In der Schule, heißt es, lernt man fürs Leben. Der Satz klingt so abgedroschen – und birgt doch viel Wahrheit in sich. Wenn etwa an der Hamburger Julius-Leber- Gesamtschule ein Motor von morgen im Unterricht von heute spielerisch erprobt wird, erinnert das Experiment verdammt an die Realität da draußen: mit ihren Ideen und Hindernissen, ihren Fort- und Rückschritten. Wo Forschung, Wirtschaft, Politik seit Jahren versuchen, fossile Kraftstoffe durch saubere zu ersetzen – und irgendwie nicht recht vorankommen. Es geht um Wasserstoff. Genauer: die Brennstoffzelle. Dass es die saubere Energiequelle gibt, wissen fast alle im Wahlpflichtkurs "Natur und Technik", schließlich fahren in Hamburg mehrere Wasserstoffbusse. Aber wie sie funktionieren? Dieses "Ja" kommt deutlich zaghafter.

Wie funktioniert denn umgekehrte Elektrolyse?

Alternative Antriebe
Theorie: Lehrer Peter Bulicke erklärt die umgekehrte Elektrolyse am Projektor.
Doch mal ehrlich: Welcher Erwachsene weiß denn schon, wie umgekehrte Elektrolyse funktioniert? Strom gewinnung über "Proton Exchange Membranes", kurz PEM? Sprit ohne Qualm hinterm Auspuff? Eben! Statt grauer Theorie packt Peter Bulicke die Praxis auf den Tisch, verpackt in drei blau-weißen Kartons. Der junge Lehrer bittet an diesem sonnigen Frühlingsmorgen zur Bastelstunde. Die "kleinsten mit Wasserstoff betriebenen Autos der Welt", so das Benutzerhandbuch, müssen zusammengebaut werden. Es geht um eine der Schlüsseltechnologien am Ende des Erdölzeitalters, um die Zukunft also. Doch erst mal zählt nur die Optik. "Den da!", rufen die Achtklässler und meinen weder den unförmigen "Hydroracer" noch das klobige "Fuel Cell Car Science Kit", die ihre Tanks zur Wasserstoffgewinnung im Heck tragen. Nein, sie wollen den "H-Racer", ein windschnittiges Modell, eher Typ Ferrari als Mondfahrzeug, dessen Tankstelle nicht mitfährt.

Die Brennstoffzelle ist die harte Nuss

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Mädchen-Power: Nicole (rechts) erklärt ihrem Team, wie die Akkus unterm künstlichen Licht geladen werden.
Schönheit vor Vertrauen – so ticken die Kunden auch im Konsumkosmos jenseits der Klassenzimmer. Doch so laut 13 Jungs im Physikraum auch rufen – die drei Mädchen sind schneller. Und während die beiden Teams nebenan noch diskutieren, bringt Nicole bereits Struktur in ihre Gruppe. "Ich lese die Anleitung vor, und ihr baut zusammen", dirigiert sie André, Viviane, Oliver, Melanie und Benjamin. Sofort werden Schrauben gedreht, Schläuche geschnitten, Kabel gelegt. Nichts Kompliziertes also: Die Karosserie ist vorgefertigt, der Motor sowieso, als Wasserstofftanks dienen kleine Luftballons im Chassis, bloße Mechanik nach Baukastenprinzip. Die wirklich harten Nüsse stecken in der Brennstoffzelle. Im Detail zu hart für dieses Alter, meint Peter Bulicke. 14-Jährige hätten ja noch nicht mal Chemie im Unterricht. "Aber grundsätzlich können sie das schon nachvollziehen." Also will er es mal grundsätzlich erklären und bittet zur "kleinen Theorieeinheit".
Aufjaulen – klar: Praxis ist besser. Und als er in simplen Worten erklärt, dass Wasser, "ein sehr stabiler Stoff", erst mit Strom in seine Bestandteile zerlegt werden muss, um sie für die Stromgewinnung hinter einer platinbeschichteten Polymerfolie wieder zusammenzufügen, als er von Protonen spricht, die sich unter Energiefreisetzung an Kathoden mit Elektronen und Sauerstoff vereinen, da gehen die Kinnladen merklich nach unten. " Wenn alle Autos mit Wasser fahren, wird dann nicht das Wasser knapp?", will Oliver wissen. Wird es nicht, sagt Bulicke. Das Endprodukt sei ja Wasser. Und als David fragt, ob die Formel 1 ohne Motorenlärm langweilig würde, bietet Sitznachbar Eike künstliches Knattern vom Band an. "Bei Motorrädern wird das schon getestet." Gut, dass währenddessen die Sonnenkollektoren aller Modelle unter einer UV-Lampe köcheln. 20 Minuten reichen laut Hersteller für einige Minuten Fahrt. Doch nach dem Laden bewegt sich – nichts.

Die Technik bockt mal wieder

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Praxis: Tim und Tom verkabeln den Sonnenkollektor mit den Wassertanks.
Die Euphorie schwindet, bis gewöhnliche Akkus zwei Modelle mit Strom aus der Steckdose unter großem Jubel zum Fahren bringen. Nun ja, sie schleichen mehr. 0,7 Stundenkilometer, rechnet der Lehrer aus. Und so wird der Schulversuch en miniature zum Abbild der Technik im Originalmaßstab: Ein sauberer Antrieb stimmt alle Welt euphorisch. Weil er jedoch mit Ökostrom nicht recht vorankommt, müssen Gas, Kohle, Atomkraft einspringen. Je mehr Probleme auftreten, desto kleiner wird die Energie der Brennstoffzellenfans. Und so, wie die Pkw-Branche auch 160 Jahre nach der ersten Brennstoffzelle aufs erste bezahlbare Serienmodell wartet, bleibt im Schulversuch ausgerechnet jenes Modell stehen, das nicht nur schön aussah, sondern in perfekter Teamarbeit gefertigt wurde. "Wir haben doch alles richtig gemacht", jammert Nicole. Und hat sogar recht. Es ist die Technik insgesamt, die bockt. Wie im richtigen Leben.

Das machen die Autohersteller

Hersteller wie VW, BMW, Toyota, Daimler, Honda oder GM forschen seit Jahrzehnten mit Brennstoffzellen (BSZ). Honda hat mit dem FCX Clarity den ersten serientauglichen Pkw auf den Markt gebracht – der allerdings nur an prominente Kunden verleast wird. Bei BMW ist die BSZ zu einem Hilfsaggregat reduziert, während Wasserstoffverbrennungsmotoren die Hauptleistung tragen. Ford und Daimler forschen mit dem kanadischen BSZ-Hersteller Ballard Power. Daimler hat die Milliardengrenze an Investitionen bereits überschritten und betreibt in Hamburg und Stuttgart Busse im Linienbetrieb, während es bei Ford erst einige 100 Millionen Euro sind.

Wasserstoff als Energiespeicher, die Probleme

Platz: Wasserstofftanks füllen oft ganze Kofferräume.
Preis: Das erste serientaugliche Modell von Honda würde offiziell rund 1,5 Mio. Euro kosten.
Mobiler Einsatz: Brennstoffzellen haben Probleme mit wechselnden Gewichtszuständen.
Startverhalten: Bei extrem hohen oder niedrigen Temperaturen kann es zu Startproblemen kommen.
Lagerung: Die H2-Speicher erfordern entweder extrem hohen Druck oder extreme Kühlung auf minus 253 Grad ("Kryotank").
Schwund: Nicht verbrauchter Wasserstoff verflüchtigt sich bei ineffektiver Kühlung nach wenigen Wochen, auch bei Stillstand.
Wasserstoffgewinnung: Regenerative Energien sind noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden, bei fossilen wie Benzin, Methanol oder Erdgas werden die Emissionen nur vom Fahrzeug fortverlagert.
Wirkungsgrad: Rund die Hälfte der Energie im Wasserstoff geht bei der Verflüssigung verloren.

Von

Jan Freitag