Herr Rosberg, Herr Wolff, was waren Ihre ersten Worte nach dem Verlust der WM in Abu Dhabi?
Nico Rosberg: Uhm. Das weiß ich gar nicht mehr. Toto?
Toto Wolff: Nico war da in seiner eigenen Welt. Ich kann mich aber noch sehr gut erinnern. Er kam in den Parc Fermé und war eigentlich okay. Er hatte ja während des Rennens schon genug Zeit gehabt darüber nachzudenken.
 
Herr Rosberg, war das so?
Rosberg: Ja, ich hatte ja viele Runden um das zu Verdauen. Ich war natürlich extrem enttäuscht und niedergeschlagen, aber das war dann relativ schnell übergegangen in Anerkennung für Lewis. Er ist nun einmal verdient Weltmeister geworden. Und mir ist auch bewusst, wie emotional das für das Team ist. Deshalb habe ich natürlich versucht nicht in dieses schwarze Loch zu fallen. 
 
Ist Herr Rosberg ein starker Sportsmann, Herr Wolff

Das ist für mich mehr als sportsmännisch. Die Jungs ticken ja anders als wir. Die sind so konzentriert auf ihr Ziel und geben alles dafür. Und dann gelingt es nicht. Das dann wegzustecken ist nicht so leicht. Man verlangt immer, dass sie ein Lächeln aufsetzen und politisch korrekt sind. Aber sie wären nicht dort, wo sie sind, wenn sie nicht solche absoluten Wettbewerbstypen wären. Und dass Nico es schafft, in so einem Moment sogar in den Raum vor der Podiumszeremonie zu kommen und das Team hochleben zu lassen; ich glaube, dass kein anderer Top-Fahrer in der Formel 1 so etwas gemacht hätte und das zeigt schon seinen Charakter.
Rosberg und Wolff
Erfolgreiches Duo: Nico Rosberg (li.) und Toto Wolff wurden bei der Race Night von AUTO BILD MOTORSPORT ausgezeichnet


Viele kritisieren aber auch, Nico sei ein zu großer Teamplayer, zu brav und zu weich. Ist das richtig ?

Nein. Den weichen Nico gibt es nicht. Das ist eine Fehleinschätzung. Nico ist beinhart, weiß genau, was er will, ist sehr fokussiert, in dem Maß rücksichtslos, wie er als Fahrer sein muss und auch Teamplayer, wenn es darum geht, die Performance des Teams zu steigern und damit ja auch die Performance seines Autos.
 
Herr Rosberg, wie hart werden Sie nächstes Jahr zurückschlagen?

Rosberg: Sehr hart, auf jeden Fall. Und da freue ich mich auch schon drauf. Auf die Herausforderung selber noch mal einen Schritt zu machen – wie in jedem Jahr. Dafür betreibe ich Rennsport. Für solche Duelle wie das mit Lewis. Das ist ja gerade der Nervenkitzel und der Reiz des Ganzen. Das Level ist so hoch und trotzdem geht es auf Augenhöhe hin und her zwischen uns. Genau das motiviert mich auch wieder für nächstes Jahr. Und diese Motivation ist jetzt seit ein paar Tagen auch schon wieder da. Neuer Angriff in 2015!
Wolff: Sie haben sich ja fahrerisch wirklich nichts geschenkt. Am Ende haben sie sogar die gleiche Anzahl an Ausfällen gehabt, sind durch Höhen und Tiefen gegangen, die sie beide schnell weggesteckt haben. Diese Fähigkeit muss man erst mal entwickeln. Und es war bis zum letzten Rennen alles offen. Nico hat Lewis in seiner Paradedisziplin auf einer einzigen Runde im Qualifying geschlagen. Das heißt: Er hat alle Ingredienzien um auch gegen einen Lewis Hamilton Weltmeister zu werden. In diesem Fall hat das Pendel am Ende in Richtung Lewis ausgeschlagen, aber wir werden versuchen Nico auch im nächsten Jahr wieder ein Auto zu stellen, mit dem er gewinnen kann. Deshalb ist klar, dass für Nico alles wieder auf Reset ist.
Rosberg: Meine Meinung zu den gleich vielen Ausfälle: Das würde ich so nicht sagen.
Wolff: Ich dachte: Rennen mit null Punkten waren ausgeglichen. 
 
Rosberg hatte vier technische Defekte in den Rennen in Kanada, England, Singapur und Abu Dhabi. Hamilton hatte einen Motordefekt in Melbourne und fiel in Montreal aus – wegen des Hybrid-Defekts, mit dem Rosberg noch auf Platz zwei fuhr. Er musste zweimal wegen technischer Defekte aus der letzten Reihe starten. Und er schied nach der Kollision mit Rosberg in Spa aus.
Rosberg: Genau diese Unterschiede meinte ich. Man kann eben nicht einfach 3:3 sagen. Jeder hat in solchen Fällen seine Meinung. Das Ganze objektiv zu betrachten und gegeneinander aufzuwiegen ist eigentlich unmöglich. Fakt ist: Der andere hat eben einfach mehr Punkte.
 
Hamilton hat gesagt, Ihr Teamduell war für ihn sogar härter als das gegen Fernando Alonso 2007.
Rosberg: (überlegt) Ja, auch für mich war es war das intensivste. Allein wegen der Platzierung, dem ständigen Kampf um Siege und die WM. Mit Michael (Schumacher; d. Red.) war es auch intensiv, die ganze Zeit, er hat das Level auch enorm hochgehalten, in jedem Bereich. Der Unterschied: Da ging es um einen siebten Platz. Und das ist schon anders. Der Druck ist an der absoluten Spitze viel höher.
 
Wie hat Toto Wolff das Teamduell zwischen Hamilton und Ihnen grundsätzlich gemanagt?
Rosberg: Ich weiß, dass das sehr, sehr schwer war. Denn es waren nur wir beide, die in jedem Rennen potentiell um den Sieg gekämpft haben. Und ich bin dankbar, weil Toto und auch Paddy (Lowe, Technikchef; d. Red.) mit der Unterstützung von Niki (Lauda, Aufsichtsratschef; d. Red.) einen guten Job gemacht haben. Und da bin nicht nur ich dankbar, sondern da können wir beide – Lewis und ich – dankbar für sein.
 
Herr Wolff, wie schwierig war es für Sie da immer wieder vermitteln zu müssen? Und aufpassen zu müssen, dass niemand bevorzugt oder benachteiligt wird?
Wolff: Schwierig, weil du natürlich deine eigene Meinung hast. Aber die ist manchmal eben nicht angebracht. Außerdem ist da auch immer irgendeine emotionale Bindung, wir sind ja alle nur Menschen. Und dann musst du noch aufs Team schauen. Auch wenn ich die Rennfahrerperspektive verstehe, kann es doch sein, dass ich eine andere Position einnehmen muss, weil ich fürs Team stehe und spreche und die Zusammengehörigkeit garantieren muss. Also habe ich in mir einen Interessenskonflikt, den ich mit mir austragen muss. Ich muss neutral bleiben. Wenn mir das entgleitet, entgleitet es mir ins Team hinein. Und wenn das passiert, spaltet sich das Team. Das ist manchmal hart, auch den beiden gegenüber.
 
Rosberg und Wolff
Im Interview: Rosberg (li.) und Wolff standen ABMS-Redakteurin Bianca Garloff (re.) Rede und Antwort


Ist es zwischen Ihnen öfter mal laut geworden in diesem Jahr?

Rosberg: Meinungsverschiedenheiten gab es auf jeden Fall, ja klar. Und da bleibt man auch nicht immer ganz ruhig. Wichtig ist dann, dass man das ausdiskutiert. Und das haben wir mit dem gewissen Respekt immer wieder geschafft. Und danach ging es wieder Vollgas weiter. Und das zeigt auch einen Zusammenhalt und eine Stärke als solche.
Wolff: Wir spielen auf zu hohem Niveau, als dass man sich die Sachen nicht sagen kann. Alles, was man mit sich schleppt, nicht ausspricht, bleibt irgendwo hängen. Spa (die Vorkommnisse nach der Kollision mit Hamilton; d. Red.) war bestimmt schwierig für Nico, vielleicht hat es ihn auch verunsichert, weil er nicht mehr wusste, was richtig und was falsch ist. Aber Transparenz ist unheimlich wichtig. Und Nico ist der erste, der den Telefonhörer in die Hand nimmt und sagt: Ich sehe das nicht so, deshalb müssen wir das jetzt besprechen. Umgekehrt machen wir es genauso in beide Richtungen. Das ist wichtig, weil wir alle das Interesse haben, das Team vorwärts zu bringen.
Rosberg: Für mich war Spa nach der Teamsitzung am Freitag danach abgehakt. Es ist wichtig, dass es eine Lösung gibt und weiter geht’s. Dass die nicht immer und überall zu 100 Prozent für dich selbst ausgeht, ist normal. Das ist oft ein Kompromiss. Wie so oft im Leben.
 
Wie bauen Sie Nico Rosberg mental fürs nächste Jahr wieder auf?

Wolff: Der Nico ist so steinhart, dass er das auch alleine schafft. Die Vivian trägt da sicherlich ihren Anteil zu bei – auf ihre Art. Wenn du um eine Fahrer-Weltmeisterschaft in der Formel 1 fährst, brauchst du keinen Coach und niemanden, der dich aufbaut. Das kannst du dann selbst am besten.
Rosberg: Optimistisch denken ist wichtig. Ich versuche immer negative Energie in positive umzuwandeln. Man darf nie aufgeben oder den Glauben verlieren. So ein WM-Kampf ist eine unglaubliche Erfahrung. Ich habe viel gelernt und weiß, woran ich arbeiten muss. Das geht es nur um Nuancen, aber die werde ich umsetzen.

Hat Nico Rosberg 2015 trotz des Titels von Hamilton 2015 die gleichen Chancen Weltmeister zu werden?
Wolff: Absolut. Wir werden die ein oder andere Situation vielleicht noch mal diskutieren, wie wir sie im kommenden Jahr besser handeln wollen. Da hat das Team, da haben wir alle, auch nicht immer ganz richtig agiert. Darüber werden wir sprechen und das verbessern. Nico hat aber immer die volle technische und moralische Unterstützung gehabt, die man haben kann. Wir haben beide fair und neutral behandelt und sie unterstützt, wo wir es konnten.
Rosberg: Und ich bin mir zu einhundert Prozent sicher, dass ich Weltmeister werden kann und darf!

Nach dem Interview schwärmt Rosberg so sehr vom Goldenen Schuh für die Leistungen des Teams, dass Wolff ihm den Preis schenkt mit den Worten: „Dieser WM-Titel ist auch Dein Verdienst.“