3,6 Sek. bis Tempo 100; 4,4 von 200 auf null

Als Kind fing sich Horacio Pagani oft eine Rüge seiner Mutter ein: Er korrigierte Schreibfehler so fest mit dem Radiergummi, daß er Löcher ins Papier rubbelte. Heute resümiert der Italiener mit Genugtuung, daß seine Autos diese Marotte – fast – weiterführen. Dank schierer Kraft scheint es, als würden die hinteren 355er-Gummiwalzen Löcher in den Asphalt reißen – beim Beschleunigen wie auch beim Bremsen. Und jetzt noch mehr denn je.

Was zunächst als Facelift des bisherigen 555 PS starken Zonda S 7.3 gedacht war, hat sich als komplettes Nachfolgemodell entpuppt: 60 Prozent aller Teile beim Zonda F ("F" steht für Paganis großes Idol Fangio) sind neu. Im Mittelpunkt glänzen Motor und Bremsen: Der 7,3-Liter-V12 von AMG leistet nun 602 PS und beschleunigt den Wagen in 3,6 Sekunden auf 100 km/h, in 9,8 Sekunden auf 200 km/h. Die Serien-Brembo-Bremsen (380 Millimeter vorn, 355 hinten) werden wie im Testwagen auf 17.250 Euro teuren Wunsch aus Carbon und Keramik gefertigt (380 Millimeter rundum).

Damit benötigt der Wagen nur 4,4 Sekunden von 200 auf null km/h. Der Bremsweg von 100 km/h soll bis zum Stillstand rund 33 Meter betragen – wenn das keine Löcher reißt. Natürlich auch ins Portemonnaie: Knapp 575.000 Euro zuzüglich Auslieferung ist für ein Auto ein stolzer Preis. Aber dafür gibt es – wie von Pagani gewohnt – ein nicht enden wollendes Fest für die Sinne.

Handpoliert brüllt der V12 im Schaufenster

Im Blickfeld zunächst das Herz des Autos, der Zwölfzylinder-Mittelmotor. Den kann jetzt jeder Augenzeuge bewundern, denn der handpolierte Ansaugtrakt ist neuerdings durch eine Scheibe in der Motorhaube sichtbar. Die deutsche Firma MHG Fahrzeugtechnik hat zur Stärkung des 7.3-Liter-Aggregates Airboxen und Abgasstrang optimiert sowie die Elektronik angepaßt. Das Ansaugsystem sorgt dafür, daß jeder Zylinder mit exakt der gleichen Luftmenge versorgt wird. Auf der Abgasseite ist jeder Strang trotz unterschiedlichen Verlaufs exakt gleich lang.

Das Drehmoment des AMG-Motors stieg um zehn auf 760 Newtonmeter. Das ist genug, damit das Auto beim gefühlvollen Lösen der Kupplung ohne Gas anfahren kann. Nicht zu vermeiden: Wer nur ein bißchen mit dem Gas spielt, landet bei rund 20 Litern Sprit im Schnitt. Das wird aber den echten Paganisti nicht stören – er wird sich stattdessen an 345 km/h Spitze erfreuen. Die Fahrleistungen sind nicht nur Ergebnis der Leistungskur, sondern auch des geringeren Gewichts. Dank des großzügigen Einsatzes unter anderem von Carbon, Chrom-Molybdän, Aluminium und Titan wiegt der Zonda nur noch 1230 Kilo.

Damit er auch bei hohem Tempo sicher beherrscht werden kann, steuert die ausgeklügelte Aerodynamik bei 300 km/h rund 600 Kilo zusätzlichen Anpreßdruck bei. 270 Kilo vorn, 330 hinten – Ground-Effekt für den Alltag. Der F steht vorn auf 19-Zoll-Rädern, hinten sogar auf 20-Zöllern. Pagani hat im Vergleich zum S 7.3 den Lufteinlaß vorn vergrößert, die Blinker in die Frontscheinwerfer-Einheit integriert, den Heckdiffusor vergrößert und den Heckspoiler ein- statt zweiteilig ausgelegt, was Verwirbelungen eindämmt.

Letzter Kick: halbvernebelt unter der Kuppel

Der F ist vier Zentimeter länger und zehn Millimeter niedriger als der S 7.3. In der Gesamtansicht gibt das dem flachen Boliden noch den letzten Kick. Wer den F vor sich stehen hat, möchte sofort einsteigen und ohne Unterbrechung nach Le Mans fahren, um es Audi und Aston Martin mal so richtig zu zeigen. Doch wir müssen uns mit den Pisten in der Nähe von Modena zufriedengeben.

Wir lassen uns in das sündhafte Leder fallen, das die Firma Dani auf Kundenwunsch in "old", "shiny" oder "technology" aufarbeitet – ein Service nur für Pagani. Und bewundern die vielen Aluminium-Bedienelemente im Cockpit. Die stammen von Aspa in Modena. Sie hat sich auf extrem kleine Stückzahlen spezialisiert und kann auf diese Weise sehr flexibel agieren. Nardi hat für das Auto ein elegantes, unten abgeflachtes Holz-Lederlenkrad entwickelt. Umgeben von so viel Luxus und einer Glaskuppel, die einen für einen Supersportwagen sehr guten Rundumblick ermöglicht, starten wir halbvernebelt den Motor per Startknopf.

Sofort erwacht der Sauger zum Leben, brüllt in deutlich höherer Tonlage als die 555-PS-Version. Ist der Druckpunkt der Doppelkupplung erst einmal gefunden, läßt sich der Zonda trotz seiner 602 PS spielend leicht fahren. Die Lenkung ist sehr direkt, das Fahrwerk kommt selbst mit schlechten norditalienischen Straßen zurecht – mit viel Komfort. Das Cima-Sechsganggetriebe läßt sich noch nicht so leicht und flüssig schalten, wie man es sich wünscht, aber laut Pagani wird das Getriebe bis zum Serienstart noch kräftig überarbeitet.

Kontakt und technische Daten

Vom Schub müssen wir bei diesem Boliden wohl nicht ausführlich schwärmen. Dazu nur soviel: Sowohl Sprint als auch Bremsen kann zumindest beim Beifahrer fast physische, sicher aber psychische Schäden verursachen. Die Tatsache, daß ein eher ruhig veranlagter Pilot bei 1000 Umdrehungen im sechsten Gang so zügig beschleunigen kann wie ein Golf-Fahrer, der den Ampelstart probiert, ist da schon überraschender. Kein Wunder also, daß einige Pagani-Kunden ihr Auto pro Jahr mehr als 35.000 Kilometer nutzen.

Dennoch bleiben sie exklusiv. Zur Zeit fahren weltweit genau 60 Zonda. Die Auflage des F ist auf 25 begrenzt, und pro Jahr kann Pagani nur rund 15 Autos herstellen – inkl. des 555 PS starken Roadsters. Übrigens: Für die Nimmersatten bietet Pagani vom F auch eine Clubsport-Version an. Die leistet dank geänderter Motorelektronik und verringertem Abgasgegendrucks 650 PS. Preis inklusive Steuern: rund 640.000 Euro. Pagani rechnet damit, daß 18 der 25 F mit dem Leistungskit geordert werden. Das gibt dann noch größere Löcher in der Straße.

Kontakt: www.paganiautomobili.it

Technische Daten: V12-Mittelmotor, längs eingebaut • vier Ventile je Zylinder • Hubraum 7291 cm³ • Leistung 443 kW (602 PS) bei 6150/ min • max. Drehmoment 760 Nm bei 4000/min • Hinterradantrieb • Sechsganggetriebe • rundum doppelte Dreiecklenker • rundum Carbon-Keramik-Scheibenbremsen • Reifen 255/35 ZR 19 vorn, 335/30 ZR 20 hinten • Länge/Breite/Höhe 4435/2055/1141 mm • Radstand 2730 mm • Leergewicht 1230 kg • Tankinhalt 85 l • 0–100 km/h in 3,6 s • Höchstgeschwindigkeit 345 km/h • Preis: 574.482 Euro

Von

Roland Löwisch