Alfa feierte 1985 den Fünfundsiebzigsten und brachte dazu den 75 auf den Markt. Das heißt, liebe Alfa-Leute, nicht vergessen: Nächstes Jahr sollte der Alfa 100 präsentiert werden. Mit Hinterradantrieb und Transaxle bitte, genau wie der 75. Zum Feiern war Alfa damals freilich nicht zumute. Die Geschäfte des Staatsbetriebs gingen flau, der Schuldenberg wuchs, und der Verkauf an Fiat war nur noch ein Jahr entfernt. Danach standen Alfa auf Fiat-Frontantriebsplattformen, der alte Geist war dahin. Somit ist der 75 der letzte echte Alfa, was die Baureihe verlockend macht, insbesondere deren Topmodelle Turbo und 2.5 V6. Die waren erstaunlicherweise gleich stark (155 bzw. 156 PS), machten sich gegenseitig aber kaum Konkurrenz. Der Turbo wurde der Renner in Italien, wegen der dortigen Luxussteuer von 33,3 Prozent für Autos über zwei Liter Hubraum, sodass selbst Ferrari und Maserati kleine Motoren aufboten.

Schräg: Plastikstreifen wie eine Tapetenleiste

Alfa Romeo 75 Turbo
In den anderen Ländern wurde der V6 bevorzugt, denn der hatte seinen rauchigen Gianna-Nannini-Sexappeal in der Stimme und besaß geschliffenere Manieren. Der Motor lief gleichmäßig wie eine Turbine, wogegen der 75 Turbo untenherum kraftlos bleibt, mit dem Turbo-Bums bei 2500 Touren dann aufwacht und am Ende sehr schön bis auf über 6000 dreht. Der Motor ist übrigens die Fortentwicklung des Doppelnockenwellenmotors aus den 50ern und 60ern. Die lang gestreckte, kantige Karosserie in Keilform ziert – da muss man erst mal drauf kommen – ein aufgesetzter schmaler Plastikstreifen an der Gürtellinie, wie eine Tapetenleiste, was dann auch ihr Erkennungsmerkmal wurde. Ansonsten ist stilistisch alles very Eighties, als könnten damals Kunststoffpressen nur Ecken stanzen: eckige Armaturenträger, eckige Schalter, eckige Ausströmer. Dass es sich trotz der vier Türen um einen Sportwagen handelt, beweist das Fahrwerk.
Alfa Romeo 75 Turbo
Dank Transaxle-Bauweise ist die Gewichtsverteilung demokratisch fifty-fifty. Die aufwendige De-Dion-Hinterachse mit Wattgestänge und einem 25-Prozent-Sperrdifferenzial sorgt für fabelhafte Fahreigenschaften, je nach Gaseinsatz von leicht unter- bis fröhlich übersteuernd. Von ESP hat damals niemand auch nur geträumt. Reeller wäre sowieso der Wunsch nach einer präziseren Schaltung im 75 gewesen. Übermutter Fiat war die Modellpflege am Turbo in den turbulenten Zeiten nach der Übernahme herzlich egal. 1987 bekam der 75 die dicken US-Stoßstangen und nannte sich 75 America. Klima, ABS, Kat und vor allem Servolenkung waren aber noch immer nicht lieferbar. Erst 1990 gab es ABS, Kühlbox und eine leichte Leistungsspritze auf 165 PS, wodurch sich der Zusatzname America in Quadrifoglio Verde änderte. 1992 war Schluss mit 75. Da hätte der letzte wahre Alfa allerdings auch schon 82 heißen müssen.

Historie

1985: Den Nachfolger der klassischen Giulia und keilförmigen Giulietta nennt Alfa "75", wegen des Firmenjubiläums. Seitdem wird nummeriert: von 155 über 156 bis zuletzt 159. 2011, so hört man, soll’s wieder eine Giulia geben. Die ersten Turbos des 75 leisteten aus 1,8 Liter Hubraum zwar 155 PS, wurden in Deutschland aber wegen der Versicherungsklassen bloß mit 150 PS zugelassen. In der schärfsten Variante besaß der Turbo ab 1990 schließlich 165 PS.

Plus/Minus

Die Alfa-Motoren an sich sind sehr robust, sofern man sie immer warm fährt. Turbos gehen aber schon mal kaputt. Wichtig nach eiliger Fahrt: abkühlen lassen, erst dann abstellen. Rost gibt’s beim 75 an der Wagenheberaufnahme, den Radläufen und am Abschlepphaken. Das zäh schaltbare Getriebe verabschiedet sich früh von der Synchronisation im zweiten Gang. Auch die Getriebeaufhängung geht gern kaputt, der Auspuff ist zu dicht dran. Bei der Elektrik ist die ARC, die Check-Control, chronisch verwirrt und zeigt Systemprobleme an, wo keine sind. Die Anzeigeinstrumente gelten als Schätzeisen, so verfügt der Drehzahlmesser oft über reichlich Fantasie.

Ersatzteile

Alfa kümmert sich leider nicht gerade ausgesprochen engagiert um seine 75er. Beispiel Auspuffkrümmer: Sie reißen manchmal, originale Ersatzteile gibt es aber nicht, nur teure und zudem nicht sehr gute Ware von anderen Herstellern. Die meisten Elemente der Innenausstattung sowie Zierteile sind ebenfalls nur schwer zu beschaffen. Vergleichsweise problemlos dagegen sind Blechteile, Lampen, Spiegel, Getriebe- und Motorteile zu bekommen.

Marktlage

Der 75 Turbo ist in Deutschland zwar eine Rarität, in Italien aber relativ leicht zu bekommen. Vorteil: Dort gibt es auch meist weniger Rostprobleme, dafür allerdings oft echte Pflegefälle wegen Vernachlässigung. Gute 75er finden sich häufig auch in der Schweiz. Interessant ist der "Evoluzione" mit gewöhnungsbedürftiger Verspoilerung , aber nur 500 gebauten Exemplaren. Er diente als Homologationsmodell für den Rennsport. Der am häufigsten gebaute Turbo America kostet im Zustand 2 bis 3 rund 3500 Euro.

Empfehlung

Selten ist der aufdringliche 75 Turbo Evoluzione, am alltagstauglichsten der Quadrifoglio Verde von 1991–92. Gefragt sind besonders die mit Luke und Klima. Am Ende wurde noch eine "Limited Edition" von 1000 Stück mit Recaros und Alurädern aufgelegt. Ansonsten gilt: Wenige Kilometer plus wenige Vorbesitzer und gestempeltes Serviceheft macht einen vermutlich guten Alfa. Sofern der Motor immer warm und der Turbo am Ende schön kalt gefahren wurde.