Kühlerrippen, mächtig wie Tempelsäulen

Das Größte an Rolls-Royce ist der Respekt vor dem Namen. Der wirkt schon bei der Kleiderfrage. Was zieh' ich an zum Rendezvous mit einem 101 EX? Anzug? Weste? "Nur keine Jeans", sagt Wolfgang Sauer, der Herr über die 4,5 Millionen Euro teure Studie. "Denim-Stoff könnte aufs Leder abfärben." Das wollen wir Herrn Sauer, aber auch den Scheichs und Promis nicht zumuten. Schließlich sollen sie den 101 EX nicht nur bestaunen, sondern am besten gleich bestellen, wenn er jetzt auf Werbetournee rund um die Welt geht. Ich greife zum Kompromiß: beige Cordhose.

Erste Werbe-Station ist Hamburg. Wir rollen den Rolls, dieses 5,61 Meter lange Asphaltschiff, dorthin, wo sonst große Pötte wie die Queen Mary 2 anlegen: in den Hafen. Direkt unter die Piers, in den alten Elbtunnel, der frisch renoviert ist. 99 Jahre alt, Reliefs an den Wänden, das passende Ambiente für dieses Monument vom obersten Ende des automobil Machbaren. Hier unten erscheint der Rolls noch größer, imposanter, entfernter vom Rest der Autowelt. Die Coupé-Studie duckt die Nase nicht windkanaldemütig wie ein Maybach, spielt nicht den Panzer-Sportler wie Bentley – der 101 EX reckt seine senkrechten Kühlerrippen unbeirrt wie Tempelsäulen in die Weltgeschichte.

Was dahinter kommt, folgt der schieren Lehre, wie man dem staunenden Volk ein stummes "Boah!" entlockt. Endlos die gepfeilte Haube, die Türen sind hinten angeschlagen und öffnen majestätisch schwer. Das geduckte Coupédach mit breiten Blechsäulen verwehrt den Blick in den Fond so geschickt, daß man im Dunkeln mindestens irgendeine Herzogin oder so was vermutet. Dabei dürften hinten, in dieser edlen Capone-Lounge mit Art-déco-Beleuchtung, wohl höchst selten Passagiere ihre Abendgarderobe zerknittern.

Unter sechs Sekunden auf Tempo 100

Der 101 EX (das Kürzel steht für EXperimental Car im 101. Jahr des Firmenbestehens) ist der Rolls-Royce zum Selberfahren, zum Einstieg vorn links hinter einem riesigen Lenkrad. Verblüffend, mit wie wenigen Knöpfen und Schaltern das Armaturenbrett (hier paßt das Wort) auskommt. Ein paar Regler für Radio, Lüftung, dazu im Handschuhfach der Schalter zum Versenken der beleuchteten Kühlerfigur Emily – das war's. Ein iDrive hat der EX auch, schließlich zählt Rolls-Royce als Edelstein zum BMW-Konzern, aber der Knubbel versteckt sich unter einer Armlehne in der Mitte. Wer an den Hebeln der Macht sitzt, braucht in seinem Samstag- und Sonntag-Spielzeug keine Schalterfront zum Angeben.

Höchstens ein kleines Rundinstrument links vom Tacho: "Power Reserve" steht da drauf und zeigt an, wie viele der 460 PS sich ungenutzt warm traben. Eine Restkraftanzeige in Prozent. Respekt! So gelassen rechnet man, wenn's nicht so drauf ankommt. Der Zwölfzylinder mit 460 PS stammt vom Phantom. Die viertürige Limousine ist derzeit einziges Serienmodell, wurde 2005 weltweit 796mal verkauft und fuhr der englischen Edelmarke dennoch keine schwarzen Zahlen ein. Deshalb müssen weitere Ableger her – andere nennen das "Plattformstrategie". Im Sommer 2007 erscheint das Cabrio namens Corniche, das weitgehend der Studie 100 EX von 2004 entspricht.

Der 101 EX, wie er im Elbtunnel steht, ist grob gesagt das geschlossene Cabrio. 6,75 Liter Hubraum, von null auf 100 in weniger als sechs Sekunden, aber wen juckt das? Die Studie muß beeindrucken, schon im Stand aussehen "wie ein Schiff, das mühelos leicht anfährt", sagt Axel Obermüller, Vertriebsdirektor für Europa und den Mittleren Osten. Das ist der Charakterzug, der die Klientel zum Scheckbuch greifen läßt: Das gewaltige, 2,5 Tonnen schwere Schiff muß immer souverän wirken, als ob es sich nie anstrengt. Für diesen Eindruck haben die Designer sich unglaublich angestrengt.

Die Motorhaube ist aus dem Vollen gefräst

Die Rolls-Studie ist im Detail so hochwertig gebaut, daß eine Bulgari-Boutique daneben aussieht wie ein Edeka-Laden. Die riesige Motorhaube ist aus einem einzigen, fünf Tonnen schweren Alublock gefräst. Man erzählt uns, daß ein Mechaniker sie 200 Stunden lang in eine Richtung gebürstet hat, um diesen glänzenden schweren Maschinen- Look zu erzielen, der kein Tröpfchen Regen verträgt. So entstand auch der vordere Scheibenrahmen mit den neckischen Dreiecksfenstern. Details, die Wolfgang Sauer schätzt. Der gelernte Modellbauer arbeitet seit 31 Jahren bei BMW und strotzt vor stillem Stolz, daß die Münchner solche Einzelstücke in fünfmonatiger Arbeit noch selbst fertigen. Keine leere Hülle, sondern ein voll fahrbereites Auto, das souverän schwingend die Pflasterstraße vor dem Elbtunnel unter die riesigen 21-Zoll-Räder nimmt.

Noch ein paar Details aus der Abteilung wäßriger Mund? Die Emily ist aus Plexiglas gefräst und von unten beleuchtet. Im Innenhimmel schimmern 1600 Leuchtdioden, alle von Hand mit Glasfaserkabel verbunden und per Drehregler dimmbar, wie ein nächtliches Sternenfirmament. "Das wollten Araber in Genf schon vom Stand wegkaufen", erzählt Sauer. Und verrät auch: "Die breiten Fensterbretter rechts und links sind gar nicht aus Holz – sie sind gemalt! Die Einzelanfertigung wäre zu teuer." Schicksal eines Schaustücks.

Wann kommt das Serienauto? Vertriebschef Obermüller stapelt englisch tief: "Das ist nicht entschieden." Wirklich nicht, trotz globalen Applaus, trotz stummer "Ooohs" und wedelnder Schecks? Mal rechnen: Das Cabrio erscheint 2007, rund 40 Monate nach dem Show-Car, damit könnte das Coupé etwa 2009 folgen. Die Chance, die Begeisterung am 101 EX in Pfund und Euro umzumünzen, läßt Rolls-Royce sich bestimmt nicht entgehen. Bei allem Respekt.

Von

Joachim Staat