Wenn man den Ur-911 und den jüngsten Elfer nebeneinander fahren sieht, könnte man sie für Vater und Sohn halten. Oder Mutter und Tochter, denn die Porsche-Formensprache ist seit Anbeginn der 356er-Zeiten eine feminine, auf Rundungen bedachte Linienführung. In den Worten seines Schöpfers: "Einen typischen Porsche kann man anfassen. Er hat einen Körper. Er ist eine Sie."

Porsche 911 ist immer weiter gewachsen

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Video: Porsche 911/992 (2019)

So fährt sich der neue 911er!

Erstaunlich, in welche Dimensionen der Archetyp des deutschen Sportwagens gequollen ist, wenn man diese zwei Modelle nebeneinander betrachtet: den filigranen Ur-Elfer, in diesem Fall ein Modell von 1965, und seinen knackfrischen Enkel, den flammneuen 992. Mehr als ein halbes Jahrhundert 911-Geschichte und -Geschichten liegen zwischen dem Winzling im schmucklos nüchternen Beige und dem knallgelben Letztgeborenen. Der Größenunterschied ist so gewaltig, dass der Oldie wie ein schmächtiger Heranwachsender aussieht neben dem mächtigen Hinterteil des 992. Allerdings ist Größenwachstum keine 911-Erfindung. Das zieht sich durch alle Klassen, Sie kennen das. Was dem Porsche eigen ist: die ikonenhafte Erscheinung. Diese Grundform, die Porsche nun in der achten Generation evolutioniert hat.

Sportwagen-Ikone geboren in schwieriger Zeit

Porsche 911
Form followes function: Das Elfer-Urmodell hatte wenig mit Design am Hut – wurde aber stilprägend.
Beim Ur-Porsche schlechthin, dem 356, taucht sie zum ersten Mal auf. Was viele vergessen: Mit Design hat das damals gar nicht so viel zu tun. Der Wagen stammt aus der (Nachkriegs-)Zeit besonderer schwäbischer Sparsamkeit. Einer Zeit, in der es Ingenieuren oberflächlich und verschwenderisch erscheint, über Design nachzudenken. Ihnen geht es um die Funktion. Zwischen dem ersten 911 von 1963 und dem aktuellen gibt es sechs weitere Generationen. Und bei jedem heißt es: Das ist der beste Elfer aller Zeiten. Mit einem Zwischentief beim 996. Sie wissen schon, der mit den Spiegeleier-Augen. Wir haben alle versammelt, wollen auf die Zwischentöne achten, den Reiz des wichtigsten deutschen Sportwagens ergründen. Bis auf den aktuellen 992 stehen alle normalerweise im Museum. Heute verschaffen wir ihnen etwas Auslauf.

Alle acht Elfer-Generationen im Schnell-Check:

Ur-911 (1965): Bei der ersten Annäherung wirkt er zart und zerbrechlich, nach heutigen Maßstäben gar winzig klein, mit großer Eleganz und viel feinen Chromteilen, aber weit entfernt von einem muskulösen Auftritt. Designt wirkt hier gar nichts. Die Schlichtheit der abfallenden Dachlinie von der Seite betrachtet, eines der Signature-Details jedes Elfers bis heute, Man lenkt zwar mit ungewohnt großen Winkeln, doch ist das leichte Taubheitsgefühl um die Mittellage überwunden, spurt der Elfer exakt. Vor allem: Er untersteuert nicht, ist sehr leichtfüßig unterwegs. Der Motor klingt ansprechend, doch die Fahrleistungen sind aus heutiger Sicht bescheiden – was damals nicht gilt: 130 PS bei 1080 kg lassen den Sprint auf 100 km/h in immerhin 9,1 Sekunden passieren, auch die Vmax von 210 km/h ist damals von Beginn an auf Topniveau. Die bis 1973 stetig wachsende Modellpalette des ersten Elfers kulminiert sportlich im legendären "Entenbürzel" 2.7 RS respektive dem Rennpendant RSR 2.8.
G-Modell (1989): Für viele ist er der Elfer schlechthin, deutlich stärker, ausgefeilter und ausgereifter als der Ur-Elfer, und weniger gestylt als der 964 mit den dicken Plastiklippen vorn und hinten. Doch zu seiner Zeit fällt auch schon das G-Modell mit seinen später Kult gewordenen Faltenbalg-Stoßstangen bei manchem Porsche-Fan in Ungnade. Dabei ist der G bis zum 997 der Bestseller mit fast 200.000 verkauften Exemplaren, und er ist der Elfer mit einer der größten Bandbreiten an Varianten. Das G-Modell ist ein Riesensprung, bringt eine Hubraumerhöhung auf zunächst 2,7 Liter, bis zum Ende der Bauzeit klettert der Hubraum auf 3,2 Liter und 231 PS (Turbo: 3,3 Liter, bis 330 PS). Das Fahrgefühl ist puristisch, mit direkterer Lenkung als im Ur-Elfer zwar und stabilerem Fahrverhalten durch das neue Fahrwerk; doch die servolose Lenkung erfordert hier auch wegen der breiteren Spur und der breiteren Reifen beherztes Zupacken, die stehenden Pedale wollen kräftig getreten werden. Und man spürt das höhere Gewicht.
964 (1993): Der 964 soll den 911 wieder in die Spur bringen und tritt auch optisch entsprechend modern auf: Die dicken Kunststoffstoßfänger sind Ende der 80er auf der Höhe der Zeit, dennoch ist der Typ 964 der Elfer mit den geringsten Verkaufszahlen. Gleich zum Marktstart kommt der 964 mit Allradantrieb, setzt auf Doppelzündung, hat als Erster einen ausfahrbaren Heckspoiler und einen glatten Unterboden; er kommt mit ABS und Servolenkung, erhält eine neue Mittelkonsole mit kurzem Schalthebel, McPherson-Federbeine ersetzen die vorderen Drehstäbe. Die Lenkung zeigt eine zeitgemäße Direktheit, das Einlenken vermittelt hier sportlichere Züge als bei den Vorgängern, alles passiert unmittelbarer und exakter als in den Vorgänger- Generationen. Auch der jetzt kurze Schalthebel lässt das Schalten sportiver von der Hand gehen. Die sportliche Speerspitze markieren der Turbo S Lightweight, gleichsam der Urahn des GT2, die RS-Modelle oder das Sauger-Äquivalent RS 3.8 Coupé. Nur sechs Jahre lang läuft der 964.
993 (1997): Nach 30 Jahren ist es Zeit für Neues, äußerlich sichtbar durch die stark modifizierte Frontpartie mit den flacheren Kotflügeln, die vollständig integrierten Stoßfänger, neue Frontscheinwerfer und wie beim Vorgänger 964 einen Heckspoiler, der nur bei Bedarf ausfährt. Die McPherson-Vorderachse wird im Detail verbessert, hinten kommt jetzt eine Mehrlenkerachse zum Einsatz; eine Maßnahme, um Lastwechselreaktionen und Übersteuerneigung zu reduzieren. Wieder entschärft Porsche die Nachteile des Heckmotorprinzips ein Stück, wieder wird der Elfer etwas einfacher zu fahren. Das neue Fahrwerk bringt zusammen mit der überarbeiteten Servolenkung ein Fahrgefühl, das ziemlich geschliffen rüberkommt. Der Perfektionsgrad des 993 markiert eine Zäsur. Walter Röhrl sagte über den 993: "Für die Vorgänger brauchte man noch ein feines Händchen. Den 993 muss man schon provozieren, damit er querkommt." Auch die 993-Baureihe kennt zahlreiche Highlights: Der Turbo geht mit 408 PS und geregeltem Allradantrieb als Wiedergeburt des 959 durch, der RS soll den Breitensport ebenso befeuern wie der GT2.
996 (2000): Schon durch die Umstellung von Luft- auf Wasserkühlung stellt Porsche die gusseiserne Elfer-Fangemeinde mit dem 996 auf eine harte Probe. Dazu kommen die "Spiegelei-Scheinwerfer". Auf der Habenseite findet sich eine starke Betonung des GT-Charakters durch gesteigerten Fahrkomfort und mehr Platz. 18,5 Zentimeter mehr Raum liegen zwischen Front- und Rückleuchten, auch der Radstand wächst um acht Zentimeter. Der 996 ist einer der größten Sprünge innerhalb der Elfer-Dynastie, nach dem weitgehend entschärften 993 geht der Neue als "narrensicher" durch. Hier beginnt die finale Perfektion des Elfers, so schnell und gleichzeitig entspannt fahrbar ist bis dato noch kein Elfer. In acht Jahren Bauzeit wird der 996 Familienvater etwa eines Targas, der Turbo-Zweig bringt auch ein Cabrio hervor, bei den sportlichsten Familienmitgliedern mischt neben dem GT2 erstmals auch ein GT3 mit, der gegen Ende der Bauzeit sogar noch den ultimativen Ritterschlag zum RS erfährt.
997 (2006): Optisch geht es einen Schritt zurück nach vorn, die Scheinwerfer verlieren ihre Ähnlichkeit zu Boxster und Cayman und orientieren sich wieder mehr in Richtung 964. Die Kotflügel werden wieder mehr betont, auch in dieser Generation nimmt der Elfer in der Breite zu, bekommt aber eine ausgeprägte Taillierung. Ein Thema des 997 ist das aktive Fahrwerk, das eine brauchbare Spreizung zwischen der alltagstauglichen Normalabstimmung und einem straffen Sportmodus erlaubt. Am Steuer des 325 PS starken Targa fühlt man sich auf Anhieb wohl, ergonomisch passt hier alles. Von der supergenauen und feinfühligen Lenkung bis zum kurzen Schalthebelchen mit kugeligem Kopf und einer stoischen Neutralität und Ruhe der Karosserie legt der 997 sehr schnell eine etwas härtere Gangart nahe. Der gefahrene Allrad-Targa stammt noch aus der Zeit vor der großen Modellpflege, die mit Benzin- Direkteinspritzung und Doppelkupplungsgetriebe inklusive Launch-Control einen weiteren großen Schritt macht. Zur riesigen Familie – es sind insgesamt 24 Varianten – gesellen sich in der 997-Generation besondere Neuauflagen mit Geschichte wie etwa der Speedster.
991 (2013): Der 991 ist ein alter Vertrauter in vielen Spielarten, und er erfüllt in jeder recht perfekt, was man von ihm erwartet. Er ist der meistverkaufte Elfer (217.930 Stück in sieben Jahren), knackt die Millionengrenze und feiert 2013 seinen 50. Geburtstag. Die Fahrt beginnt weniger gespannt als schlicht routiniert; ohne bewusst darauf hingearbeitet zu haben, ertappt man sich nach drei, vier Kurven dabei, richtig Tempo draufzuhaben, doch noch immer springt seltsamerweise kein Funke über. Die Perfektion hängt gerade etwas in der Luft. Vielleicht ist das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, das hier abtörnt? Nicht, weil es nicht gut wäre. Aber es wirkt nach all den handgeschalteten Oldies, als wäre eine taktile Verbindung zum Auto gekappt.
992 (2019): Der neue Elfer lässt seinen direkten Vorgänger schnell betagt wirken; die Vorderachse entwickelt viel mehr Biss, die Lenkung agiert direkter und sehr viel gefühliger. Die Kurventempi wirken höher (und sind es auch, unter anderem dank breiterer Spur), das neue Achtgang-PDK agiert gewohnt perfekt, das ganze Auto wirkt noch ruhiger als der schon überhaupt nicht nervöse 991 – es ist wieder einmal eine neue, schnellere Welt, die der aktuelle 911 Carrera S verspricht. Nebenbei bewegt er sich auch wieder auf seinen Urahnen zu, etwa mit den überlappungsfrei nebeneinanderliegenden fünf Rundinstrumenten. Die sind zwar bis auf den zentralen Drehzahlmesser virtuell; doch wenigstens der hat noch einen echten Zeiger. Ganz wie früher.