Rolls-Royce Ghost Series II
Anstelle des Drehzahlmessers prangt im noblen Instrumententräger eine "Power"-Skala, die die Leistungsreserve anzeigt.
Facelift? Modellpflege? Eher würden sie sich bei Rolls-Royce auf die Zunge beißen, bevor sie solch profane Begriffe in den Mund nehmen. Schließlich ist eine Limousine aus Goodwood eine "Timeless Icon", eine zeitlose Ikone, der man nicht einfach mal eben mit ein bisschen frischer Schminke zu Leibe rückt. Wenn in diesen Tagen der überarbeitete Ghost, Verzeihung, der Ghost Series II, zu Preisen ab 272.837 Euro auf die Straße kommt, muss man deshalb schon ganz genau hinschauen, wenn man die Unterschiede zum aktuellen Modell erkennen will. Zumal man sich mit dem direkten Vergleich ein bisschen schwertun dürfte. Denn obwohl der Ghost nun schon seit fünf Jahren auf dem Markt ist und sich besser verkauft hat als jeder Rolls-Royce vor ihm, ist der Gute Geist aus Goodwood noch immer eine vergleichsweise seltene Erscheinung.
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Britisches Understatement bei den Änderungen

Rolls-Royce Ghost Series II
Der V12-Direkteinspritzer zwar weniger Hubraum, aber mehr Leistung als im Phantom und kommt so auf 570 statt 460 PS.
Dass sich die Kühlerfigur – nein nicht Emily, sondern Spirit of Ecstasy, so viel Zeit muss sein! – jetzt sieben Grad weiter in den Fahrwind neigt, dass der Kühler nun 13 Millimeter höher aufragt und dass die schier endlos lange Motorhaube nun einen neuen Faltenwurf hat, der an die Kondensstreifen eines Flugzeuges erinnern soll – mal ehrlich: Das würde wahrscheinlich nicht einmal ein Stammkunde erkennen. Selbst wenn er wie immer mehr Ghost-Besitzer tatsächlich selbst ins Steuer greift und die niederen Führungsaufgaben nicht dem willfährigen Personal überlässt. Zum Glück gibt's wenigstens neue LED-Scheinwerfer mit einer ziemlich spektakulären Tagfahr-Signatur, die einem bei der Zuordnung des Modelljahres helfen. Auch unter dem Blech hält sich der Fortschritt in engen Grenzen. Denn was soll man schon verbessern an einem Fahrwerk und einem Antrieb, die einen Bewegung eher erahnen als tatsächlich spüren lassen. Fahrgefühl? Dafür müsste man erst einmal etwas fühlen, wenn man wie auf Wolken gebettet in einer Oase der Ruhe durch Raum und Zeit gleitet.Weil ein Rolls-Royce nicht der schnellste, sondern der sanfteste in seiner Klasse sein will, gleitet man wie in Watte gepackt durch die Welt. Eine butterweiche Luftfederung, ein feinfühliger Wankausgleich, eine samtene Achtgangautomatik und ein kaum hörbarer Motor lassen den Ghost deshalb geistergleich dem Ziel entgegen schweben.

Sportwagenbeschleunigung und Lammfellteppich

Rolls-Royce Ghost Series II
Der edle Brite spurtet trotz seiner stattlichen 2,5 Tonnen in 4,9 Sekunden auf Tempo 100.
Dennoch schlägt unter dem Smoking das Herz eines Sportlers. Nicht umsonst hat der V12-Direkteinspritzer zwar weniger Hubraum aber mehr Leistung als im Phantom und kommt so auf 570 statt 460 PS. Das, und vor allem die bis zu 780 Nm Drehmoment, sind ein solides Fundament für eine feudale Fahrt, bei der man sich durch nichts und niemand aus der Ruhe bringen lässt und schnell versteht, warum Rolls-Royce die Motorleistung früher nur mit "ausreichend" angegeben hat. Denn prunkvolle Zahlenspiele und prestigeträchtige Überholduelle hat ein Rolls-Royce nicht nötig. Wer hier am Steuer sitzt, der genießt die stille Reserve auf der "Power"-Skala, die anstelle des Drehzahlmessers im noblen Kombiinstrument prangt, und weiß, dass er sich den Luxus der Langsamkeit leisten kann.Doch keine Sorge: Für den Earl in Eile haben die Ingenieure vorgesorgt. Ein beherzter Tritt aufs tief im flauschigen Lammfellteppich verborgene Gaspedal genügt, schon braust der Brite ein wenig heftiger auf, lässt die Last von Lack und Leder und vor allem von seinen stattlichen 2,5 Tonnen abfallen und schnellt in 4,9 Sekunden auf Tempo 100. Allerdings ist mit Rücksicht auf die Ruhe und die Reifen spätestens bei 250 km/h Ende mit der Eile. Doch wer unter den Rolls-Royce-Kunden schneller fahren will, hat in seiner großen Garage für solche Gelegenheiten sicher noch ein paar andere Spielzeuge parat.

Satelliten helfen der Automatik beim Schalten

Dass an solchen fast schon plebiszitären Spielen trotzdem offenbar immer mehr Kunden gefallen finden, davon zeugt eine der wenigen technischen Neuerungen bei der Modellpflege. Denn die Briten haben nicht nur die satellitengestütze Getriebesteuerung aus dem Wraith übernommen, die mit schier hellseherischer Kraft schon die Gänge wechselt, bevor es an einer Steigung oder in einer Kurve tatsächlich angeraten ist. Sondern jetzt gibt es auch ein Dynamic Driving Package, für das die Federung einen Hauch straffer abgestimmt und die Motorelektronik eine Spur nachgeschärft wurden. Und weil man das riesige Lenkrad dann nicht nur mit spitzen Fingern anfasst, sondern auch mal kräftig zupacken muss, fühlt sich der dürre Kranz jetzt an, als wäre ein bisschen mehr Fleisch am Knochen.
Rolls-Royce Ghost Series II
Dezente Änderungen: Der Kühler des Ghost Series II ragt 13 Millimeter höher auf.
Die Änderungen an den einzelnen Modellen mögen langsamer und behutsamer ausfallen als bei jedem anderen Autohersteller der Welt. Doch darf diese Zurückhaltung nicht über die für Rolls-Royce schier unglaubliche Dynamik hinweg täuschen, die die Briten entwickelt haben, seit sie unter dem Kommando von BMW stehen. Denn schon heute ist die Modell-Palette mit vier Varianten des Phantom, mit dem kurzen und dem langen Ghost und dem fast schon revolutionären Wraith größer als je zuvor. Und es geht ja munter weiter. Denn vermutlich schon im nächsten, spätestens aber im übernächsten Jahr kommt der Wraith auch oben ohne, irgendwann wird es selbst bei Rolls-Royce mal Zeit für einen neuen Phantom und nachdem Bentley so viele Vorbestellungen für seinen SUV bekommen hat, liebäugelt jetzt offenbar auch die Mannschaft in Goodwood mit einem Ausflug ins Gelände. Es ist deshalb wahrscheinlich nicht nur die Rücksicht auf die "Timeless Icon" und die Befindlichkeit der Bestandskundschaft, die Rolls-Royce bei der Modellpflege solch eine Zurückhaltung üben lässt. Sondern womöglich haben die Entwickler einfach genug anderes zu tun.

Von

Thomas Geiger