Schwarzes Gold aus Malaysia

Nach jedem Rennen immer dieser typische Schumacher-Blick auf seine Bridgestone-Reifen - zuerst skeptisch, bevor meist ein Zehn-Punkte-Grinsen seine Züge aufhellt. Der Walzenlieferant gilt als Erfolgsgarant von Ferrari. Dessen Superhirn Ross Brawn ist stets der Erste, der Bridgestones technischen Direktor Hisao Suganuma nach getaner Arbeit in die Arme nimmt.

Der 47-jährige Japaner ist der Vordenker des Reifengiganten. Er steht meist am roten Kommandostand und umklammert eine Datenkladde voller Geheimnisse des schwarzen Goldes. Er weiß:Wenn Schumi bei der Zieldurchfahrt die Faust reckt, haben seine Gummis schon mehrere tausend Kilometer auf dem Profil. Denn Bridgestone fertigt fern im Osten. Der Kautschuk wird sogar aus Malaysia, Thailand und Indonesien geliefert.

200 Kilometer von Kuala Lumpur, die Plantage "Felda Palong 8", 30 Grad Hitze, 93 Prozent Luftfeuchtigkeit: Ein Mann ritzt eine zwei Millimeter tiefe Furche in den Stamm eines 30 Meter hohen Gummibaums. Mehrere tausend davon stehen hier auf mehr als 800.000 Hektar Fläche. An jedem ist ein Schälchen befestigt. Langsam fließt milchige Flüssigkeit aus der frischen Wunde: Kautschuk. Pro Tag und Baum eine Tasse voll.

Die Plantagenbesitzer erhalten einen halben Dollar je Liter. Auf "Felda Palong 8" arbeiten 109.000 Familien (im Schnitt fünf Personen), die jeweils 15 Liter täglich abzapfen. Während der Milchsaft trocknet und sich in schmutziges Braun verfärbt, wird er zu Matten geformt (1,5 kg, 50 cm lang, 15 cm breit, 25 cm dick), dann in Bridgestones Backstube nach Tokio verfrachtet.

Jährlich 115 Millionen Dollar für die Formel 1

Dort schuften 120 Arbeiter in der Fabrik. Bei so subtropischem Klima wie im Kautschukwald. Es stinkt nach verbranntem Gummi, diesem streng geheimen Mix aus Kautschuk, Schwefel, Ruß und Chemikalien. Noch ein bisschen Öl dazu, umso weicher wird das fertige Profil.

Jeder Reifen entsteht in einem drei- bis viertägigen Produktionsprozess. "Die Maschinen laufen bei uns 24 Stunden am Tag, jeden Tag der Woche. Wir brauchen für ein Rennwochenende 1600 Reifen", sagt Hisao Suganuma. Bridgestone investiert 115 Millionen US-Dollar pro Jahr in die Formel 1. Bevor allerdings in Massen für Ferrari, Jordan, Sauber, BAR und Arrows produziert wird, testet Topkunde Ferrari exklusiv einen Prototyp. Die Grundmischung ist immer gleich, nur die Spezifikation ändert sich je nach Streckencharakter, Asphaltstruktur und Klima der einzelnen Pisten.

Fast 50.000 Reifen jetten pro Jahr von Japan nach England. Nachdem sie bereits eine hausinterne Kennung erhalten haben, werden die Rennreifen in der Zweigstelle in Berkshire zum zweiten Mal "tätowiert". Dieser Zusatz-Code wird von Jo Bauer (Technischer Kommissar der FIA) festgelegt und Bridgestone wie Konkurrent Michelin zugesandt. Diese Zahlenkombination kommt auf den Reifenwulst. Anschließend werden die Walzen den Teams zugelost. Vier 22-Tonnen-Trucks kutschieren die Gummis zur Strecke. Für die Übersee-Läufe werden sie direkt von Japan aus verschifft.

Die Bridgestone-Ingenieure fliegen jeden Mittwoch vor dem Rennen zu den Teams in die Fabriken. Kees van de Grint arbeitet an Schumis Ferrari. Der Weltmeister vertraut dem Holländer. Schon 1989 zu Formel-3-Zeiten war der heute 49-Jährige bei Schumacher der Reifenkontrolletti. Das verbindet.

Vertrauen statt Kontrolle

Ferrari und Bridgestone sind Ende 2001 eine bisher einzigartige Partnerschaft eingegangen. "Bis dahin haben beide Partner Informationen zurückgehalten, aber nun liegen alle Daten offen", erklärt Bridgestone-Motorsportchef Hiroshi Yasukawa das Formel-1-Novum. Früher blockierte den totalen Datentransfer die beidseitige Angst, ausspioniert zu werden. Heute, wo die anderen Siegkandidaten BMW- Williams und McLaren-Mercedes auf Michelin-Schlappen rumrasen, ist bei Bridgestone und Ferrari Vertrauen statt Kontrolle Trumpf.

Ferrari ist Bridgestones Aushängeschild. Und tut was dafür. Als einziges Team bildeten die Italiener für 2002 ein eigenes Reifentestteam. Mit 20 Technikern. Testfahrer ist der eigens dafür angeheuerte Luciano Burti. Bridgestone dankt mit einer Walze, die trotz großem Sturz funktioniert. Der massive Abtrieb des Ferrari fördert die Bodenhaftung. Der Verschleiß sinkt durch den sanften Einsatz der Traktionskontrolle.

Zugute kommt dem Gummi, dass im F2002 ein sehr leichter und flacher Motor (94 Kilo) arbeitet. Damit sitzt die Heckverkleidung niedriger und ermöglicht eine bessere Anströmung auf Flügel und Radaufhängungen. Die können entsprechend weicher abgestimmt werden und die Reifen zusätzlich schonen. Das kommt den recht harten Bridgestone-Mischungen entgegen.

BMW-Williams verschleißt hinten die Michelin-Walzen schneller und bringt trotz mehr Power dauerhaft nicht so viel Leistung auf die Bahn. Den anderen Bridgestone-Kunden (Jordan, Sauber, BAR, Arrows) liegt der Kaugummi der Japaner schwer am Wagen. Sie müssen ständig ihre Aufhängungen anpassen und Schumi und Barrichello dennoch sausen lassen. So wachsen Bridgestones Bäume immer weiter in den Himmel.