Bekannt sind sie, die Beamten der Fahrradstaffel Osnabrück. Als Henner Salow (39, im Bild vorn) und Dennis Boddenberg (44) mit ihren E-Bikes an der Ampel halten, werden sie sofort angesprochen. „Wollt ihr auch eins?“, lallt ein junger Mann, der sich mit einem Kasten Bier in einem Hauseingang niedergelassen hat. Oberkommissar Salow lehnt ab. „Später vielleicht“, antwortet er und tritt in die Pedale.
Die beiden Polizisten sind weithin sichtbar: Ihre Jacken leuchten knallgelb, ihre Fahrräder sind mit Reflektoren beklebt. So richtig polizeilich wird die Sache aber erst, wenn sie einen Knopf am Lenker betätigen. Dann blitzt und leuchtet das Fahrrad in gleißendem Blau. Ein weiterer Knopf bringt das 1,3 Kilogramm schwere Martinshorn zum Heulen, das sich in einer Seitentasche befindet. Die Fahrrad-Cops sind auf zwei Rädern unterwegs, so wie sie klingen, könnten sie in einem Polizeibus sitzen.
Polizei-Staffel
Die blauen Blitzlichter befinden sich am Lenker und an der Seite. Das Martinshorn ist in der Seitentasche verstaut.
Bild: Steve Przybilla

Nah am Bürger

In Deutschland ist das ein Novum. Nirgendwo sonst fahren Polizistinnen und Polizisten mit Fahrrädern umher, die mit Blaulicht und Martinshorn ausgestattet sind. „Manche belächeln das“, sagt Salow, „aber das Feedback ist durchweg positiv. Wir werden inzwischen von Leuten begrüßt, die uns früher nicht angeguckt haben.“ Dass das nicht nur ein Werbespruch ist, zeigt sich auf ihrer Streife durch Osnabrück. An fast jeder Ecke werden sie angesprochen, fotografiert oder um Details zu ihren Vehikeln gebeten – dabei haben sie die Sondersignale noch nicht einmal eingeschaltet. 
Die sportlichen S-Pedelecs schinden Eindruck. „S“ steht für Speed, in diesem Fall bis zu 45 km/h. Bei einem solchen Tempo müssen Zweiräder ein Nummernschild tragen und dürfen nicht auf dem Radweg fahren. „Wir sind superschnell vor Ort“, schwärmt Oberkommissar Salow. Bevor die Fahrradstaffel im April 2020 gegründet wurde, war er zehn Jahre lang im Streifenwagen unterwegs. „Kein Vergleich“, meint er heute. Die frische Luft gefällt ihm.
Polizei-Staffel
Als Serienmodelle kosten die S-Pedelecs 5500 Euro. Durch die Umrüstung liegt ihr Stückpreis bei 7500 Euro. Dank der neuen und hellen Blitzlichter werden die Polizei-Fahrräder in der Dunkelheit deutlich besser wahrgenommen.
Bild: Steve Przybilla

Osnabrücker Sonderweg

Die auffälligen E-Bikes haben einen ernsten Hintergrund: Die Beamten sollen besser gesehen werden, wenn sie zu Einsätzen eilen. In anderen Städten muss die Fahrrad-Polizei noch immer klingeln, um sich den Weg durch Fußgängerzonen zu bahnen. In Kombination mit einem schnellen E-Bike können unachtsame Passanten schnell zur Gefahr werden. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, sieht das ähnlich. Zwar spielten die schnellen S-Pedelecs zahlenmäßig kaum eine Rolle in Deutschland. Aber: „Sie sind letztlich ein Kraftfahrzeug. Da ist es gar nicht abwegig, wenn sich Polizisten bei Verfolgungsfahrten frühzeitig bemerkbar machen.“ 
Darüber hinaus haben die E-Bikes einen symbo­lischen Wert. Der Ordnungshüter, der die Welt im Auto vorbeiziehen lässt, ist out – es lebe der Bürgerkontakt. „Wir gehen beim gesellschaftlichen Wandel mit“, sagt Hendrik Große Hokamp, Leiter der Mobilitätsabteilung bei der Polizeidirektion Osnabrück. Die Behörde, deren Gebiet sich vom Teutoburger Wald bis zur ostfriesischen Küste erstreckt, experimentiert auch sonst gern: So testet man Quads auf den Nordsee-Inseln und Streifenwagen mit Wasserstoffantrieb im städtischen Bereich.
Polizei-Staffel
Ulrich Reu zieht eine Schraube nach. Der Osnabrücker Fahrradhändler hat die Zweiräder polizeigerecht umgerüstet.
Bild: Steve Przybilla
Die E-Bikes einsatztauglich zu machen, war trotzdem nicht leicht. Denn eine Komplettlösung mit Blaulicht und eingebautem Martinshorn gab es in Deutschland bis dato nicht. Fündig wurde die Polizei am Ende vor der Haustür: Der Osnabrücker Fahrradhändler Ulrich Reu erklärte sich dazu bereit, zwei Serienmodelle nach den Wünschen der Beamten umzurüsten. „Ich hatte die Idee schon lange“, sagt Reu, „aber ich wusste nie, ob es einen Markt dafür gibt“. Dass am Ende die Polizei auf ihn zukam, sei ein glücklicher Zufall gewesen.
Ein halbes Jahr lang hat er getüftelt – inklusive Zusatz-Akku für das Martinshorn. Auch einen Blinker hat er eingebaut, was sich im Alltag als nützlich erwiesen hat. Den Arm bei 45 km/h auszustrecken, wäre schließlich eine wackelige Angelegenheit. Die fertigen E-Bikes der Marke Stromer kosten je 7500 Euro.
Autor: Steve Przybilla