Ich gebe zu: Den Ibiza hatte ich gar nicht mehr auf der Rechnung. Das war zuletzt ein Auto, das so gar nichts rüberbrachte. Kein Flair, keine Ausstrahlung – ein charakterloser kleiner Kerl. Doch diese Zeit ist vorbei. Vergessen Sie alles, was Sie über Seat und speziell den Ibiza gedacht haben. Einfach streichen und ganz neu anfangen. Mit einem weißen Blatt Papier. Schauen Sie sich den Neuen einmal ganz in Ruhe an. Der sieht kernig aus, hat Profil, zeigt scharfe Linien. Mutig das Ganze, aber auch erfrischend. Unter den Kleinwagen dürfte bereits dieser Auftritt für Furore sorgen. Erst recht, wenn wir etwas genauer hinsehen. Wie sauber die Blechteile gearbeitet sind, wie penibel zurechtgerückt, wie sorgfältig der Innenraum arrangiert ist. Das ist meilenweit entfernt vom Vorgänger, das ist eine andere Welt. Die Bestätigung für diesen ersten Eindruck finde ich im Seat-Werk. In Martorell bei Barcelona, wo der Ibiza gebaut wird. Dort zeigt mir der ehemalige Audi-Manager und heutige Seat-Chef Erich Schmitt, wie er bei Seat die Produktion umgekrempelt hat. Da wird nicht mehr ein Auto einfach nur zusammengeschraubt, da wird nach strengsten Vorgaben zusammengefügt, nichts dem Zufall überlassen. Ständig im direkten Abgleich mit der Urform – damit die Spaltmaße stimmen. Kein Zweifel: Hier wird Qualität direkt produziert und nicht hinterher herbeigeprüft. Klingt gut, aber was hat der Kunde von dieser Sorgfalt?

Der neue Ibiza fährt sich wie ein Großer

Seat Ibiza 1.9 TDI
Erst einmal sieht das Auto hochwertiger aus, klar. Aber merkt man das auch beim Fahren? Steigen wir ein. Sitzposition etwas tiefer als bisher, gute Sitze, Lenkrad in Höhe und Weite einstellbar. Klares Cockpit, die Zahlen in den Rundinstrumenten wirken etwas verloren, sind aber gut abzulesen. Die ersten Kilometer verblüffen mich total: nix alter Ibiza. Das ist ein ganz anderes Auto! Dürfte ich die Augen schließen, ich würde glatt auf VW oder sogar Audi tippen. So fest, so stramm, so sicher habe ich mich noch in keinem kleinen Seat gefühlt. Die Lenkung gibt gute Rückmeldung, vermittelt mir genau das Gefühl, was ich für den sauberen Kurvenschnitt brauche. Die Federung lässt mich die Straße spüren, ohne jede Fuge gleich weiterzureichen. Die Abstimmung ist so gekonnt, dass Kurvenräubern ebenso Spaß macht wie die gemütliche Kaffeefahrt sonntags mit Oma. Dass die garantiert nicht grantelt, liegt auch am ordentlichen Platzangebot. Vorn gibt es im Ibiza ohnehin nichts zu mäkeln, aber auch auf der Rückbank lässt es sich länger aushalten. Die Kopffreiheit ist ausreichend (plus 23 mm gegenüber dem Vorgänger), und auch die Knie lassen sich ohne Verrenkungen unterbringen. Ach ja, der Kofferraum hat mit 292 Litern (plus 25 Liter) jetzt auch ein ordentliches Format.

Unter der Haube arbeitet noch ein Pumpe-Düse-Diesel

Seat Ibiza 1.9 TDI
Zum Motor: Unser Testwagen hatte den 1,9-Liter-TDI unter der Haube. 105 PS, 240 Nm Drehmoment. Das ist zwar der alte Pumpe-Düse-Diesel, aber recht gut gedämmt. Und kein bisschen nervig. Er hängt gut am Gas, hält sich in den oberen Gängen aber spürbar zurück. Mit einem Wort: kultiviert. Der Biss ist weg, die um 20 Prozent längere Endübersetzung raubt zwar Temperament, passt aber viel besser in unsere Zeit. 4,5 Liter pro 100 Kilometer beziehungsweise 119 Gramm CO2 verspricht Seat für den Diesel – das wäre ein sehr guter Wert. Ist der neue Ibiza also sein Geld wert? Ich meine ja. 17.660 Euro für den 105-PSDiesel (Basis-Benziner mit 70 PS ab 12.190 Euro) sind zwar sehr selbstbewusst, angesichts der hohen Qualität und umfangreichen Ausstattung mit ESP und Kopf-Thorax-Seitenairbags vorn aber fair. Es gibt zwar billigere Konkurrenten, aber ob die es mit dem Spanier aufnehmen können? Ich habe da so meine Zweifel ...

Von

Jürgen von Gosen