Rascasse, Ratzfatz, Beulengefahr

Ein Ferrari Testarossa schleicht die enorme Steigung zum Casino hinauf. Dicht dahinter kriecht ein Lamborghini. Schaufahren auf den Straßen von Monte Carlo. Sehen und gesehen werden beim Glamour-Grand-Prix des Jahres. Die Nobel-Karossen stoppen vor der "Tip-Top-Bar". Sonst ein gewöhnliches Straßencafé, aber am Abend vor dem Formel-1-Rennen Treffpunkt der Reichen und Schönen. Am "Raceday" futtern und gucken die edlen Gäste dort für 500 Euro, während Schumi im F-2003-GA vorbeidüst.

Kurvenroulette à la carte – in diesem Jahr auf einer gigantischen Großbaustelle. Denn Hafen und Boxen wurden umgebaut. Einzige spürbare Neuerung für Fahrer bislang: Die Piste rund ums Schwimmbad ist jetzt zehn Meter breit. Ein halber Meter mehr Luft für die dortige Schikane sowie die Anfahrt zur Haarnadel Rascasse. Die berühmte 180-Grad-Kehre am Grand-Prix-Café wird dadurch aber spitzer. "Diese Kurve ist die einzige im aktuellen Formel-1-Kalender, in der die Drehzahl im ersten Gang unter 5000 Umdrehungen pro Minute fällt", weiß BMW Motorsportchef Dr. Mario Theissen.

2002 schlugen die Piloten bei der Anfahrt zur Rascasse reihenweise mit ihren PS-Geschossen ein: Kimi Räikkönen zerlegte sein McLaren-Chassis im freien Training. Den Rest des Wochenendes musste er mit dem Ersatzauto fahren. "Dieser Kurs verlangt vom Fahrer unentwegt äußerste Präzision bei maximalem Tempo. Es geht hier viel mehr um Millimeter als um Zentimeter", stöhnte der Finne. Folge: Ein Mix aus körperlicher und psychischer Belastung. Ein Überschuss an Agression, jedes Nachlassen wird sofort mit Leitplankenkontakt bestraft.

Mehr Platz für Zuschauer und Fahrer

Totalschäden zählen im Vorgarten von Fürst Rainier zum Alltag. 2003 gab es beim GP sieben Kohlefaser-Schäden – auch durch Bremsdefekte am Ende der Start-Ziel-Geraden eingangs der St.-Dévote-Kurve. Genau dort hatte es 2000 auch schon Ralf Schumacher mit leichten Verletzungen und Heinz-Harald Frentzen erwischt. Der Unterschied: Schumi II verlor etwas Blut, Frentzen seinen zweiten Platz. 2002 fuhr David Coulthard vom zweiten Startplatz aus bravourös zum Sieg. Die Schlüssel zum Monaco-Erfolg: extrem weiche Reifen (im Vorjahr Vorteil Michelin), eine optimale Balance (gut für Silberpfeile und Ferrari) sowie Traktion (Renault-Domäne), beherzte und begnadete Piloten.

Die PS-Monster müssen bei den "Mone-Gassen" präzise reagieren, um die Kurvenfahrten und 3042 Gangwechsel über 78 Runden hinweg zu meistern. Nur Regen, Unfälle oder Defekte wirbeln die Reihenfolge im Fürstentum für gewöhnlich durcheinander – diesmal regelbedingt vielleicht auch die ein oder andere gewagte Taktik. Wie 1996 beim Schauerrennen: Die Zielflagge sehen nur vier Autos, als erster überraschend Olivier Panis im Ligier. Noch heute zehrt der Franzose von diesem prestigeträchtigen Sieg.

Monaco ist eben etwas Besonderes. In der Enge eines architektonischen Lego-Kastens wird Unmögliches möglich gemacht. Derzeit ist das Fürstentum im Baurausch. Die 5000 Quadratmeter große Fläche wurde mit Strahlstreben dem Meer abgewonnen. Dieser fußballfeldgroße Bereich ist mit gigantischen neuen Betonpfeilern im Boden verankert. Taucher waren täglich, teils länger als erlaubt, im Wasser. Jetzt ist in der Hafenarena die Piste breiter (zehn Meter statt 9,5). Und gegenüber 2002 finden 4700 Zuschauer mehr Platz. Zusätzlich erneuerte der Veranstalter den Asphalt zwischen Hafen und Casino.

Versperrte Sicht auf die Startgerade

Die größte Baustelle ist und bleibt der Boxenbereich. 2003 müssen alle Techniker, Ingenieure und Mechaniker zum letzten Mal quetschen, spapeln, zusammenrücken. "Zurzeit beträgt die Breite etwa 15 Meter, die Box wird dann auf mehr als 30 Meter erweitert", verspricht René Isoart, Generalsekretär des monegassischen Automobilclubs. Erst 2005 ist die neue Boxenanlage komplett. Der Clou daran: Zwischen der Start-Ziel-Geraden und der Boxengasse liegen noch die zweistöckigen Garagen. Das bedeutet, die Teamchefs können von den Kommandoständen aus den Start nicht mehr sehen.

"Die Ausstattung der Boxen wird uns mehr als zwei Millionen Euro kosten", sagt Isoart. Die kompletten Umbaukosten liegen bei 20 Millionen Euro. "Wirklich fertig wird die neue Hafenanlage erst 2007 oder 2008", fügt Isoart hinzu. Denn daneben entstehen noch eine große Tiefgarage und ein Luxushotel, deren Elektroanschlüsse unterirdisch verlegt werden.

Doch für die nächste Vorstellung im schnellsten Stadttheater der Welt verschwinden jetzt erstmal die Lastwagen, Bagger und Kräne hinterm Vorhang. Innerhalb von zehn Wochen haben rund 80 Mitarbeiter das betuchte Monaco in eine Renn-Arena verwandelt: 35 Kilometer Sicherheitsplanken, 15.000 Quadratmeter Zaun, 5330 Reifen verbaut.

Die Jagdsaison ist eröffnet. Die Piloten sind geladen, sie lieben das unbeschränkte Stadtsausen, den Ritt durch die Reizwelt, egal mit welchem Modell. Ein guter Start – und das Rennen kann rollen.