"Das war damals noch richtiger Edelstahl"



Keine Ahnung, wie der Mann das macht. Hans-Jürgen Gomme (63) hat noch keine fünf Minuten geredet, und schon würde ich ihm die Schüssel auf der Stelle abkaufen. Obwohl ich mir gar nichts aus alten Japanern mache. Und obwohl der Datsun Cherry, der da vor uns steht, ihm nicht mal selbst gehört, sondern uns von der Interessengemeinschaft "Japan Classic Freunde" für die Fotoaufnahmen vermittelt wurde.

Schalten wir doch einfach mal rein. Und lauschen dem Autohändler aus Glinde (bei Hamburg) im Originalton: "Ach, guck mal, die Leisten hier am Fenster, das war noch richtiger Edelstahl! Und der Motor, der war einer der besten der Welt! Du, ich sag dir, unverwüstlich! Wenn du den richtig einstellst, kannst du ein Fünfmarkstück draufstellen, das bleibt stehen! Und sag mal, was hat der gelaufen? 102.000? Mensch, da fängt der ja gerade erst an! Öl verbraucht der auch kaum, der war schon damals im Unterhalt wahnsinnig billig, die Leute waren alle glücklich. Nee, also ehrlich, der alte Cherry steht modernen Autos wirklich in nichts nach."

Vermutlich könnte der Mann ewig so weitermachen. Und mir tatsächlich noch ein paar hundert Euro für den Datsun Cherry 100A mit Erstzulassung von 1976 aus der Tasche ziehen. Für ein Auto, das man, wohlgemerkt, in so einem perfekten Zustand heute tatsächlich kaum noch finden würde und, wenn doch, dann teuer bezahlen müßte.

Datsun Cherry verkaufte sich gigantisch

Aber Sie merken es vielleicht schon: Hans-Jürgen Gomme ist ein Autoverkäufer alter Schule. Einer, der lieber ärmellose Karohemden trägt als Maßanzüge. Einer, der keine komplizierten Marketing-Strategien braucht, um seine Wagen an den Mann zu bringen. Weil er etwas hat, was es in dieser Kombination in seinem Beruf nur noch selten gibt: Wissen, Herz und Schnauze.

Gomme hat schon 1972 die ersten Datsun Cherry (ab 1982 Nissan Cherry) verkauft und ist der Marke treu geblieben. Er hat gewissermaßen ein Leben unter japanischer Flagge geführt – und kann daher am besten erzählen, wie das damals war, als die ersten Autos aus dem Fernen Osten den deutschen Markt eroberten.

"Gerade in den ersten Jahren war die Resonanz gigantisch", erzählt Gomme. "Ich war da auf einer Autoausstellung, die eine Lokalzeitung organisiert hatte. So schnell, wie die Leute damals die Verträge haben wollten, konnte ich gar nicht schreiben. An dem Wochenende habe ich über 20 Autos verkauft."

Die Elektrik war für Europäer nicht ohne

Vor allem der kleine Cherry kam bei den Kunden groß an: "Wir haben ihn am Anfang für 5500 Mark verkauft. Dafür hatte er schon Frontantrieb, Verbundglas und eine vernünftige Heizung – das war ja damals alles noch nicht selbstverständlich." Allein die erste Generation wurde in Deutschland 25.940 Mal verkauft. Mit den drei nachfolgenden zusammen kommt der Datsun/Nissan Cherry auf 137.858 Einheiten. Das macht Platz 127 in unserer ewigen Bestenliste "Deutschlands Top 200".

Natürlich, das Auto hatte auch seine Schwachstellen. Die größten in Form von häßlichen, braunen Beulen: Der Cherry war ungeheuer rostanällig, weil zumindest in den ersten Jahren ab Werk so gut wie nichts an Vorsorge getroffen wurde. Die deutschen Händler mußten jedes einzelne Exemplar kräftig nachbearbeiten. Und die ganze Elektrik war für Europäer auch nicht gerade ohne. Gomme erinnert sich: "Das war uns alles sehr fremd, die Japaner haben da vieles ganz anders gemacht als wir. Bei einem Fehler haben wir uns oft einen Wolf gesucht, bis wir endlich auf die Lösung kamen."

Mit den ersten Verkaufserfolgen erlebten die Datsun-Händler auch die ersten negativen Reaktionen. Von deutschen Konkurrenten, von Nachbarn, von der Öffentlichkeit. Man solle bloß keine Reisschüsseln kaufen, hieß es, sondern lieber deutsche Arbeitsplätze sichern. Und die Japanliebhaber könnten sich ihr Arbeitslosengeld ja in Zukunft in Tokio abholen. "Ich habe nie verstanden, daß gerade von so einer Exportnation wie Deutschland solche heftigen Reaktionen kommen", wundert sich Gomme, "immerhin haben die Japaner ja auch hier in Deutschland viele Arbeitsplätze geschaffen."

Technische Daten im Überblick

Er hat sich nicht beirren lassen. Sondern verkauft, verkauft, verkauft. Dreimal wurde Gomme wegen glänzender Absatzzahlen nach Japan eingeladen. Und damals, in den 70ern, war das für Europäer noch ein echtes Abenteuer. "Ausländer waren da eine Seltenheit. Als ich 1974 zum ersten Mal in Japan war, wollten mich die Taxifahrer gar nicht erst mitnehmen. Die haben die Tür einfach wieder zugemacht. Dafür haben sich die kleinen Japanerinnen immer totgekichert, wenn sie mich sahen."

Beim nächsten Besuch, vier Jahre später, konnte Gomme das Eis dann aber brechen – indem er bei einer hochoffiziellen Veranstaltung mit dem Vorstand seines Herstellers deutsche Volkslieder sang. Auf der Bühne. Bis nachts um eins.

In den letzten Jahren mußte Gomme etwas erleben, was er vorher nicht kannte: Absatzflaute. Wegen der, gelinde gesagt, nicht gerade attraktiven Modellpalette der Japaner Ende der 90er Jahre. Wegen der Schlagzeilen um die Milliardenschulden des Unternehmens, das erst mit Wirken von Manager Carlos Ghosn wieder zu einem der profitabelsten Autokonzerne der Welt wurde. Auch bei der Modellpalette glaubt Gomme Land in Sicht: "Der neue Micra läuft gut, und der 350Z auch. So macht es wieder Spaß." Wobei der Mann ja sowieso nichts zu befürchten hat. Notfalls verkauft er halt noch ein paar alte Datsun Cherry – hätte bei mir ja auch fast geklappt ...

Technische Daten Datsun/Nissan • Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor • seitliche Nockenwelle • ein Fallstrom-Registervergaser • 33 kW (45 PS) bei 6000/min • 81 Nm bei 4000/min • Hubraum 988 cm³ • Bohrung x Hub 73x59 • Verdichtung 9,0:1 • Frontantrieb • Viergangschaltung • Einzelradaufhängung vorn und hinten • Bremsen vorn Scheiben, hinten Trommeln • Länge/Breite/Höhe 3660/1490/1380 • Leergewicht 655 kg • Tank 36 Liter • Reifen 155 SR 12 • Vmax 140 km/h

Von

Alex Cohrs