Es war einmal... Jedes gute Märchen beginnt mit diesem Satz. So auch das von Audi. Also: Es war einmal eine Automarke aus Sachsen, die im Krieg alles verlor und dann im Westen nackt und arm bei null anfangen musste. Dort wurde sie zum Spielball finsterer Mächte und launischer Herren, teilte sich das Bettchen gleich mit mehreren Konzernen und wurde darob krank und kränker. Da kamen eines Tages die holden Ritter Piëch und Winterkorn des Weges dahergeritten und küssten die schlafende Schönheit wach, auf dass sie aufblühe und prächtig gedeihe. Diese – zugegeben – recht frei interpretierte Fabel sollte man kennen, wenn wir vom märchenhaften Aufstieg Audis sprechen. Eine Marke, die heute zu den Topadressen der Autowelt zählt. Um wirklich zu begreifen, was da passiert ist, erzählen wir die Geschichte unseres Dauertestwagens A6 Avant 2.0 TDI. Ausnahmsweise zäumen wir den Gaul dabei mal von hinten auf. Wir springen gleich ans Ende unserer zweijährigen Reise mit dem edlen Ross. März 2014, auf dem Tacho stehen 100.396 Kilometer. Es ist der Tag, an dem ich zum letzten Mal eine längere Strecke im A6 fahre. Der Tag, an dem ich mich ganz tief verbeuge. Vor einem Auto, das offenbar die Formel der ewigen Jugend gefunden hat. Ja, will der denn gar nicht altern?
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Der Alltag eines Dauerläufers kann wirklich grausam sein

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Video: Audi A6 Avant

Riese aus Ingolstadt

Der Innenraum wirkt – fast schon arrogant selbstbewusst – unberührt wie einst im Schaufenster des Händlers. Und, das müssen Sie uns abnehmen, geschont haben wir den Burschen auf keinem Meter seiner Fahrt durch alle Jahreszeiten, vom südlichsten bis zum nördlichsten Punkt Europas, auf den unzähligen Dienstreisen mit eiligen Reportern und Fotokoffern an Bord. Der Alltag eines Dauerläufers kann schon ziemlich grausam sein, kein Testwagen darf Empathie von uns erwarten. Trotzdem perlen all die Strapazen am A6 ab, als wäre er serienmäßig mit Teflon beschichtet. Die Sitze stramm und gnädig zum Kreuz wie bei der Auslieferung, die Leder-Alcantara- Bezüge komplett ohne Stressfalten. Nix klappert, nix knarrt, und der Navimonitor surrt noch immer so präzise in seine Cockpit-Höhle zurück, als würde er den Weg das erste Mal zurücklegen. In diesem A6 steckt wirklich die Essenz der ganzen Marke. Qualität zum Anfassen, auch jenseits der Hunderttausender. Im Übrigen ein Eindruck, den unsere Leser bestätigen. Der AUTO BILD-Kummerkasten kennt aktuell keinen A6-Besitzer, der sich mit dem Typ 4G rumärgert. Und auch die Online-Foren sind meist voll des Lobes. Wer andere Erfahrungen hat: Bitte schreiben!Freilich, das Märchen von der volksnahen Mercedes-Alternative nimmt den Audianern schon lange keiner mehr ab. Auch hier scheint der Hofnarr die Aufpreislisten zu schreiben. Extras für knapp 20.000 Euro hat unser feiner Begleiter an Bord – wo denn? Man kann's kaum fassen, geschweige denn sehen. Zumal Sitzverstellung und Gänge per Handbetrieb funktionieren. Vor allem eine Automatik vermissen viele Kollegen. Recht haben sie, obwohl die sechs Gänge bis Testende präzise einrasteten und der große Wagen sich dank der Drehmomentwumme des Zweiliter-TDI ohnehin fast wie mit einer Automatik fahren ließ. Vom Diesel hörten wir überhaupt nur Gutes. Na ja: bis auf die bäuerlich-rustikale Tonlage beim Warmlaufen und die Tatsache, dass wir statt der versprochenen 177 Gäule nur gemessene 171 an Bord hatten. Ansonsten war der Vierzylinder ein zuverlässiger, ausreichend starker und auch sparsamer Geselle. Wer es locker laufen ließ, kam auf unter sechs Liter und eine Mega-Reichweite von über 1000 Kilometern. Unser Dauertestschnitt lag bei 7,7 Litern, völlig akzeptabel angesichts der vielen schnellen Autobahnkilometer.
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Auf den Wunschzettel kommen Quattro und mehr Ablagen

Audi A6 Avant
Bei nasser Fahrbahn ist der Frontantrieb schnell überfordert, Quattro wäre besser.
In einem guten Märchen darf man sich am Ende ja was wünschen. Ganz oben auf meinem Wunschzettel steht Quattro. Denn der Vorderradantrieb war bei Nässe eine Fehlbesetzung. An der Ampel zu viel Gas gegeben – schon scharrten sich die Vorderreifen 'nen Wolf. Peinlich für ein Oberklassemodell der 60.000-Euro-Liga. Wunsch Nummer zwei: mehr Ablagen, vor allem größere. Früher hatte der A6 ausgekleidete Klapptaschen in den Türen. Jetzt nur noch mickrige Minifächer. Okay, das sind Kleinigkeiten, aber manchmal entscheiden gerade die über den Kauf eines Autos. Ansonsten steuerte der A6 Avant ohne auch nur einen außerplanmäßigen Stopp auf ein grandioses Happy End zu. Null Defekte wie im Märchen – bis auf der letzten Fahrt kurz vor Ingolstadt die böse Fehlerhexe zuschlug. Die dakotagraue Kutsche röhrte plötzlich, als hätte ihr jemand einen Sportauspuff untergeschnallt. Bei der Demontage bestätigte sich schnell unser Verdacht: Die Abgaskrümmerdichtung war nicht mehr dicht. Ein Defekt, den Audi von Fahrzeugen mit sehr hoher Laufleistung kennt und dessen Reparatur rund 350 Euro kostet. Trotzdem endet unsere kleine Geschichte mit dem besten Ergebnis, das Audi je bei einem Dauertest eingefahren hat. Platz 1 in der neuen Dauertest-Rangliste, Note 1–. Und wenn er nicht gestorben ist, dann fährt er auch noch heute. Und morgen, und ...
Wie jedes Dauertest-Fahrzeug wurde auch der Audi A6 Avant nach 100.000 Kilometern fast vollständig demontiert und auf Verschleiß untersucht. Was bei der Inspektion aufgefallen ist, erfahren Sie in der Bildergalerie.

Bildergalerie

Audi A6 Avant
Audi A6 Avant
Audi A6 Avant
Kamera
100.000 Kilometer im Audi A6 Avant


Fazit

von

Tomas Hirschberger
Ein märchenhafter Dauertest. Nur ein Defekt, ganz am Ende, dazu ein paar kleine Schönheitsflecken auf der ansonsten makellos weißen Weste. Im Audi A6 Avant findet VW-Chef und Ex-Audi-Boss Winterkorn endlich die Bestätigung seiner fast schon fanatischen Mission in Sachen Qualität. Hoffentlich haben die Kunden genauso viel Glück mit ihrem A6.     

Von

Tomas Hirschberger
Manfred Klangwald