Fehlerlos zum fünften Sieg

"Das war unser schwerster Sieg. Ein nervenaufreibendes Geduldsspiel." Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich ist nach 24 Stunden purem Dauerstreß sichtlich erleichtert. In seinem sechsten Jahr holt der Audi R8 den fünften Sieg für die Ingolstädter, den zweiten im Einsatz von Kundenteams. "Hier hat heute nicht das schnellste Auto gewonnen, sondern das einzige, das keine Fehler gemacht hat." Denn: Zum ersten Mal können die Audi das größte Langstreckenrennen der Welt nicht von der Spitze aus kontrollieren, weil die beiden Prototypen der französischen Le-Mans-Legende Henri Pescarolo in Teilen bereits dem neuen Prototypen-Reglement entsprechen.

Als sogenannte Hybrid-Autos eingestuft, dürfen sie knapp 90 PS mehr leisten und 50 kg weniger wiegen als die in den Vorjahren stets übermächtigen Audi R8. Prompt knöpfen die Franko-Flundern den deutschen Boliden sechs Sekunden pro Runde ab. Erst als der führende Pescarolo mit Getriebeproblemen an der Box steht, ist das Rennen wieder offen. "Wir haben bewußt auf verbrauchsarme Fahrweise geachtet und konnten so immer 13, zweimal sogar 14 Runden am Stück fahren", sagt Dr. Ullrich.

Der Dauer-Erfolg des Modells R8 kommt eben nicht von ungefähr, ist das Ergebnis von genauer Planung und taktischem Vorgehen. Um herauszufinden, welches das erfolgversprechenste Konzept für einen oder mehrere Le-Mans-Siege ist, geht Audi bei seinem Le-Mans-Debüt 1999 gleich mit unterschiedlichen Autos an den Start. Mit zwei R8C (Coupé) in der Klasse der geschlossenen Prototypen und mit zwei R8R (Roadster) in der Klasse der Sportwagen ohne Dach. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Roadster entscheiden das Duell der Konzepte klar für sich.

Der Konkurrenz um Lichtjahre voraus

Gleich am Tag nach dem Rennen berät sich Sportchef Dr. Ullrich mit leitenden Mitarbeitern, einen weiteren Tag später beginnt Konstrukteur Wolfgang Appel bereits mit Entwürfen fürs neue Auto. Und er setzt die gesammelten Erfahrungen konsequent in Verbesserungen um. Der R8R dient als Basis für die Entwicklung des bis heute verwendeten R8. Wenn auch nur als rein gedankliche Basis. Der R8 ist eine komplette Neukonstruktion.

"Ein ganz besonderes Auto, in dem all unser Herzblut steckt", schwärmt Doc Ullrich. So wandern beispielsweise die Kühler von vorn ins besser geschützte Heck, das Getriebe ist nur noch halb so groß wie 1999. Und die Ingenieure spendieren dem Turbo-Motor - das einzige Bauteil, das vom R8R übernommen wird – eine kräftige Überarbeitung.

Plötzlich kann niemand mehr das Tempo der silbernen Flunder aus Ingolstadt mitgehen. "Unser R8 ist dem 99er Auto um Lichtjahre voraus", schwärmt Werkspilot Frank Biela. Gleich in seinem ersten Jahr fährt Audi mit dem neuen R8 zu einem beeindruckenden Dreifachsieg. Kein anderer Sportwagenhersteller hat sich bis zu diesem Zeitpunkt so viele Gedanken über eine ausgeklügelte Aerodynamik gemacht und einem Turbomotor so gute Manieren beigebracht.

Leichter, flacher, leiser

Die Vorteile des Turbo-Konzepts liegen auf der Hand: Bei gleicher Leistung ist ein Turbo leichter und vor allem kleiner als ein nicht aufgeladenes Triebwerk. Er ermöglicht also eine flachere Karosserieform und einen niedrigeren Schwerpunkt. Obendrein ist er leiser als ein höherdrehender Saugmotor: "Gerade bei Langstreckenrennen ist das ein großer Vorteil, denn das schont die Nerven der Fahrer", verrät Audis zweifacher Le-Mans-Sieger Rinaldo Capello (Italien). Als erster Hersteller setzt Audi beim 24-Stunden-Rennen auch eine pneumatisch betätigte Wippenschaltung am Lenkrad ein, die deutlich zuverlässiger arbeitet als die elektrohydraulischen Systeme der Gegner.

Auch beim aufwendigen Konstruktionsprinzip nimmt Audi eine Sonderstellung ein. Als einziger Sportprototyp ist der R8 aus einzelnen Modulen zusammengesetzt, die sich schnell und unkompliziert austauschen lassen. Den Wechsel des kompletten Hinterwagens samt Getriebe, Radaufhängungen und Bremsen dauert knapp vier Minuten. Selbst bei schwersten Schäden ist ein R8 in weniger als 20 Minuten wieder rennfertig. "Das wartungsfreundlichste Rennauto aller Zeiten", bestätigt Ralf Jüttner, Technikchef des Audi-Einsatzteams Joest.

2001 legen die findigen Ingenieure unter der Leitung von Motorenchef Ulrich Baretzky dann einen weiteren Trumpf auf den Tisch: die FSI Direkteinspritzung. Sie sorgt für ein besseres Ansprechverhalten des Motors, mehr Leistung im unteren Drehzahlbereich bei unveränderter Spitzenleistung (610 PS) bei obendrein zehn Prozent geringerem Verbrauch. Für die Konkurrenz ein Desaster: Jetzt sind die Audi nicht nur schneller, sondern müssen auch noch seltener zum Auftanken an die Box. Der Doppelsieg im Jahr 2001 und der Dreifachsieg 2002 sind die logische Folge. "Entscheidend für den Erfolg des R8 ist jedoch nicht nur der Motor. Es ist vielmehr das Zusammenspiel aller Komponenten", weiß der dänische Audi-Werksfahrer Tom Kristensen.

Kein einziger Motorschaden

Erst als Audi sich 2003 werksseitig aus Le Mans zurückzieht und den Einsatz der R8 den Privatteams überläßt, können andere glänzen. Allerdings mit kräftiger Hilfe aus Ingolstadt. Im EXP-8 von VW-Konzernschwester Bentley steckt beim Le-Mans-Sieg 2003 jede Menge Audi-Knowhow. Der Motor ist – bis auf den größeren Hubraum – mit dem des R8 identisch. Obendrein hilft Audi mit einigen Technikern und dem wohl besten Sportwagenpiloten der Neuzeit aus: Tom Kristensen.

Als Bentley sich nach dem Projekt Le-Mans-Sieg wieder zurückzieht, hat die Konkurrenz auch den privat eingesetzten R8 nichts entgegenzusetzen. Kristensen feiert 2004 in einem vom japanischen Goh-Team eingesetzten R8 Gesamtsieg Nummer sechs. Um 2005 seinen siebten Le-Mans-Triumph und damit den neuen Gewinner-Rekord nicht zu gefährden, läßt sich der ehrgeizige Däne in den letzten dreieinhalb Stunden am Steuer des Champion-Audi-R8 nicht mehr ablösen.

Im Ziel gesteht er: "Das war einer meiner härtesten Siege." Der insgesamt 55. Triumph eines Audi R8. Bis er ins Museum wandert, könnten es noch 60 werden. Zehn Einsätze in der Le Mans Endurance Series und der American Le Mans Series stehen noch an. Die Chancen sind bestens: Der R8 ist konkurrenzlos zuverlässig. Bis heute gab es keinen einzigen Motorschaden.

Von

Oliver Hilger