Bülks Werkstatt – ein Durcheinander

Manchmal lohnt sich ein kleiner Seitenblick. Einer dieser Momente ist, wenn Eggert Bülk (62) von seinen Erfindungen erzählt. Aus den Augenwinkeln kann man dann beobachten, wie seine Ehefrau Bärbel (63) ein gütiges kleines Lächeln aufsetzt. Und den Besucher mit einem Blick ansieht, der offenbar sagen soll: "Ach, lassen Sie ihn halt einfach reden ..."

Wenn es um Fahrzeuge, um ihr Design und speziell um Aerodynamik geht, dann ist der Hamburger mit der Prinz-Eisenherz-Frisur und der fast backsteingroßen Quadratbrille nicht mehr zu halten. Dann erzählt er von dem Fahrrad, das er durch geschickte Verkleidung schon 1959 bergab auf 108 Stundenkilometer trimmte. Von dem 9-PS-Roller, den er 1962 durch windschnittiges Design 118 km/h laufen ließ. Und natürlich von seinem "Vier-Personen-Spaß-Automobil", das er 1996 beim Audi-Design-Preis einreichte. Und von dem VW das Design für das 1-Liter-Auto abgekupfert habe. Behauptet jedenfalls Herr Bülk – und lädt gerne zur Begutachtung ein.

Der Weg zu dem 1-Liter-Original führt durch Tempo-30-Zonen im äußersten nordwestlichen Zipfel Hamburgs Hamburgs und endet mit der ersten kleinen Verwunderung: Weshalb, um alles in der Welt, parkt die schwarze C-Klasse des Diplom-Ingenieurs in der Einfahrt, wenn dahinter gleich drei Garagen stehen? "Das kann ich Ihnen zeigen", sagt Besitzer Bülk und öffnet die drei Tore. Erste Garage: zwei komplett verkleidete Liege-Fahrräder. Zweite Garage: ein in der Höhe einklappbarer Wohnwagen und jede Menge Arbeitsmaterialien. Dritte Garage: Gerümpel. Oder, anders ausgedrückt, eine eher ungeordnete Ansammlung von Werkzeug, Schleifmitteln, Styroporplatten, Glasfaser.

Bülks Spaßmobil – gedacht für 200 km/h

"Hier sieht’s vielleicht aus. Und er bastelt immer weiter", flüstert Bärbel in diesem Moment, "irgendwann streike ich mal." Aber das hier, das ist eben Eggerts Werkstattwelt. Fast jede freie Minute arbeitet der Garagenbastler hier an seinen Verkleidungen und Modellen. Und zwar grundsätzlich in der Hocke. "Das habe ich mir in Kolumbien angewöhnt, das machen da alle Menschen so." Damals, als Kind, lebte er mit seinen Eltern nahe dem Bergdorf Matanza, in dem Eggerts Vater eine Kaffeefarm verwaltete. Zum Ingenieur-Studium kam Bülk zurück nach Deutschland. Inzwischen arbeitet er für ein Hamburger Unternehmen, das Messanlagen und Armaturen zur Flugzeugbetankung entwickelt.

Die Freizeit aber gehört der rastlosen Suche nach der perfekten Aerodynamik. Es war ein Montagmorgen, als Bülk beinahe die Zeitung aus der Hand gefallen wäre. Ferdinand Piëch sah er da auf dem Foto, mit locker um den Hals geschwungenem Schal. Das Bild zeigte Piëch auf der Fahrt zu seiner letzten Hauptversammlung als VW-Chef – und zwar im als Weltsensation gepriesenen 1-Liter-Auto.

Für Eggert Bülk war das keine Sensation, sondern ein Ärgernis: "He, das kennst du doch", dachte er sich. Und kramte flugs seine alten Unterlagen hervor. Acht Jahre lang, erzählt Bastler Bülk, habe er damals über ein möglichst aerodynamisch geformtes Auto nachgedacht. Herausgekommen ist ein 3,80 Meter langes Gefährt, das von außen tatsächlich Ähnlichkeiten mit dem 1-Liter-Auto aufweist. Mit dem Unterschied, dass bei Bülks "Spaßmobil" gleich vier Menschen hintereinander sitzen, die Beine nach links oder rechts ausstrecken können. Und dass es durch einen geschätzten cW-Wert von 0,22 und einen 500-cm3-Leichtbaumotor mit 55 kW angeblich um die 200 km/h laufen, dann allerdings statt des einen drei Liter verbrauchen würde. Sagt Herr Bülk. Und der muss es ja wissen.

Bülks Erfindergeist – ein ewiger Quell

An fast alles hat der Diplom-Ingenieur bei seinem 1:5-Modell aus mit Glasfaser überzogenem Bauschaum gedacht: An die Seite passen vier Paar Ski, die Kühlluft tritt durch das große Audi-Emblem ein, in die Rückspiegel waren schon damals Blinker integriert, der Teleskop-Scheibenwischer wird in der Ruhestellung in einem Behälter beheizt, kann so nicht mehr einfrieren. Und so weiter, und so weiter.

Zwei Seiten lang ist die Beschreibung, die Bülk am 8. Dezember 1996 an die Audi AG schickte. Die Antwort kam am 7. Februar in Form eines Standardbriefes. Man bedanke sich herzlich für die Teilnahme, schrieben die Ingolstädter, im Wettbewerb mit den anderen 384 Einsendungen sei der Vorschlag von der Jury aber leider nicht ausgewählt worden. Eggert Bülk legte sein Spaßmobil zu den Akten und holte es, leicht zornig, nach der Zeitungslektüre über das 1-Liter-Auto wieder hervor. "So ein Auto hatte ich doch vorgeschlagen", sagt Bülk, "es verwundert mich schon sehr, dass ein großer Konzern so gehandelt hat."

Na gut, dass VW bei einem Hamburger Garagenbastler abgekupfert haben soll, muss man ja nicht unbedingt glauben. Aber anerkennen sollte man, wie viele Gedanken und was für eine große Arbeit sich so ein Garagenbastler macht. Unbezahlt und nur in der Freizeit. Eggert Bülk macht mit der 1-Liter-Geschichte auch gerade seinen Frieden. Hat auch gar keine Zeit, sich darüber noch aufzuregen, schließlich muss er weiterbasteln. Gerade baut er das Dach seines Einfamilienhauses aus, richtet sich ein Arbeitszimmer ein. Nicht mit Regalen von der Stange, sondern mit selbst geformten Arbeitsflächen aus Ytong und Glasfaser. Stolz zeigt der Mann zum Abschied sein neues Reich. Daneben steht seine Frau. Und wer genau hinschaut, kann ihn wieder erkennen – diesen gewissen Blick von ihr.