Neue Reifenregel macht Ferrari Probleme

Was faselt der Rekordweltmeister mit düsterer Miene unterm noch düsteren Himmel von Melbourne denn da? Von Lernen-müssen, daß Verlieren auch zur Formel gehöre. Fünfmal hintereinander ist Michael Schumacher seit 2000 mit Ferrari Weltmeister geworden und dann solche Texte. Klar, Schumi, der insgesamt siebenmalige F1- Champion, ist Berufspessimist. Doch dieser überraschend deutliche Erwartungsdämpfer gleich zum Start der mit erstmals 19 Rennen längsten Saison aller Zeiten, das läßt Anfang März Schlimmes ahnen für die Roten auf der fast siebenmonatigen Tour von Australien bis China.

Reifenwechsel im Rennen verboten, diese neue Regel – neben dem nun geltenden Zwei-Rennen-mit-demselben-Motor-Gesetz die wichtigste Änderung für 2006 –, sie bringt Ferrari schon im Spätsommer 2004 auf die Verliererstraße. Hintergrund: Weiche Socken auf kurzen Sprints abwetzen und sie beim Tanken gegen neue austauschen, auf diese Strategie waren die Reifen von Ferrari-Lieferant Bridgestone seit Jahren ausgelegt. 2004 hatte Schumi ja sogar einmal als bislang erster und einziger mit einer Vier-Stopp-Strategie gewonnen.

Nun also muß für 2005 der Reifen für die komplette Renndistanz (Minimum 300 km) her – und das dazu passende Auto. Beim Autobau verrennt sich Ferrari dann total. Mit dem alten, auf die neuen Regeln angepaßten Überflieger F2004 (15 von 18 GP gewonnen) ins neue Rennjahr starten, damit solide punkten und das 2005er Modell mit dem hitzeanfälligen, ultraschlanken Leichtgetriebe ganz in Ruhe zur Rennreife bringen – soweit die gewiß nicht unkluge Theorie.

Übergangsauto liefert falsche Daten

In der Praxis aber kommt unter Federführung des neuen Designverantwortlichen Aldo Costa das heraus: Beim Modifikations-Modell F2004-M mit dem nun laut neuem Reglement fünf Zentimeter höher liegenden Frontflügel geht der schwer faßbare Übermachtfaktor des Ur-F2004 verloren. Was vor allem zu falschen Infos für die Reifenentwicklung fährt.

Als der neue F2005 hektisch nach dem zweiten GP statt, wie geplant, nach dem vierten debütiert, steht Bridgestone in Bahrains Hitze im Regen. Die vom F2004-M abgeleiteten neuen Reifenkonstruktionen und Gummimischungen passen nicht zum neuen Auto. Der Schock in der Wüste ist ein schwerer.

"Ernste Gespräche", so wird der immer stärker und lauter ausgetragene Konflikt zwischen Ferrari und Bridgestone offiziell heruntergespielt. Und die japanischen Gummi-Brutzler versprechen immer wieder "völlig neue Reifen". Doch nur in Imola, wo Michael Schumacher mit dem späteren Weltmeister Fernando Alonso ernsthaft um den Sieg kämpfen kann, ist Ferrari wirklich bei der Musik.

Mißtöne läßt zumindest Schumi keine nach außen dringen. Der Mann mit dem Mega-Ehrgeiz bleibt seiner Melbourner Verlieren-lernen-Philosophie treu und gibt trotz heftig an Stolz und Ehre nagendem Frust bis zuletzt Durchhalteparolen aus, stemmt sich mit seinem nach wie vor unvergleichlichen Kampfeswillen gegen die Misere. Die nicht zu beheben ist. Weil für die einzige Rettung, ein ganz neues Auto, während der Saison einfach die Zeit und auch das Geld fehlen.

Alonso steht Schumi zur Seite

Als Verlierer mit Rückgrat ist Schumi dann doch ein Gewinner des Formel-1-Jahres 2006. Gelitten hat unter der Ferrari-Pleite allerdings sein Mythos. Mit seinem legendären, eine halbe bis eine ganze Sekunde pro Runde bringenden "Schumi-Faktor" konnte er aus seiner roten Gurke keine Siege mehr rausquetschen wie noch zu Beginn seiner Ferrari-Zeit im Jahre 1996. Doch hier steht dem entthronten der frischgekrönte neue Weltmeister artig zur Seite. "Ich habe in diesem Jahr vor allem gelernt, daß der Erfolg zum großen Teil vom Auto abhängt. Ich hatte ein sehr gutes Auto, Michael nicht." Fernando Alonso ist eben nicht nur am Steuer ein Typ von sportlicher Extraklasse.

Nerven wie Brückendrahtseile, Biß wie ein Säbelzahntiger und Grips wie ein Nobelpreisträger, diese tollen Charakterzüge des neuen Herrschers des schnellsten Zirkus' der Welt müssen auch erwähnt werden. Wie stark der "Prinz von Asturien" ist, zeigte er vor allem in den letzten beiden Rennen.

Nachdem er im drittletzten GP den Fahrertitel als jüngster F1-Pilot überhaupt eingesackt hatte, pfiff Alonso auf seine seit Hockenheim (6. Saisonsieg) verfolgte Punkte-Hamstertaktik. In Suzuka und Shanghai fuhr er volle Attacke. Erteilte Schumi in Japan auf der Außenbahn einer 320-km/h-Kurve wohl die Überhollektion seines Lebens und verpaßte dort den Sieg nur durch die miese Stoppstrategie des Teams. In China setzte "Ferni" allem endgültig die Krone auf: Mit Pole-Position und Start-Ziel-Sieg Renault auch den ersten Titel in der Konstrukteurswertung gesichert.

Was ein Auto zum Siegerauto macht, hatte Alonsos Renault R25 von seinem allerersten Meter an: Speed und Zuverlässigkeit. Jede der übers Jahr bei allen Teams üblichen Verbesserungen, ob bei Aerodynamik, Fahrwerk, Motorleistung und -elektronik, ließen die Blau-Gelben immer erst dann für Rennen zu, wenn die ihre Gleichung Speed/Zuverlässigkeit völlig zweifelsfrei nicht kippen konnten.

Exakt an diesem Punkt scheiterte Renaults einzig ernsthafter WM-Gegner McLaren-Mercedes. Deren bester Renner seit Jahren, Typ MP4-20, hatte zwar optisch wie faktisch den meisten Schwung, aber: Ihn bremste viel zu oft sein technisches Innenleben. Allem voran der Zehnzylinder-Motor aus dem Hause Mercedes. Viermal ging das bei der englischen Tochter Ilmor gebaute Triebwerk bei Kimi Räikkönen über die Wupper. Zwar nur im Training, aber diesmal wurde ein solcher Lapsus erstmals mit dem Verlust von zehn Startplätzen und entsprechend Rückstand bei Rennbeginn bestraft.

Räikkönen Weltmeister der Herzen

Doch auch Räikkönen leistete sich mehr Patzer als sein Widersacher Alonso, der bis auf seinen Mauerkuß von Montreal fehlerfrei blieb. Der Finne würgte in Melbourne auf dem Weg zur Einführungsrunde den Motor ab, verursachte in Nürburg nach Verbremser und Verzicht auf Reifenwechsel eine gebrochene Radaufhängung, drehte sich bei seiner Aufholjagd in Monza und vergeigte in Sao Paulo durch Bremsfehler das Qualifying (nur 5.) zum die Fahrer-WM vorentscheidenden Rennen.

Doch weil Kimi Räikkönen die ständigen Nackenschläge stets mit irrer Geduld und Spucke konterte und seinen neuen Teamkollegen Juan Pablo Montoya all die vielen Vorschußlorbeeren mit 7:3 Siegen und 13:4 Qualifikationsduellen um die Ohren gehauen hat, verdient er neben dem Vize-Titel auch den des Weltmeisters der Herzen.

Die Überraschungsplakette gebührt in diesem Jahr Toyota. War mancher Startplatz in Reihe eins auch nur mit wenig Sprit im Tank "erkauft", die am Ende zweiten Plätze von Sepang und Sakhir können sich sehen lassen. Und was das japanische 1000-Mann-Team aus Köln-Marsdorf ständig an neuem Geflügel auf seine Renner pflanzte, war enorm. Tabellenenrang vier hinter Renault, McLaren-Mercedes und Ferrari war der Lohn.

Ein Ende mit Schrecken erlebte nach sechs Jahren die Ehe BMW-Williams: Teamplatz fünf, schlechter denn je. Der erbitterte Streit um vermurkste Aerodynamik, verfälschte Elektronikdaten und verlorene Motorleistung macht die Scheidung aber beiden leicht. Gewinner im blau-weißen Dauerzwist war nur Nick Heidfeld: statt Karriereende nach Jordan 2004 Stammplatz bei BMW-Williams mit P2 in Monte Carlo und Pole in Nürburg. Und ab 2006 quasi mit Rentenvertrag im neuen BMW-Werksteam.

Noch einen WM-Rang schlechter schnitt BAR-Honda ab. Die letztjährigen Vize-Champs wurden nach Tankbetrug zwei GP gesperrt, und auch bis zu 970 Rekord-PS von Honda konnten nix mehr retten. Wenig trösten dürften Michelin seine ersten gewonnenen WM-Titel seit dem F1-Wiedereinstieg 2000. Wegen seiner in Indianapolis nicht haltenden Reifen (nur die sechs Bridgestone-Autos am Start) verloren die Franzosen viel mehr Image. Und die Regelmacher wollen nun Einheitsreifen von Bridgestone.

Weitere Gewinner 2005

Weitere Gewinner der Saison 2005:

• Jarno Trulli Bei Renault Ende 2004 als psychologische Bedrohung für den scheinbar mehr Zukunft bietenden Fernando Alonso abgeschoben, überzeugte der Italiener bei Toyota auf ganzer Linie: zwei zweite Plätze gleich zu Beginn (Malyasia, Bahrain), dann noch eine Pole-Position (USA) und am Ende Siebter der Fahrer-WM. Die Geburt von Sohn Enzo mag für viel alten Frust entschädigt haben. Was Trulli aber nach wie vor nervt: Er verdient mit rund acht Millionen Jahresgage fast nur halb soviel wie Teamkollege Ralf Schumacher, den er dieses Jahr ganz klar am Lenkrad überstrahlte.

Red Bull Österreichs erfolgreicher Brauer von Aufputschbrause hat die Übernahme des nie überzeugenden Jaguar-Teams sensationell genutzt. Sportlich mit Platz sieben in der Konstrukteurswertung, vor allem aber showmäßig. Das größte Catering-Zentrum, die heißesten Boxenluder und neue Promotionwege wie der Auftritt der Stars des neuen "Star Wars"-Films in Monte Carlo oder die Fahrerlager- Gazette "Red Bulletin", all das brachte den im F1-Zirkus so dringend nötigen frischen Wind. So verlieh Red Bull der GP-Szene getreu seines weltberühmten Werbemottos tatsächlich Flügel.

David Coulthard Nach neun Jahren McLaren-Mercedes sah sich der Schotte Ende 2004 selbst schon am Schluß seiner Formel-1-Zeit. Doch Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz wußte nach einem Telefonat: Das ist zum Aufbau genau mein Mann. In der Qualifikation weiter mit Schwächen, brachte "DC" sonst all sein Wissen und Können so gut ein, daß er 2006 noch mal als "roter Bulle" mitfahren darf. Und dann kann er – ganz anders als bei McLaren – erneut mit dem Rasieren geizen. Die Damenwelt wird's dem endlich auch äußerlich wilden Macho-Mac danken.

Felipe Massa 12:7 das Qualifikationsduell gegen Teamkollege Jacques Villeneuve gewonnen. Und für 2006 vom Sauber zum Ferrari-Piloten befördert. Für den Brasilianer, der mit langsamen Kurven und mit dem Abstimmen des Autos so lange seine liebe Müh hatte, ein für viele Beobachter überraschender Erfolg.

Peter Sauber Zum richtigen Zeitpunkt aufhören, das schaffen im Leben die allerwenigsten. Doch der Schweizer Peter Sauber war schon immer anders. Seinen Rennstall nun nach 38 Jahren (davon 13 in der F1) mehrheitlich an BMW zu verkaufen, das paßt zu seinen vielen weisen Entscheidungen. Doch "PS" wird trotz seiner 62 Jahre garantiert ein Un-Ruheständler.

Weitere Verlierer 2005

Weitere Verlierer der Saison 2005:

Juan Pablo Montoya Lisa Dennis, die Gattin des McLaren-Teamchefs Ron, ist eine schöne und kluge Frau: "Mit dem Typen wird mein Mann viel Ärger haben", hat sie über Juan Pablo Montoya gesagt. Und genauso kam es. Erst brach sich der hitzköpfige Kolumbianer beim unerlaubten Motocrossfahren eine Schulter – aus Versicherungsgründen offiziell als Tennisunfall deklariert – und fiel zwei Rennen (Bahrain, San Marino) aus.

Dann wurde "Monty", wie sie ihn im Team nennen, Opfer seines tückischen Fehler-Wut-Trotz-Kreislaufs. Der heizte sich so auf, daß "JPM" nach all seinen Patzern ohne Fremdbeteiligung schließlich Kollisionsobjekte wie ein Magnet anzog, wie zuletzt Villeneuve und einen Kanaldeckel in Japan und China. Den bei den Silbernen so hochgehaltenen Teamgeist, von Häkkinen/Coulthard einst nahezu perfekt zelebriert, trat der egozentrische Sonderfall aus Südamerika bei fast jeder Chance mit Füßen: "Ich bin hier, um für MICH zu gewinnen!" Nicht nur zwei sichere Doppelsiege gingen so zum Teufel. Wenn der eitle Ron Dennis dieses unreife Früchtchen anders als die anderen Montoya-Teamchefs bisher noch hinkriegt, dann alle Achtung!

Giancarlo Fisichella Der Italiener ist auch ein fast hoffnungsloser Fall. Die Verantwortung für sein erfolgloses Renault-Schicksal neben Weltmeister Alonso schiebt er wie viele Verlierertypen gern dem Phänomen Pech zu. Ein Michael Schumacher hätte den GP Japan jedenfalls nicht noch in der letzten Runde gegen Kimi Räikkönen – oder wen auch immer – verloren.

Jenson Button Ende 2004: Lieber Williams als BAR. Jetzt: 2006 lieber BAR als Williams. Der Brite hat dies Jahr noch mehr Glaubwürdigkeit verloren. Und konnte sportlich weniger dagegensetzen als 2004. Statt WM-Dritter wurde er diesmal Neunter.

Takuma Sato Der Japaner ist und bleibt im Formel-1- Auto überfordert. Seine Abschüsse von Schumi (Belgien) und Trulli (Japan) waren der erneute Beweis. Doch solange ihn Honda als Werbefigur braucht ...

Ralf Schumacher Klare Sache: Im Quali-Duell 3:15 Teamkollege Trulli unterlegen. Weil der zum Untersteuern neigende 05er Toyota nicht zum Übersteuer-Fahrstil der Schumis paßte. Im Kölner Team beliebt und als Entwickler geschätzt, doch "Ralles" Ruf eines Champions in spe hat gelitten.

Zuschauer Den peinlichen US-GP mit nur sechs Autos mal außen vor: Für zuviel Eintrittsgeld gab's wieder zuwenig tolle Show!