Zeit gibt es im Überfluss

Sie wienern, was das Zeug hält, die drei Jungs von der Waschstraße. Rotwangig, gummibestiefelt und gut gelaunt schrubben sie auch die letzte friesische Fliege vom Autolack. Die Prozedur dauert drei Minuten und ist nur die Vorwäsche, also im Preis von 5,90 Euro enthalten. Kein Wunder, dass die Anlage im ostfriesischen Leer meist voll ist.

So ehrliche, gründliche und günstige Handarbeit gibt es sonst nirgends. "Die Konkurrenz hält uns für verrückt", sagt Waschanlagenbetreiber Bernhard Janssen. "Aber der Kunde hat Anspruch auf ein sauberes Auto. Und Qualitätsarbeit braucht Zeit."

Undenkbar in Hamburg, Frankfurt oder Berlin. Wo Arbeitsabläufe gestrafft und beschleunigt werden. Wo Controller an der Kostenschraube drehen und rastlose Großstädter Terminen hinterherhecheln. Wenn Zeit tatsächlich Geld ist, dann hat das strukturschwache Ostfriesland eine ziemlich hohe Millionärsdichte. Denn Zeit haben sie hier im Überfluss. Für einen "Klönsnack" zwischendurch oder eben die gründlichste Autowäsche Deutschlands.

Nein, ihren Rhythmus bestimmen die stolzen Ostfriesen selbst. Seit Jahrhunderten verteidigen sie ihren Lebensraum mühsam gegen die Naturgewalten. Sie haben Moore entwässert, um wertvollen Torf abbauen zu können. Sturmfluten rissen ganze Dörfer mit sich oder verlandeten die Häfen. Heftige Winde bedrohten Ortschaften mit wüstenartigen Sandverwehungen.

Leben in Einklang mit der Natur

Die Menschen konnten gar nicht anders, als den Einklang mit der Natur zu suchen. Das hat sie gelassen gemacht. So wie Hans-Günther Diekmann und Heinz Penning von der winzigen Fähre bei Wiltshausen. Montag und Dienstag haben sie Ruhetag. Wer dann übersetzen will, hat eben Pech gehabt. An den anderen Tagen, aber nur von Mai bis September, ziehen die beiden Männer die an Stahlseilen geführte "Pünte" (Fähre) in Handarbeit über die Jümme. Seit 1562 gibt es die Verbindung, die heute bei Wanderern und Radlern beliebt ist. Drei Autos passen notfalls auch an Bord.

Genauso gelassen läuft es ein paar Kilometer weiter, bei Amdorf. Hier führt Deutschlands kleinste Autobrücke über die Leda. Ampeln auf beiden Seiten des Ufers verhindern, dass es auf der 1,91 Meter schmalen Fahrbahn zu unerwünschten Begegnungen kommt. Gelegentlich werden hier Touristen gesichtet, die hektisch zurücksetzen, weil sie plötzlich der Mut verlässt. Vor allem, wenn sie S-Klasse fahren oder dicke Geländewagen. Die Einheimischen schmunzeln dann. Ein Lächeln ernet auch, wer das friesische "Moin!" mit "Morgen!" oder "Guten Morgen!" beantwortet. Denn "Moin" heißt "schön" und gilt immer – morgens, mittags, abends, nachts.

Land und Leute wie aus der Klischee-Kiste

Erstaunlich, wie das platte Land, die Natur, die verlangsamte Zeit die Menschen verändert. Zwischen Meer und Moor mutieren selbst orthodoxe Autofahrer zu begeisterten Radlern. So zieht die Deutsche Fehnroute und die Internationale Dollartroute jedes Jahr Tausende von Rad-Touristen an. Ernsthafte Steigungen müssen sie nicht bezwingen – nur gegen den ständigen Westwind anstrampeln, der die Landschaft seit Urzeiten bürstet. Davon zeugen die geduckten Bäume am Wegesrand, die "Windlooper".

Manchmal wirken Land und Leute so typisch friesisch, als kämen sie direkt aus der Klischee-Kiste. Filmer und Werbeleute sind über derlei Kulissen schwer entzückt. Der malerische Leuchtturm von Pilsum etwa taucht nicht nur im Otto-Film, sondern auch in der Jever-Werbung auf. Und die kleine Fähre zwischen Petkum und Ditzum ist Mittelpunkt in einem Spot für Flensburger Pils. "Verrückt" finden das die Fährmänner Rolf Hommers und Heini Berghaus. "Die haben zwei Tage gedreht, wie wir stundenlang an und wieder ablegen." Natürlich haben sie trotzdem mitgemacht. Haben beobachtet, wie die Filmcrew unter Hochdruck ihren Dreh abspulte und hektisch davonbrauste, als der Spot endlich im Kasten war. Nun stehen die Männer wieder auf ihrer kleinen Fähre, schweigen und und tuckern der Abendsonne entgegen. Noch eine Viertelstunde. Dann ist Feierabend.

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Essen & Trinken Altes Fährhaus, gutbürgerliche Küche, direkt am Hafen; Kirchstraße 4a, 26844 Ditzum, Tel. 0 49 02/ 12 88 • Zur Waage Ostfriesische Spezialitäten der besten Art, dazu alles, was das Meer hergibt. Schöne Atmosphäre in historischem Gebäude am Hafen. Neue Straße 1, 26789 Leer, Tel. 04 91/ 6 22 44

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