Es war ein grauer, trister Wintertag. Fahrradkurier Manuel P. will nach rechts abbiegen, als ihn ein 40-Tonner übersieht. Der Radfahrer stürzt, bricht sich das Schlüsselbein, der Lkw fährt einfach weiter. Das war vor mehr als acht Monaten, Manuel P. ist noch immer außer Gefecht. Dabei hatte er noch Glück im Unglück. Andere nicht. 456 Radfahrer kamen 2008 bei Unfällen ums Leben, der Kurierfahrer zählt zu den 78.566 Verletzten. Was ist bloß los auf unseren Straßen? Fakt ist: Die Verkehrsdichte nimmt zu, und seit Sprit so teuer geworden ist, steigen viele aufs Rad um. Und machen vieles falsch. "Das Problem ist, dass sich viele Radfahrer nicht an die Regeln halten", sagt Ralf Kunz von der Hamburger Polizei. "Sie benutzen den Radweg auf der falschen Seite, fahren verkehrt herum in Einbahnstraßen oder missachten rote Ampeln." Daher sind in immer mehr Großstädten Polizeistreifen auf dem Fahrrad unterwegs. Und Autofahrer? "Die verzichten beim Abbiegen auf den Schulterblick, gefährden dadurch Radler", so Kunz. Und dann kommt, was kommen muss: Fäuste, Flüche, Pöbeleien. Der tägliche Kleinkrieg.

Ein Fahrradkurier klagt an: "Wir sind doch das schwächste Glied"

Ratgeber Straßenverkehr
Andreas K. (34), seit 2008 Fahrradkurier in Hamburg.
"Zehn Stunden und 100 Kilometer am Tag, meist unter Zeitdruck – da musst du hellwach sein. Denn als Fahrradfahrer bist du das schwächste Glied in der Kette. Das größte Problem sind für uns die Autotüren. Wer am Fahrbahnrand parkt und aussteigen will, achtet in der Regel nicht auf den Verkehr dahinter. Wenn du dann nicht mehr ausweichen kannst, hast du verloren. Deshalb rechne ich immer mit den Fehlern der anderen, denke schon 100 Meter weiter, zumal Autofahrer oft in Gedanken sind, telefonieren, beim Abbiegen nur selten über die Schulter blicken. Aber auch unter uns Radlern gibt es nervige Typen. Ganz schlimm sind die "Vom-Büro-nach-Hause-Fahrer". Die heizen ohne Rücksicht auf dem Radweg. Da denke ich immer: Du lebst nicht lange!"

Ein Taxifahrer klagt: "Öko-Muttis sind überhaupt die Schlimmsten."

Ratgeber Strassenverkehr
Bernd Meister (47) fährt seit 1994 Taxi in Hamburg.
"In der Zeitung steht immer nur, wenn's geknallt hat. Dabei verhinderst du als Taxifahrer ein bis zwei Radunfälle täglich. 75 Prozent der Radfahrer sind Regeln egal, für die musst du als Autofahrer mitdenken. Im Auto bist du der Stärkere, im Zweifelsfall trägst du beim Crash eine Mitschuld. Dabei geht es gerade für uns Taxifahrer um die Existenz. Aber was soll ich machen? Mich aufregen? Bringt doch nichts, das habe ich mir schon lange abgewöhnt. Auch wenn es schwerfällt. Letztens wollte ich aus einer Parklücke fahren, da zwängt sich eine Mutti mit Kind auf dem Rad vor mein Auto. Als ich ihr zu nahe kam, klopft sie wie wild auf meine Motorhaube, streckt mir den Mittelfinger entgegen.  Ich bleibe da ganz locker, sich aufregen bringt ja nichts."

Das sagt der Psychologe

Warum manchmal der pure Hass regiert. Edmund Wirzba ist Verkehrspsychologe in Berlin. Er weiß, wie Radler und Autofahrer ticken. Warum regiert dieser tägliche Kleinkrieg?
Wir fühlen uns benachteiligt, wenn uns andere zu bestimmten Manövern zwingen. Es geht um einen Konkurrenzkampf, bei dem keiner nachgeben will.
Gab es diesen Kampf schon immer?
Schon zu Zeiten der Ritter und Knechte. Jetzt sind die Autofahrer die Ritter in Blech, die Radler die Knechte mit der Mistgabel. Jeder fordert Respekt.
Verstoßen Menschen, wenn sie mit dem Rad unter wegs sind, eher gegen Verkehrsregeln?
Ja und nein. Menschen mit stabilem Selbstwertgefühl sind nicht leicht zu verunsichern. Mit schwachem Selbstwertgefühl ist man für sich und die Gesellschaft eine Belastung. Als Radfahrer fühlt man sich wendig, anonym. Zudem werden Endorphine ausgeschüttet, die angstlösend wirken, man fühlt sich wie im Rausch.
Was sind das für Autofahrer, die pöbeln?
Oft haben sie eine niedrige Bildung, fühlen sich nirgends richtig gebraucht.
Wie kann man das Verhältnis entspannen?
Betrachten Sie sich einfach mal selbst von der Seite, hinterfragen Sie Ihr Handeln, das hilft!

Das sagt der Anwalt – Diese Strafen drohen Fahrrad-Rowdys

Verkehrsanwalt Uwe Lenhart
Verkehrsanwalt Uwe Lenhart: "Als Geisterfahrer zahlen Radfahrer bis zu 30 Euro Strafe."
Müssen immer nur Autofahrer zahlen?

Nein. Uwe Lenhart, Verkehrsjurist aus Frankfurt/Main, erklärt die Strafen für Radler.
Ein Radler zerkratzt meinen Kotflügel. Wer zahlt?

Der Fahrradfahrer. Wenn er sich aus dem Staub macht, zahlt die Vollkasko des Autofahrers. Hat er keine, muss er selbst zahlen.
Die Ampel zeigt Rot, doch der Radler fährt auf dem Gehweg weiter. Ist das erlaubt?

Nein. Eine Ausnahme besteht nur für Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr. Sie müssen, Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen den Gehweg benutzen. Wenn aber ältere Radfahrer auf dem Gehweg unterwegs sind, zahlen sie bis zu 25 Euro.
Darf man Radwege in beide Richtungen befahren?

Auf die Schilder achten. Als Geisterfahrer zahlen Radfahrer bis zu 30 Euro Strafe.
Ich will einen trinken, nehme das Rad. Bringt das den Führerschein in Gefahr?

Die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit von Radlern liegt bei 1,6 Promille. Ab diesem Wert kann angezweifelt werden, ob man zum Führen eines Pkw geeignet ist.

Andreas May

Fazit

Ich bin auch Zweiradfahrer, auf meiner Vespa. Ich könnte auch täglich fluchen. Neulich hat mich eine Frau im Corsa geschnitten, ich musste voll in die Eisen. Blödes Huhn, dachte ich. An der nächsten Ampel lehnt sie sich aus dem Fenster: "Sorry, ich habe Sie nicht gesehen!" Was lernen wir daraus? Kaum einer bringt andere mit Absicht in Gefahr. Deshalb kann es für Zwei- und Vierradfahrer nur eine Lösung geben: Nehmt Rücksicht, beharrt nicht stur auf euren Rechten. Wenn doch mal was schiefgeht: So ein "Sorry" kostet nichts – bringt aber viel.