Zuerst dachten die Beobachter an der Ferrari-Haus-und-Hof-Strecke in Fiorano, der Helm sei blütenweiß. Von einer Straßenbrücke aus können Fans die Geschehnisse auf der Teststrecke verfolgen. So auch am vergangenen Samstag, an Sebastian Vettels erstem offiziellen Tag in rot. Und erst bei genauerem Hinsehen fiel auf: nur die Grundfarbe war weiß. In Windeseile hatte Ferrari ein Design auf den Helm gezaubert: das Logo der Scuderia über das Visier und eine rote fünf aufs Helmdach geklebt. Auf der Seite stand in kleinen, roten Lettern auf italienisch: „29.11.14 Mein erster Tag bei Ferrari.“
 
Das neue Design markiert den größten Schnitt in Vettels Rennfahrerkarriere. Seit er 13 Jahre alt war, gab das Red Bull-Logo das Grundmuster auf Vettels Kopfschutz vor. Das ist jetzt verschwunden. Vettel ist Ferrari-Fahrer. „Es war fantastisch hierherzukommen“, schwärmte er später auf der offiziellen Ferrari-Webseite. „Ich erinnere mich, wie ich früher schon hier war als kleiner Junge und versucht habe über den Zaun zu schauen. Jetzt ganz offiziell ein Teil des Teams zu sein ist einfach fantastisch.“ Sein Grinsen wirkte wie einbetoniert. Vettel ist längst infiziert vom Ferrari-Romantiker-Virus. Der Heppenheimer weiter: „Offensichtlich trage ich jetzt eine ganz andere Farbe, jeder ist in rot gekleidet, alles ist rot, aber das ist wirklich etwas ganz Besonderes für mich und ich freue mich schon auf die Herausforderung, die wir für die kommenden Jahre angenommen haben.“
 
Fast 100 Runden absolvierte der Deutsche mit neuem Kurzhaarschnitt und glattrasiertem Gesicht. Der Testträger: ein Ferrari von 2012, mit dem Fernando Alonso ihm fast seinen dritten Titelgewinn vereitelt hätte. Nach der fehlerfreien Ausfahrt unter nassen Bedingungen waren die Techniker voll des Lobes. Gepriesen wurde Vettels präzises technisches Feedback, seine schnelle Integration ins Team, seine charismatischen Führungsqualitäten, natürlich seine Witze und nicht zuletzt sein Wille Italienisch zu lernen. Vettel wiederum motivierte sein neues Team mit der Ansage: „Zusammen schaffen wir es zurück an die Spitze.“
 
Im Simulator lernte der Vierfachweltmeister anschließend auch den aktuellen F14T – zumindest virtuell - kennen. Mit Technikchef James Allison besprach er die technischen Details des neuen roten Renners, legte die Position von Knöpfen am Lenkrad und im Cockpit fest. Vettels Ex-Chef Helmut Marko zu ABMS: „Der Test war legitim und sogar sinnvoll. Immerhin kann er so früh wie möglich feststellen, wie die Ferrari-Ingenieure arbeiten und sich so mit deren System vertraut machen.“ Am Montag traf der Hesse dann auf FIAT-Boss Sergio Marchionne und seinen neuen Teamchef Maurizio Arrivabene. Ergebnis des Meetings: ein Zeitplan, wie man Ferrari wieder zurück an die Spitze der Formel 1 bringen will.
 
Für Vettel von ganz besonderer Bedeutung: Er schlief nach SPORT BILD Informationen in jenem Haus von Enzo Ferrari in Fiorano, in dem auch Michael Schumacher zu nächtigen pflegte. Er speiste mit Vizepräsident Piero Ferrari im Traditionsrestaurant Cavallino. Er besuchte das Ferrari-Museum. Vettel atmete die Legende. Kein Wunder, dass er später sagte: „Als ich 11 oder 12 Jahre alt war, stand ich an den Zäunen und habe versucht einen Blick auf Michael (Schumacher; d. Red.) zu erhaschen“, so Vettel weiter. „Diesmal war ich nun derjenige, der in Fiorano fuhr und ich habe die Tifosi rundherum stehen sehen.“ Offenbar kann es der Vierfachweltmeister selbst kaum glauben, dass er jetzt für Ferrari fährt. Jedenfalls schwärmt er: „Es gibt so viele Legenden von Ferrari und wie es sein muss, das rote Auto zu fahren. Am Ende kann ich diese Geschichten nur bestätigen. Das ist nicht nur ein Märchen, es ist eine wahre Legende und es ist ganz speziell zu sehen, wir die Leute an den Mauern hochklettern, um das Auto zu sehen. Das Ganze hat etwas Magisches und ich werde das, was in den letzten Tagen passiert ist, nie vergessen.“
 
Vettels nächster Arbeitsbesuch in Maranello ist erst im Januar geplant. Doch der Deutsche hat offenbar schon angekündigt, viel Zeit in Italien verbringen zu wollen. Vor und nach jedem Rennen plane er Testfahrten im Simulator. Diesen Arbeitseifer kannten die Tifosi bisher nur von Michael Schumacher.

Von

Ralf Bach