Dani Sordo (33) weiß, was sich für einen Taxifahrer gehört. „Da sind ein paar eklige Querrinnen auf der Strecke. Spann dort deine Rückenmuskeln kurz an, sonst tut’s weh“, meint der Spanier, offenbar besorgt um das Wohl seines Passagiers Hoffentlich sehe ich die Rücken-Killer überhaupt, denke ich mir, während ich die Hosenträgergurte stramm ziehe.
Der Beifahrer sitzt im Hyundai i20 WRC (World Rally Car) nämlich extrem tief, aus der Windschutzscheibe sehe ich vor allem Himmel. Und Marc Marti (50), der den Platz an der Seite von Werkspilot Dani Sordo normalerweise belegt, ist geschätzt ungefähr halb so groß wie ich ....
WRC
Mit dem Hyundai durch die Weinberge
Für ein paar Kilometer hat Marti seinen Schalensitz für mich geräumt. Sordo will mit mir als Passagier noch einmal einen kurzen Abschnitt einer Wertungsprüfung der Rallye Deutschland fahren, bei der das spanische Duo den zweiten Rang belegte. Sechspunkt-Sicherheitsgurte und Schalensitz verbinden mich praktisch zu einer Einheit mit dem koreanischen Allradler.
Durch den seitlichen Kopfschutz am Sitz und das obligatorische HANS-System am Helm ist meine Bewegungsfreiheit weiter eingeschränkt. Anschauen können Sordo und ich uns nur aus den Augenwinkeln. Meinen nach oben gerichteten Daumen versteht der Spanier trotzdem – auf Knopfdruck erwacht der 1,6-Liter-Turbomotor grummelnd zum Leben.
Wenig später stehen wir am Start. Sordo aktiviert den sogenannten „Stage Mode“. Dadurch wird das Antilag-System scharf geschaltet, das den Turbolader beim Bremsen auf Drehzahl hält und beim Gaswegnehmen für einen rotzenden Auspuffsound sorgt. Per Schaltwippe am Lenkrad hat Sordo den ersten Gang eingelegt. Gleichzeitig tritt er das Gaspedal voll durch, die Startautomatik regelt unter lautem Knattern die optimale Drehzahl ein.
Mit der Handbremse hält mein Chauffeur des Rallye-Taxi ein paar Sekunden fest. Als er en senkrecht bis auf Lenkradhöhe aufragenden Hebel loslässt, schießt der Allradler mit minimalem Schlupf an den Rädern nach vorne.
Nach ein paar Sekunden liegt der sechste Gang an. Die Teststrecke führt mitten durch die Weinberge, auf schmalen Wegen, die normalerweise von den Landwirten genutzt werden. Bei Tempo 150 zischen links und rechts die Reben vorbei, fast wie ein einem Tunnel mit grünen Seitenwänden. Die meisten Kurven sind nicht einsehbar. „Die Wertungsprüfungen an der Mosel gehören zum Anspruchsvollsten, was die Weltmeisterschaft zu bieten hat“, krächzt Sordos Stimme über die Gegensprechanlage.
Schön
Christian Schön auf Abenteuerreise
Dann kommt sie, die erste Querrinne. Sie soll Regenwasser ableiten, ist nicht ganz zwei Meter breit und vielleicht zehn Zentimeter tief. Mit Schotter-Fahrwerk würden sie kaum an die Besatzung durchdringen. Doch dieser Hyundai steht auf einem Asphalt-Fahrwerk. So tief wie möglich, Federn und Stoßdämpfer in der härtesten Stufe, fette 18-Zoll-Räder mit steifen Flanken. Der rund 315 PS starke i20 WRC reagiert auf Lenkbewegungen spontan wie ein Gokart. Ich spüre ohnehin jeden Kieselstein auf der Straße.
Sordo nimmt die Querrinne mit Vollgas. Trotz Vorwarnung verschlägt‘s mir kurz den Atem, als der Hyundai in die Kompression eintaucht. Das Auto schüttelt sich für einen Sekundenbruchteil und kommt leicht quer. Mein Chauffeur korrigiert mit einer blitzschnellen Bewegung am Lenkrad. Solche Reflexe würde ich mir bei jedem Taxifahrer wünschen.
Auf die nächste Rinne bin ich besser vorbereitet. Jetzt macht die Fahrt noch mehr Spaß, auch wenn Sordo nicht so wirkt, als wäre er auch nur in der Nähe des Limits. Ist vielleicht auch ganz gut so. Als er vor der nächsten Spitzkehre wieder einmal mit Hilfe der Handbremse das Heck des Hyundai i20 WRC elegant ums Eck‘ werfen will, schiebt die Fuhre stur geradeaus.
Der – wie Sordos Teamkollege Hayden Paddon gerne sagt – „Spaßhebel“ blockiert nicht nur wie vorgesehen die Hinterachse, sondern gleich alle vier Räder. Wenige Zentimeter vor einer ziemlich unnachgiebig aussehenden Ziegelsteinmauer kommen wir zum Stehen. Sordo lässt einen spanischen Fluch los, dessen Übersetzung ich kaum im Wörterbuch finden würde.
Die verbleibenden Spitzkehren bewältigen wir nur mit mehrfachem Vorwärts-Rückwärts-Rangieren. „Jetzt siehst du mal live, was bei einer Rallye alles passieren kann“, raunzt Sordo. Im Wettbewerb müsste er mit einem solchen zeitfressenden Nachteil möglicherweise einen halben Tag lang leben. Heute ist der Service zum Glück nur wenige hundert Meter entfernt.
Als Übeltäter wird das Differenzial in der Hinterachse entlarvt. Ein ungewöhnlicher Defekt für den i20 WRC. Immerhin hat das in Alzenau (Nähe Frankfurt/Main) beheimatete Hyundai-Werksteam in der laufenden Saison schon zwei WM-Rallyes gewonnen.

Von

Christian Schön