fällt aber noch unter „muss halt sein, damit man auf den schönen Track kommt“.

Berlin: Zwischen Wäldern und Wohnblöcken

Dass wir direkt neben der größten deutschen Metropole fahren, vergessen wir immer wieder. Ruhige Wälder, die Flusslandschaft an der Havel und Kleingartenkolonien lassen Urlaubsfeeling aufkommen. Und plötzlich verlässt man ein Waldstück und findet sich auf breiten Straßen neben hohen Häusern wieder. Berlin ist erstaunlich vielfältig.
Die mit Abstand meiste Zeit des Tages verbringen wir im Wald. Was uns an diesem heißen August-Tag sehr entgegenkommt. Am Teufelsberg müssen wir ein paar Minuten schieben, hochfahren wäre zu anstrengend. Vom Norden der Strecke bleiben vor allem die Sandkisten in Erinnerung: Immer wieder müssen wir kräftig durch den Sand treten oder gleich schieben. Besonders anspruchsvoll ist, wenn der Sand nach einer Abfahrt unten auf uns wartet. Ich muss an die Kollegin Schrade denken, die in Brandenburg ähnliches erleiden musste. Auch das ist Gravel und mich tröstet der Gedanke, dass hier alle, egal ob mit 35, 40 oder 55 Millimeter Reifenbreite, schieben müssen. Einmal fällt mein Mitfahrer Hannes in einer Sandkurve auf dem Rücken und bleibt zum Glück unverletzt. Auch ich habe schon eine Beule an der Schulter, nachdem ich auf einem Trail mit einem Baum gekuschelt habe. Nach vielen Stunden im Sattel lässt die Konzentration nach.
Irgendwann, nachdem wir den Norden umrundet haben, kommen wir im Osten Berlins raus. Nach den Wohnblöcken von Marzahn erreichen wir den Müggelsee. Inzwischen ist es 17 Uhr und wir sind schon zwölf Stunden auf dem Rad. Dumm, dass wir erst 150 Kilometer geschafft haben. Wir haben zwar nicht gebummelt, sind aber auch nicht im Rennmodus gefahren. Da der Weg zu einem Großteil über Trails mit regelmäßigen Sandpassagen führt, kommen wir kaum auf Geschwindigkeit. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit heute. Ich würde gern am Müggelsee in der lauen Abendstimmung ein Eis essen, aber wir müssen weiter.

Stimmungswende im Osten

Kurz darauf eine echte Gemeinheit der Streckenplaner, der Kanonenberg. Einfach nur ein steiler Anstieg, der die Kraft aus den Beinen saugt. In der Routenbeschreibung werden die Müggelberge als ein Highlight des Streckenplaners ausgewiesen. Sehen wir nicht so: Eine Bikepark-Abfahrt, die normalerweise auf Fullys mit Protektoren gefahren wird, müssen wir runterrutschen. Gravel ist hier das, was daraus gemacht wurde.
Schade, dass wir den Abend am Müggelsee überhaupt nicht genießen können. Das blaue Wasser, auf dem die Boote schippern, Stadtbewohner, die am Wasser dösen; alles, worauf wir achten sind zwangsläufig Wurzeln und Baumstämme. Tipp: Wer auf zehn Kilometer über Wurzeln keine Lust haben sollte, kann bequem zwischen Müggelheim und Gosen abkürzen.

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Kamera
Die Bilder vom Orbit 360 Berlin

Längst ist klar, dass wir nicht mehr bei Tageslicht ankommen werden. Was auf dem Streckenprofil zügig aussah, entwickelte sich in der Praxis zu einer zeitraubenden Frickelei. Wir brauchen Motivation für den letzten Teil und holen uns in Königs Wusterhausen eine Pizza. Auf den Feldwegen zum Flughafen Berlin-Schönefeld verlieren wir im Dunkeln weiter an Geschwindigkeit. Auf der langen Geraden neben der Startbahn machen wir immerhin ein bisschen Strecke. Kurz darauf sehen wir wieder einen Fuchs. Dann kann es ja nicht mehr weit sein. Die letzten Kilometer vermitteln wieder den Eindruck, die Streckenplaner mussten unbedingt bei Komoot jeden Trail mitnehmen: Man fährt parallel zu befestigten Radwegen über ruckelige Felder und nimmt jedem Trail mit, den es noch zu holen gibt (ganz ehrlich: Ein paar davon haben wir uns am Ende gespart). Mein Freund Hannes, der in Berlin wohnt und sich hier auskennt, ist genervt, denn er kennt einen viel besseren Radweg, der jetzt im Dunkeln umso nützlicher wäre.
Um halb 12 ist es dann geschafft, nach über 18 Stunden. Wir sind wieder dort angekommen, wo wir gestartet sind. Stolz und Freude mögen nicht so recht aufkommen. Wir radeln noch eine halbe Stunde zurück in die Stadt und setzen uns mit Bier vor den Späti. Berlin total! Mir persönlich hätte es am Müggelsee bei Kilometer 150 gereicht, bis dahin war es ein toller Tag auf dem Rad. Wer die Strecke genießen möchte, kann sie gut an zwei Tagen fahren, Nahverkehr und Übernachtungsmöglichkeiten gibt es genug. Wer die Herausforderung an einem Tag sucht, bekommt eine relativ kurze, aber anspruchsvolle, langsame Strecke mit ganz viel Wald. Es bleibt dabei, Gravel ist, was man draus macht.

Tipps zum Orbit 360 Berlin:

Reifenwahl: Ich bin wieder mit den Schwalbe G-One Allround in 40 Millimeter Breite gefahren. Da es nur wenige Straßensegmente gibt, ginge sogar etwas mehr Profil
Versorungslage: Man kommt an genügend Ortschaften und Stadtteilen mit Supermärkten, Tankstellen, Eisläden, Biergärten und Restaurants vorbei. Wer Gewicht sparen möchte, kann häufig auftanken und nur wenig einpacken
Varianten: Der Track beinhaltet ein paar Schleifen, die man bequem abkürzen kann. Auch Teilstücke zu fahren bietet sich geradezu an, regelmäßig kommt man an S-Bahn-Haltestellen vorbei

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