Acht Jahre war ich alt, da sah ich zum ersten Mal einen Rallycross-Lauf in Buxtehude auf dem Estering. Ich war sprachlos. Flachschnauzen-Elfer und BDAEscorts schenkten sich nichts. Aber auch gar nichts: Auf zwei Reifen wurde um Positionen und Pokale gekämpft, das Messer zwischen den Zähnen der Piloten war förmlich sichtbar. Action pur und das bei niedrigsten Eintrittspreisen. Motorsportherz, was willst du mehr. Doch es sollte geschlagene fünfundzwanzig Jahre dauern, bis ich selbst erleben durfte, was es heißt, Rallycross zu fahren.

Messer zwischen den Zähnen

Rallycross
Das ausgerechnet ein EX-WRC-Seat Cordoba dabei mein Untersatz sein würde, hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt. Jenes Über-Auto mit dem noch vor wenigen Jahren Toni Gardemeister, Didier Auriol und Matthias Kahle die Konkurrenten phasenweise demontierten? Und ich darf selbst fahren – Weihnachten ist also doch am 8. Juni 2002. Allerdings sind die Umstände, unter denen das alles stattfindet, ungewöhnlich. Dabei ist es weniger die Tatsache, dass ich fahren darf. Es ist vielmehr die Art und Weise, mit welcher souveränen Selbstverständlichkeit mir Torben Møller sein Fahrzeug zur Verfügung stellt. Meiner Bitte nach einem Track-Test kommt der sympathische Däne so spontan wie der Frage nach der Uhrzeit nach: "Gern, am besten jedoch am Samstag vor dem Rennen auf dem Estering. Falls etwas mit dem Auto passiert."
Ich habe verstanden – dieser milde Druck wird mich ausreichend disziplinieren. Gemessen an dem, was da an hochkarätiger Technik im Auto versammelt ist, auch zwingend nötig. "Wie viele Stunden haben Sie und Ihr Team in das Auto investiert?" Die knappe Antwort: "2500!" Das reicht, jetzt ist meine Disziplin nicht mehr eisern, sondern eher aus Titan. Wie die vordere Radaufhängung, die aus Gründen der Stabilität und des Gewichtes aus dem sündhaft teuren Material gefertigt wurde. Natürlich aus dem Vollen, versteht sich.

Schönsten fünf Kilometer meines Lebens

Der Blick unter die Karosserie ist möglich, da der Cordoba noch auf Böcken, die seitlich in die Holme gesteckt werden, steht. So habe ich die Chance, mir, gemeinsam mit dem Fotografen, die unter dem Blech versteckten Leckerbissen in appetitlichen Happen zu Gemüte zu führen. Kostprobe? Aluminiumummantelter Antriebsstrang aus Kohlefaser. Dann das Heck des Fahrzeugs, das praktisch in einem speziellen Arbeitsschritt nachträglich an das vordere Teil der Karosserie geschweißt wurde, um die aufwändige Antriebseinheit unterbringen zu können. Oder der Turbolader, dessen Größe den Schluss zulässt, auf der Materialliste einer Reederei zu fehlen.
Genug gesehen, ich will jetzt endlich fahren. Dafür muss ich probesitzen. Schlagartig entgleisen mir die Gesichtszüge. Torben hat viel längere Beine als ich! Jedenfalls lässt seine Sitzposition das Erreichen der Pedale für mich nur mit den Fußspitzen zu. Wie, um Himmels willen, soll ich denn so fahren? "Ist der Sitz verstellbar?", frage ich hektisch. Kopfschütteln der Renn-Mechaniker, Flemming geht sogar weg. Hat er meine wirren Gedanken gelesen? Der fahrgeile Redakteur kurz vor dem Ritt seines Lebens – und dann das! Doch Flemming hat die Lösung des Problems aus dem Renntransporter geholt: ein Sitzkissen in der Größe einer Tischtennisplatte wird mir kurzerhand hinter den Rücken gestopft. Aufatmen, es kann endlich losgehen.
Das letzte Rangiermanöver vor dem Zelt nimmt Torben Møller selbst vor und stärkt aufgrund der vorgetragenen Schnelligkeit das Vertrauen meinerseits in die Kupplung. Die ist zumindest nicht zickig, denke ich mir. Und wie sich später herausstellen sollte, liegen die bisher schönsten fünf Kilometer meines Lebens vor mir. Letzte, lautstarke Anweisungen und es geht los.

Fahreindrücke und Technische Daten

Das konventionell zu schaltende Sechsgang-Getriebe verlangt nach einer energischen, aber nicht brutalen Hand. So rolle ich im Ersten durch das Fahrerlager auf die Start/Ziel-Platte. An der Strecke angekommen, ziehe ich kurz am Hebel – zweiter Gang – und gebe Gas. Und hundert Meter später bin ich ein neuer Mensch. Was war das denn?Notlandung eines Airbus im "Alten Land", ausgerechnet im Heck des Cordoba? 2500 Stunden schießt es mir durch den Kopf. Doch keine Notlandung, sondern die märchenhafte Traktion des Ex-WRC ist die Ursache für den Schub nach vorn.
Der Seat reißt die Straße derart schnell unter seiner nackten Bodenplatte weg, dass ich kaum mit dem Schalten hinterher komme. Unter idealen Bedingungen sind Werte unter drei Sekunden für den Spurt von null auf 100 keine Seltenheit. "Fahre ihn bitte zwei Runden warm, bevor du voll reintrittst." Ja, ja, genau. Das hätte man aber auch mal dem Fahrzeug sagen sollen. Denn hier wird getreten, aber nur in eine Richtung: in meinen Rücken. Realitätsverzerrend, was 600 Newtonmeter mit 1100 Kilogramm Fahrzeugmasse anzustellen vermögen.
Leider sind "meine" vier Runden viel zu schnell vorbei, mein Dauergrinsen ob des eben Erlebten wird dann wohl operativ entfernt werden müssen. Vielen Dank an Torben Møller, der mit Hilfe seiner Sponsoren dieses Auto aufbauen konnte. Seinetwegen bin ich ein anderer als vorher.

Das ist Rallycross

Beim Rallycross handelt es sich um eine Mischung zweier Motorsportarten: Wertungsprüfung einer Rallye und Rundstreckenrennen in einem. Die zunächst gegensätzlichen Charaktere vereinen sich im Rallycross zu einem sinnvollen Ganzen. Am meisten profitieren die Zuschauer, denn auf den oft sehr übersichtlichen Rennstrecken mit einer Länge von etwa einem Kilometer wird von der ersten Sekunde nach Umschalten der Ampel Gas gegeben, dass es eine Wonne ist.
Die Strecken selbst bestehen zur einen Hälfte aus Schotter, zur anderen aus Asphaltabschnitten und sind beinahe über die gesamte Streckenlänge für die Fans einsehbar. Je nach Veranstaltung – ob Rallycross oder Rallycross-Trophy – werden die Fahrer gleichzeitig oder zeitlich leicht versetzt gestartet. Phasen zum Ausruhen oder Möglichkeiten großartiger Taktik-Spielchen entfallen, da die Rennen nur wenige Runden dauern.
In mehreren Vorläufen werden dann die Kandidaten für die A-, B- und C-Finale ermittelt. Wer selbst einmal fahren möchte, jedoch keine Lizenz hat, kann beim Veranstalter vor Ort eine Tageslizenz erwerben. Die Tatsache, dass so prominente Größen wie Jody Scheckter (F1-Weltmeister 1979 auf Ferrari), Björn Waldegaard (Rallye-Weltmeister 1977 und 1979 auf Ford Escort), Francois Delecour und der schnellste Zahnarzt Englands, Dr. Jonathan Palmer, wissen, warum sie süchtig nach Rallycross sind: Es macht einfach einen Heidenspaß. Ich kann das bestätigen.