Test Chevrolet Captiva
—Harte Schale ...
Grenzgänger zwischen SUV und Kombi
Einen ersten Eindruck rustikaler Art gibt's bereits in der kleinen Chartermaschine, die zwei Dutzend Autojournalisten von Hamburg ins slowakische Poprad schaukelt. Flugbegleiterin Sabine versprüht ihren robusten Charme mit einem strammen, osteuropäisch akzentuierten Englisch, das die Passagiere auf der Stelle gehorchen läßt. "Anschnallen!", schallt es energisch durch die Kabine, und das Echo ist ein kollektives Klicken. Als Stärkung gibt es ein "Käsebaguette!", das wir brav aufessen, ohne zu krümeln. Chevrolet hat nicht zuviel versprochen – "rustikal" war schon der richtige Ausdruck. (Eine Kostprobe von Sabine gibt's als Audiofile in unserer Mediengalerie.)
Vor dem Flughafen Poprad-Tatry wartet bereits eine ganze Flotte Captiva. Erster Eindruck: gelungenes Design, aber irgendwie bekannt. Kein Wunder, denn der Chevrolet ist der Bruder des künftigen Opel Antara. Wer von der Rüsselsheimer IAA-Studie GTC angetan war, der sei versichert: Nicht weniger schön wird der Frontera-Nachfolger auf den Markt kommen. Und Chevrolet fährt mit auf dieser Schiene – denn der Captiva ist ebenso bullig und kompakt gezeichnet, die Linien passen perfekt. Von den Genen des versprochenen Mittelklasse-Kombis ist zunächst keine Spur, äußerlich wirkt das SUV so tough wie eine slowakische Stewardess.
Als Diesel auf dem Weg zum Selbstläufer
Unter der Haube meines Probanden nagelt eine Weltpremiere für Chevrolet: ein zwei Liter großer Dieselmotor. Es ist der erste Diesel überhaupt in der Firmen-Geschichte, für den Einsatz in Europa ausgelegt und speziell mit deutscher Kundschaft im Visier. 150 PS leistet das Common-Rail-Aggregat, Partikelfilter serienmäßig, Durchschnittsverbrauch (laut Hersteller) 7,4 Liter auf 100 Kilometer. Neben der manuellen Fünfgangschaltung steht alternativ eine Fünfstufen-Automatik in der Preisliste. Egal mit welcher Schaltung, dieser Selbstzünder dürfte bei uns zum echten Selbstläufer werden.
Das Captiva-Cockpit wirft keine Probleme auf. Es ist betont sachlich gestaltet, dabei aber keineswegs häßlich. Was auch nach dem Einstieg an einen Geländewagen erinnert, ist die hohe Sitzposition. Außerdem gibt's einen Kompaß im Bordcomputer, erfreulich große Außenspiegel – und ein unerfreulich großes Lenkrad, das wegen der serienmäßigen Servounterstützung locker eine Nummer dezenter ausfallen könnte. Schon in der Basisausstattung "LS" an Bord: manuelle Klimaanlage, CD-Radio mit MP3-Funktion, sechs Lautsprecher, vier elektrische Fensterheber und eine funkgesteuerte Zentralverriegelung.
Fahrwerksabstimmung für die Straße
Die Schaltung ist leichtgängig, während der Fahrt durch enge Kurven und teils beachtliche Steigungen flutscht der Hebel locker zwischen drittem, viertem und fünftem Gang umher. Dabei wird der Diesel nie richtig laut, weshalb jedes andere Geräusch überdeutlich hervortritt. Was quietscht denn da so nervig (siehe Mediengalerie)? Die Klappmechanik der Fondsitze ist offenbar noch nicht sauber justiert. Egal, ich verbuche das mal in der Kategorie "Vorserienmacken".
Der "Offroad-Parcours" entpuppt sich als Wirtschaftsweg für Holzfäller, die ihre tonnenschwere Ernte noch in bewährter Weise mit dem Pferd zum Sägewerk schleppen. Ehrfurchtsvoll und noch immer die besorgte Stimme Chevrolets im Ohr, schlängele ich mich an den Schlaglöchern vorbei, obwohl das eigentlich nicht nötig wäre bei einer Bodenfreiheit von 20 Zentimetern. Allzu harte Rempler werden scheinbar ungefiltert ans Gesäß der Insassen weitergeleitet – offensichtlich eine Folge der Fahrwerksabstimmung, die auf der Landstraße schon fast sportlichen Charakter hat. Sicher, eine adaptive Luftfederung wäre in der kompakten SUV-Klasse zuviel verlangt.
Automatik als Sechszylinder-Bremse
Bevor im polnischen Zakopane Fahrzeugwechsel angesagt ist, fällt der Blick auf den Bordcomputer. 11,5 Liter Durchschnittsverbrauch? Hoffentlich ist das extreme Terrain daran schuld, andernfalls wäre der versprochene Drittelmix von 7,4 Litern Diesel extrem untertrieben. Auf die nächste Etappe geht's mit dem kraftvollsten aller Captiva, dem 3.2 LT, komplett ausgestattet und serienmäßig mit einer Fünfstufen-Automatik bestückt. Wie sich schnell herausstellt, eignet sich das 230 PS starke und 34.990 Euro teure Spitzenmodell allerdings nur zum gemütlichen Cruisen mit üppigen Leistungsreserven.
In engen Haarnadelkurven macht die Automatik überhaupt keinen Spaß, vom Pedaltritt bis zum umgesetzten Kickdown vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Das relativiert die versprochen 8,8 Sekunden für den Sprint bis Tempo 100 erheblich (Spitze 204). Die halbautomatische Up-Down-Gangart ist eine Alternative, zumal man den kernigen Sound des Sechszylinders stets gut vernimmt und man sich dadurch immer in der richtigen Schaltstufe wähnt. Durchschnittsverbrauch nach dieser Etappe: 12,4 Liter.
Mit sieben Sitzen fit für die Großfamilie
Beim Siebensitzer ist das Kofferraumvolumen nicht erwähnenswert. Mit fünf Sitzen schluckt der Captiva immerhin 465 Liter, bei komplettem Verzicht auf hintere Passagiere sind es 930 Liter. Zur Kraftentfaltung der Basismotorisierung ist nur eines zu bemerken: Sie ist so gut wie nicht vorhanden. 1,9 Tonnen sind einfach zu schwer für 136 PS, jedes Überholmanöver wird zum Wagnis, und der Fahrspaß bleibt auf der Strecke. 8,9 Liter im Drittelmix sind bei einigermaßen flotter Fahrweise garantiert nur schwer zu halten.
Auf anspruchsvollen Strecken ist der Diesel mein Favorit. Leider kostet er 6000 Euro mehr als der Basisbenziner. Wer den Captiva als Crossover sieht und – ganz nach Chevrolet-Philosophie – die "optische Robustheit eines SUV mit der Hochwertigkeit eines Mittelklasse-Kombis" kombinieren will, für den sind 136 PS sicher auch eine gute Wahl. Dann ist der Chevy außen rustikal und innen ganz weich. So wie die resolute Sabine, die wir beim Rückflug doch noch in unser Herz geschlossen haben. Parallel zum Anpfiff der WM-Begegnung Deutschland – Ecuador harren zwei Dutzend Fußballfans hoch über den Wolken im Himmel der Ahnungslosen, doch beim Zwischenstopp in Leipzig hat Sabine ein Herz für uns. "Eins zu null", haucht sie den aktuellen Stand ins Mikrofon. Jubelrufe aus der Kabine, bevor es weiter geht nach Hamburg – zum drei zu null!