Reportage Traktor: Claas Xerion 5000
Die spektakulärsten 5 km/h meines Lebens

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Der Claas Xerion 5000 ist Acker-Hightech. Wir haben das 530-PS-Monster unter die Lupe genommen und sind dabei nicht nur vom Kaufpreis beeindruckt.
Bild: Holger Karkheck
Wir Kinder vom Land hatten unsere eigenen Grundgesetze. Sie hießen Bauernregeln, und die gingen so: "Im Juli muss vor Hitze braten, was im September soll geraten." Eine andere Regel reimte sich nicht, interessierte uns Jungs aber besonders: 1000 Mark pro PS. So viel kostete damals übern Daumen ein Trecker. Unsere Trümpfe beim Landmaschinen-Quartett hießen Fendt, Schlüter und Deutz.
Eine andere, allerdings ungeschriebene Bauernregel besagte: "Im Herbst muss Holger auf dem Kartoffelroder steh'n – und nach Würmern in Sieglinde seh'n." Kartoffeln wurden da noch von Hand sortiert. Wie Aschenputtel, nur mit Heidesand.
Monster-Preis für Monster-Gerät
40 Jahre später stehe ich wieder auf einem Kartoffelacker (Sorte: Lady Rosetta). Ich bin inzwischen groß geworden, der Trecker auch. Dicke Puschen? Eher stattliche Wanderstiefel: Reifendurchmesser 2,15 Meter. Vom Acker bis zum Dach knapp vier Meter. Sieben Stufen sind es hinauf in die vollgefederte und vollklimatisierte Kabine. Und was die alte Bauernregel angeht – aus Mark sind heute Euro geworden: 1206 Euro pro PS. Der identisch motorisierte Porsche Taycan ist dagegen ein Schnäppchen (323 Euro/PS).

Taycan vs. Claas: Beide haben 530 PS, aber einer ist schweineteuer
Bild: Holger Karkheck
639 630 Euro für eine landwirtschaftliche Zugmaschine! Aber was für eine: Der Claas Xerion 5000 kommt als Sondermodell mit Sonderlackierung. Ja, auch so was gibt’s beim Landmaschinenhändler. Mit ihm feiert die Trecker-Schmiede aus Harsewinkel (NRW) 25 Jahre Xerion. Und ich werde beschenkt. Denn ich bin heute von der: Pflügenpresse!
Dann entern wir mal das Geburtstagskind: "Rrrrrrrrrrrrr ..." Der luftgefederte Sitz stellt sich automatisch aufs Fahrergewicht ein. Vor mir: ein Joystick wie damals beim Flugsimulator. Mit dem Unterschied: Dies ist kein Pflugsimulator, das ist echt!
Einweisung kann schon mal länger dauern
Neben mir auf dem Notsitz: Martin Dingmann (50), beim Familienunternehmen Claas einer von 12 000 Mitarbeitern, Jobtitel "Sales Promoter Tractor" – das war früher auch anders... Er versucht mir im Schnelldurchlauf die ganzen Hebel und Knöpfe zu erklären, das macht er beim Bauern auch, wenn der einen Xerion gekauft hat. Dauert manchmal einen ganzen Tag.

Sogar der Joystick ist belüftet, damit die Landwirt-Hand nicht schwitzt
Bild: Holger Karkheck
Ein Knopf hebt die komplette Kabine 40 Zentimeter in die Höhe, ein anderer dreht sie anschließend um 180 Grad. Was gerade noch hinten war, ist jetzt vorne. "Der kann vorwärts genauso wie rückwärtsfahren", sagt Dingmann. "Praktisch, wenn man nicht rückwärts ausparken kann", sage ich.
Auch im Schneckentempo spektakulär
Dann geht es los. Ich senke den 7,4-Tonnen-Grubber in den sandigen Boden (ein "landwirtschaftliches Gerät zur nichtwendenden Bodenbearbeitung", Quelle: Wikipedia). Das Ding kostet 70 000 Euro!

Den 7,4-Tonnen-Grubber zieht der Schlepper wie durch Butter
Bild: Holger Karkheck
Ich stelle den Tempomat auf 5 km/h ein. Nie fühlte sich diese Geschwindigkeit spektakulärer an! Per GPS sucht sich der 16,3 Tonnen schwere Xerion die richtige Furche auf dem Feld. Millimetergenau, damit keine Fläche doppelt beackert wird. Denn Zeit ist Geld in der Landwirtschaft.
Ab jetzt übernimmt der Autopilot. Ich könnte nun theoretisch das Soundsystem aufdrehen und Erntedanklieder hören. Oder mir aus dem eingebauten Kühlschrank ein alkoholfreies Getreidegetränk nehmen. Oder Martin Dingmann mal nach den üblichen Quartett-Daten fragen. Die Antworten: 12,8 Liter Hubraum. Reihensechszylinder von Mercedes. 2600 Newtonmeter Drehmoment. 15,7 Meter Wendekreis. Zwei gelenkte Achsen. Stufenloses ZF-Getriebe. 930-Liter-Diesel-Tanks, 90 Liter für Harnstoff.
Nur am Ende heißt es: Bitte wenden!
Vernetzt ist natürlich auch alles. Der Bildschirm zeigt die Tagesleistung in Hektar an. Und im Gerätemanager wählt man einfach den Grubber aus – und schon weiß der Trecker, was er zu tun hat. Nur wenden am Ende des Feldes muss man selbst, aus Sicherheitsgründen. Soll der Boden geschont werden, wählt man den Hundegang – heißt wirklich so. Dann stellt der Trecker die Hinterräder etwas aus, sodass sie leicht versetzt zu den Vorderrädern laufen. Wie ein Hund eben. Vorteil: Vorder- und Hinterräder haben unterschiedliche Spuren.

Der Trecker sucht sich per GPS automatisch seine Spur und fährt autonom
Bild: Holger Karkheck
Führerschein? Klasse T wie Trecker reicht. Darf man mit 16 Jahren machen. Mutig gehe ich auf 10 km/h. Mein Hintern wippt auf dem luftgefederten Sitz, meine rechte Hand ruht auf dem belüfteten Joystick. Zugfrei belüftet, wohlgemerkt. "Sonst hast du abends ja kalte Finger", sagt Dingmann.
Ein Exportschlager auf der ganzen Welt
Profi-Betriebe halten so einen Schlepper etwa fünf Jahre, dann wird er weitergereicht. Rund 150 Xerion verkauft Claas pro Jahr in Deutschland, produziert wird in Harsewinkel – mit Just-in-time-Zulieferern wie in der Autoindustrie. Zwei Drittel der Produktion gehen inzwischen ins Ausland. Frankreich, Großbritannien, USA, Kasachstan.

Die Kabine ist vollklimatisiert und auch der Staub bleibt draußen
Und noch eine Parallele zur Autoindustrie gibt es: Die Liste der Extras ist lang. Neben Nützlichem wie "Frontanbau für fest verbaute Gülleeinheit" gibt es auch Komfortables wie einen belüfteten Sitz (2070 Euro), einen 160-Watt-Subwoofer oder einen "rotgesäumten Komfortteppich". Ich persönlich würde auf jeden Fall für 1220 Euro die Druckluftfanfare ordern, aber das ist natürlich Geschmackssache.
Dann ist das Feld bestellt. Ich steige wieder um in den profanen Porsche und mache mir auf dem Rückweg meine eigene Bauernregel für die Zukunft: "Hab ich mal beim Schreiben Frust, fröne ich der Trecker-Lust."
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