Auf den Choke gekommen

Mein Aufpasser grinst. Ganz kurz nur, aber ich habe es trotzdem gesehen. Ich glaube, der Mann amüsiert sich prächtig, und im Grunde hat er ja auch recht. So verkrampft, wie ich hinter dem schmalen Lenkrad sitze. So stark, wie ich in dem kaum belüfteten Cockpit schwitze. Und so kurz, wie unsere erste Testfahrt im Zastava 101 Skala gedauert hat. Die Wahrheit ist: Ich habe keine fünf Meter geschafft, dann ist mir die Karre abgesoffen.

Kurzes Stottern, kurzes Aufbäumen, dann war Schluß. Der Herr, der rechts neben mir sitzt und dafür sorgen soll, daß das Auto heil zurückkommt, lehnt sich jetzt herüber, greift am Lenkrad vorbei nach unten und zieht aus der Tiefe des Raumes einen kleinen Hebel heran – es ist der Choke. Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, daß es so was heutzutage noch bei einem Neuwagen geben könnte. Wobei das Wort Neuwagen in diesem Fall seltsam klingt.

Im Grunde ist der Skala, in dem wir hier sitzen, ja ein alter Fiat 128. 1969 zum ersten Mal auf den Markt gekommen, 1980 zugunsten des Nachfolgers Ritmo eingestellt und in Deutschland noch bis 1982 verkauft. 306.444 Einheiten machte Fiat mit dem 128 bei uns. Das ergibt Platz 66 in der ewigen AUTO BILD-Bestenliste "Deutschlands Top 200". Die frühen Modelle, wenn sie denn nicht weggerostet sind, dürfen inzwischen sogar schon mit H-Kennzeichen durch Deutschland fahren.

Ein Neuwagen für rund 3200 Euro

Was aber kaum jemand weiß: Es gibt diese Oldtimer auch noch als Neuwagen frisch vom Band. Eben hier bei Zastava in Serbien. 101 Skala heißt die Fließheck-Version, die der über 150 Jahre alte Konzern Zastava (bedeutet auf deutsch "Fahne") noch in Kragujevac, 140 Kilometer südlich von Belgrad, herstellt. Es gibt auch eine noch originalgetreuere Stufenheckvariante namens 128 Skala, die ist aber nur für den Export bestimmt und wird in Ägypten montiert.

Mehr als eine Million Skala hat Zastava seit 1971 produziert, zeitweise unter dem bei uns bekannteren Markennamen Yugo. "Wir versuchen schon seit Jahren, das Modell aus dem Programm zu nehmen, aber die Leute wollen ihn einfach haben: Noch heute ist jedes zweite von uns produzierte Auto ein Skala", sagt Vertriebschef Vladeta Kostic. 270.000 Dinar, etwa 3200 Euro, kostet das Auto in Serbien.

Ein Blick in die Montagehalle von Zastava – und man fühlt sich in alte Zeiten zurückversetzt. Als es kaum Maschinen gab und fast alles noch per Hand gemacht wurde. Beim Einbau des Himmels kann man das besonders gut beobachten: Auf dem knallroten Skala, der gerade übers Band läuft, steht ein großer Pott mit Kleister. Dann kommen zwei Mann, pinseln das Dach mit dem Kleber von innen ein, falten eine Folie auseinander und drücken sie von innen gegen das Blech.

Anschließend kommt ein dritter Kollege mit einer ganz normalen Haushaltsschere vorbei, schneidet die Folie an den Seiten ein, drückt noch die Ränder fest – und fertig. Natürlich kann man sich als Westeuropäer über solche Produktionsmethoden lustig machen.

Das Wunder von Kragujevac

Aber dann übersieht man, was für ein Wunder es ist, daß Zastava überhaupt wieder Autos herstellt. "Mit der Teilung Jugoslawiens haben wir über Nacht eine großen Teil unserer Zulieferer und unserer Kunden verloren", sagt Marketingleitein Snezana Andjelkovic. Durch die internationalen Sanktionen wegen des Kosovo-Konflikts brach die Produktion bei Zastava fast völlig zusammen, und als die NATO 1999 Luftangriffe auf Serbien flog, wurde auch das Werk in Kragujevac mehrfach von Raketen getroffen.

Man muß dazu wissen, daß der 1853 als Kanonenfabrik gegründete Industriekonzern auch Waffen hergestellt hat. "Drei Monate nach den Bombardierungen haben wir wieder die ersten Karossen produziert", sagt Snezana Andjelkovic. Heute sind noch 4400 Arbeiter im Automobilbau beschäftigt. Sie verdienen so um die 200 Euro im Monat. Die Kapazität des Werks liegt bei etwa 50.000 Einheiten pro Jahr, tatsächlich werden aber nur 13.500 Autos gefertigt – mehr gibt der Markt nicht her.

Es gibt daher einen Begriff, den man hier immer wieder hört, beinahe wie eine Beschwörungsformel. Er lautet "strategischer Partner" – und ist die große Hoffnung für all die Menschen bei Zastava. "Wir suchen die Kooperationen mit anderen Herstellern und möchten bei uns die Montage eines westeuropäischen Modells übernehmen", sagt Vertriebsleiter Kostic.

Technische Daten Zastava 101 Skala 55

Alles ist noch streng geheim und nichts in trockenen Tüchern, aber natürlich denken die Leute bei Zastava da in erster Linie an Fiat. Schließlich haben beide Unternehmen schon 1954 den ersten Lizenzvertrag geschlossen. Zeitweise hatte Fiat übrigens sogar mal überlegt, die Produktion des 128 selbst zu Zastava auszulagern. Ein Plan, der damals aber vor allem wegen der schlechteren Verarbeitungsqualität wieder aufgegeben wurde.

Auch heute wirkt vieles beim Zastava 101 Skala noch, na sagen wir, ein wenig befremdlich. Der ungeheuer laut brummende Motor zum Beispiel. Das für Servoverwöhnte sehr schwer zu drehende Lenkrad. Die strohhalmdünnen Lenkstockhebel. Das viele hellgraue Plastik im Innenraum. Die Türen, die man mit voller Kraft zuschlagen muß, damit sie geschlossen sind. Aber, ach, was soll's. Ein bißchen was muß man eben in Kauf nehmen – bei einem Oldtimer frisch vom Band ...

Technische Daten Vierzylinder • Hubraum 1116 cm³ • Bohrung x Hub 80x55,5 mm • Verdichtung 9,2:1 • Leistung 40,4 kW (55 PS) bei 6000/min • max. Drehmoment 77,4 Nm bei 3000/min • Frontantrieb • Fünfgang • Scheibenbremsen vorn, Trommeln hinten • Kofferraumvolumen 325 Liter • Tankinhalt 38 Liter • Länge/Breite/Höhe 3762/1590/1345 mm • Reifen 145/80 R 13 • Leergewicht 835 kg • Höchstgeschwindigkeit 135 km/h

Von

Alex Cohrs