Manche Dinge tut man einfach nicht. Zum Beispiel eine Frau annörgeln, wenn sie vom Friseur kommt. Oder den Stecker rausziehen, wenn 30 Männer beim Fußball gebannt auf den Fernseher glotzen. Lass es bleiben, lernt der Mensch. Man testet auch keinen Rolls-Royce, als wäre er ein alltägliches Auto. Und wenn doch, dann tut es in der Seele und in den Ohren weh, wie das riesige Phantom Coupé wankt und wie die Reifen wimmern. Eine Majestäts-Beleidigung? Aber warum nicht? Wir sind AUTO BILD, wollen mit dem Rollie für 433.458 Euro nicht ergriffen durch die Nacht schweben, sondern seinen Talenten auf die Spur kommen. Und, wenn nötig, auch an seinem Thron kratzen. Also: Was kann es, dieses Monument des Automobilbaus?

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Rolls-Royce Phantom Coupé
Zunächst: Es kann Münder aufklappen. Das Phantom Coupé protzt so selbstverständlich mit raumgreifenden Formen und seinem eingebauten Königs-Gen, dass es überall auffällt und Respekt hervorruft. Wenn der Rolls auf der Autobahn die Spur wechseln will, lässt man ihn rein. Umgekehrt spielt sein Fahrer ungern wilde Sau – die silberne Emily am Ende der langen Haube erzieht zu Nachsicht und Gelassenheit. Die Haltungsfrage stellt der Rolls-Royce des Öfteren. Wie steigt der Fahrer bei hinten angeschlagenen Türen ein? Kopf zuerst? Mit dem Hintern voran ist es bequem, damit umkurven die Beine den breiten Schweller, der allzu leicht die Hosen verschmutzt. Im engen Fond fragt man sich, wohin bloß die ganze Autolänge verflogen sein kann. Immerhin verführt die kuschelige Sitzrunde zu Fantasien, die für ältere Rolls-Besitzer meist solche bleiben. Auch die hohe Kutschbock-Position der Frontsitze verlangt Gewöhnung – aha, deshalb sitzen Rolls-Chauffeure oft so steifgebügelt: Das Lenkrad lässt sich nicht weit genug rausziehen. Die Einrichtung mixt Klassik-Jacht-Stil mit Neo-Zuckerbäcker-Chrom. Glänzend, hochwertig, leicht altbacken.

Geister-Nachwuchs: Rolls-Royce Ghost

Rolls-Royce Phantom Coupé
Der Aha-Effekt, den die Verarbeitung – auch nicht besser als in teuren Mercedes – heute kaum mehr bieten kann, wartet im Detail. Etwa den Luftdüsen im Look schwerer Boccia-Kugeln. Oder den sechs Stationstasten fürs Radio – wie simpel wird hier Studio-Qualität verpackt! Oder dem Sternenlicht-Dachhimmel aus 1500 LEDs – ein völlig sinnfreies Extra für 10.710 Euro, und doch ordern es angeblich vier von fünf Kunden. Ein Rundinstrument neben dem Tacho zeigt an, wie viel Motorkraft in Prozent jeweils noch abrufbereit lauert. Immer genug, um den Puls zu beschleunigen, zu wenig für Herzrasen. Den Zwölfzylinder haben die Entwickler darauf getrimmt, ab Leerlaufdrehzahl flüsterleise Drehmomentberge zusammenzuschaufeln und mit der Sechsstufenautomatik schmetterlingssanfte Schaltvorgänge zu zelebrieren.
In der Stadt gleitet das Phantom Coupé unerreicht leise. Sein zweites Wesen offenbart das Phantom erst auf Knopfdruck. Drückt der Fahrer die S-Taste am Lenkrad, dreht der Zweitürer die Gänge höher aus und spielt den Gran Turismo im XL-Format. Erstaunlich, wie 460 PS den 2,6 Tonnen schweren Brocken scheinbar schrumpfen lassen und ihn in sechs Sekunden auf Tempo 100 schleudern. Danach geht es ansatzlos weiter, bis zu finalen 250 km/h – ohne dass Majestät je seine Souveränität verliert. Mit königlichen 3,32 Meter Radstand schwebt der Brite noch erhabener als eine S-Klasse, nur laute Windgeräusche von der A-Säule stören den luxuriösen Reisegenuss.

Ein echter Kurvenkünstler kann der schwere Rolls-Royce nicht werden

Rolls-Royce Phantom Coupé
Doch ein Kurvenkünstler kann der Phantom nie werden, trotz strafferer Sitze und Dämpfer als in der Limousine. Gar nicht königlich neigt er sich im Slalom zur Seite, ohne aber schaukelig zu werden. Die Lenkung zu leicht, das Auto zu schwer – der Rolls absolviert die Prüfung wie ein Gentleman den Abi-Ball seiner Tochter: ungern, aber mit Anstand. Einmal noch, Majestät geben Gummi: Elchtest. Wir kurbeln am Volant, der Po wackelt – doch das Phantom Coupé gibt sich keine Blöße. Sein ESP (hier: DSC) gestattet erstaunlich deutliche Heckschwenks, bevor es eingreift, doch der Riese lässt sich leicht und vor allem ohne Tücke beherrschen. Er quietscht, er qualmt, er quält sich. Am Ende steckt halt doch eine Menge BMW in diesem Rolls-Royce. Auch wenn diese Test-Art so gar nicht zu ihm passt.
Weitere Details zum Rolls-Royce Phantom Coupé gibt es in der Bildergalerie. Den kompletten Artikel mit allen technischen Daten und Tabellen finden Sie als Download im Heftarchiv.

Fazit

von

Joachim Staat
Das Phantom Coupé ist ein Automobil der Extreme: extrem teuer, extrem groß und extrem exklusiv. Erstaunlich, dass dieses High-End-Produkt unseren harten Test dennoch souverän besteht. Der Komfort bei Federung, Geräuschdämmung und Motorlauf setzt königliche Maßstäbe. Bremsen und Sicherheit geben sich keine Blöße. Mir gefällt besonders, dass Rolls-Royce die Bedienung der ganzen Luxus-Goodies so handgerecht und leicht verständlich serviert. Nur ein Sportler wird er nie: Unter Coupé versteht Rolls-Royce keinen Angaser, sondern die exklusivere Form seiner großen Limousine. 

Von

Joachim Staat