Mit dem Roadbook allein hinterm Steuer

Heute bleibt mein Beifahrersitz leer. Leider, schließlich hatte eine Dame den Platz neben mir bei einer regionalen Zeitung gewonnen. Plötzlich ist die Gute unauffindbar. Hat wohl gelesen oder gehört, daß es auf der Creme 21-Youngtimer-Rallye bisweilen ganz schön zur Sache geht. So muß mein Charme für die Strecke reichen.

Trotzdem fängt mein Tag nicht gut an. Als ich die aktuellen Fotos endlich in die Redaktion gemailt habe und zum Startplatz eile, ist der leer. Die Letzten seien vor einer dreiviertel Stunde abgebraust, erzählt mir das Putzpersonal. Na klasse. Dann muß ich das Feld von hinten aufrollen – mit dem Steuer in der einen und dem Roadbook in der anderen Hand: Nach 400 Metern rechts, nach 5,3 Kilometern halbschräg, bei dem Hinweisschild Richtung soundso nach links und dann geradeaus und immer schön auf die Starenkästen achten. So geht es den halben Vormittag.

Zum Glück läuft der 83er BMW 323i Baur-Cabriolet perfekt – und für seine 139 PS sogar erstaunlich flott, wenn ich die Dreigang-Automatik deaktiviere und per Hand schalte. Ich erreiche den ersten Kontrollpunkt. Der vorletzte Teilnehmer, der Alfa Spider mit der Startnummer 99, sei vor zehn, 15 Minuten hier durchgekommen, berichten die Streckenposten.

Hört sich doch gut an, ich bin schon fast wieder am Feld dran. Doch bevor es weitergeht, muß ich eine kleine Sonderprüfung machen und Nummernschilder zuordnen. Gefragt ist nach den Zulassungsbezirken, die es zum Teil seit den 70ern nicht mehr gibt. Immerhin, 14 von 15 kenne ich, sogar "BRV" (Bremervörde) und "SY" (Syke). Nur bei "NRÜ" (Neustadt am Rübenberge) muß ich passen.

Die Frage nach dem wahren Youngtimer

Bei manchen Ortsdurchfahrten winken die Leute, Kinder kreischen. "Guck mal, die Startnummer 61, das ist der von der AUTO BILD". Das oder ähnliches höre ich mehrmals. Scheint ja wirklich gelesen zu werden, was ich so schreibe. Aber es sind auch Unkenrufe zu vernehmen: Gar kein Oldie sei der BMW, nicht mal ein Youngtimer. Ich bin den Leuten nicht böse. Wurde ja schließlich bis in die frühen 90er gebaut, der 3er vom Typ E30.

Dennoch: Dieser hier ist ein frühes Exemplar mit Chrom-Stoßfängern, dazu noch als extrem rares – und übrigens sehr gut gebautes – Baur-Halbcabrio, außerdem erst 13.000 Kilometer auf der Uhr und somit taufrisch. Also zumindest ein kommender Klassiker. Wetten? Wird Zeit, das er sich an das Youngtimer-Dasein gewöhnt. Nach etwa 120 Kilometern taucht vor mir der Spider Nummer 99 auf (es sind doch mehr als 90 Autos dabei), ich habe den Anschluß wieder. Ich überhole, schließe zu weiteren Kandidaten auf und kann endlich mein Roadbook zuklappen.

Ganz schön anstrengend, fahren und lesen und orientieren gleichzeitig. Ich hänge mich an den Opel Rekord – ein C Coupé in fiesem gold metallic – dran, entspanne und erreiche den nächsten Kontrollpunkt. Aufgabe hier: Armaturenbretter aus den siebziger Jahren identifizieren. Sehen doch alle irgendwie gleich übel aus: Talbot, Datsun, Volvo, Lancia, Toyota, was weiß ich? Gar nicht wenig, wie sich herausstellt. Die halbe Punktzahl ist im Sack.

Von der Wasserkuppe zum Domplatz Erfurt

Das Sauerland ist mittlerweile durchquert, es geht Richtung Rhön. Herrliche Landschaft. Und die Deutsche Fachwerkstraße ... zu schade, daß ich keine Zeit habe, mir die alten Gemäuer mal näher anzusehen. Wenigstens lädt ein Kleinod zur Mittagspause: der bezaubernde Marktplatz von Alsfeld. Mehr als einen Ausflug wert, sag’ ich nur.

Richtung Wasserkuppe (Rhön), dem Segelflug-Berg Nummer eins hierzulande, hänge ich mich an drei Teams ran, die es ziemlich krachen lassen. Vorneweg – als Schlagmann sozusagen – das Paar mit dem silbergrünen Mercedes 280 SE (Typ W108, wohl um 1970), dahinter ein Triumph TR-6, dessen Aufpuff verdammt nach den Trompeten von Jericho klingt und dann der silberblaue BMW 3.0 CSi. Die Jungs geben richtig Stoff, jedesmal beim Gaswegnehmen züngelt bei dem alten BMW das obligatorische Ölfähnchen heraus (Ventilschaftabdichtungen verhärtet, wie der Fachmann weiß). Und wieder verliebe ich mich in das traumhafte Coupé. Eine Stunde lang an dem eleganten Heck hängen, das ist schon ein Erlebnis.

Endlich bin ich so weit vorn, daß ich mich mal ins Gebüsch hocken und die vorbeibrausenden Oldies fotografieren kann. Bisher sahen die Bilder mangels dieser Möglichkeit ja eher etwas statisch aus. Als alle durch sind, zuckele ich hinterher. Und erreiche als letzter den Domplatz in Erfurt, wo die Autos über Nacht stehen bleiben. Morgen früh um halb neun treffe ich mich auf dem Domplatz mit meinem nächsten Tagespassagier. Schulz heißt der Mann, und ist so um die 60 – mehr weiß ich noch nicht.