Autodiebstahl: Keyless Go, Mercedes GLE, Tiefgarage
Keyless Go öffnet Klau-Mafia alle Türen

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Jetzt trifft es auch Mehrfamilienhäuser! Familie Çaki wurde aus der Tiefgarage ein Mercedes ML gestohlen. Die Diebe haben das Keyless Go überwunden.
Bild: Holger Karkheck
Sie waren im Herbst extra vom trubeligen St. Pauli in einen Hamburger Nobel-Vorort gezogen. "Weil es uns hier sicherer erschien", sagt Samet Çaki (21). Mit teurem Tiefgaragen-Stellplatz, damit auch die Autos der Familie geschützt waren. Und dann verschwand eines Nachts ihr Mercedes ML 350 CDI, Baujahr 2012, Ausstattung "volle Hütte". Edition 1, AMG-Sportpaket, Nappa-Leder. Zeitwert: etwa 32.000 Euro. Aus ebendieser vermeintlich sicheren Tiefgarage! Jetzt lebt Familie Çaki in Angst. "Meine Mutter traut sich nicht mehr allein in die Garage", sagt Samet.
Familie Çaki glaubt, dass sie ausspioniert wurde. Dass ihnen jemand gefolgt ist, der auf Bestellung geklaut hat. Wie derjenige das Fahrzeug entwenden konnte? Unklar. Beide Schlüssel lagen in der Wohnung. Vermutlich haben die Diebe das schlüssellose Zugangssystem (bei Mercedes Keyless Go genannt) überwunden und sind dann unerkannt aus der Garage gefahren. Für die Zufahrt benötigt man einen Schlüssel oder Transponder. Aber raus geht's ohne.(Katalysator-Diebstähle nehmen zu)
Sieben von zehn geklauten Autos SUVs
Dass es ihren ML getroffen hat, ist statistisch gesehen kein Wunder. Inzwischen sind sieben von zehn geklauten Autos SUV. Und Hamburg liegt unter den Großstädten auf Platz 2 der Diebstahl-Hochburgen (mit großem Abstand nach Berlin). Zwar kann man bei vielen Mercedes-Modellen das Keyless Go durch zweimaliges Drücken auf den Schlüssel deaktivieren. Aber wer macht das im Alltag?

Das massive Tiefgaragentor lässt sich nur per Schlüssel oder Transponder öffnen. Die Diebe sind offenbar einem anderen Fahrzeug gefolgt.
Bild: Holger Karkheck
Ende des Jahres hat der ADAC bei 486 Pkw und Motorrädern getestet, wie leicht sich das jeweilige Zugangssystem überwinden lässt. Ergebnis: Nur 21 Fahrzeuge konnten nicht geknackt werden. Mit wenig Aufwand lasse sich so das Schlüsselsignal um Hunderte von Metern verlängern, heißt es vom ADAC. "Sie müssen sich nur mit einem kleinen Gerät in die Nähe des Auto- oder Motorradschlüssels begeben – und mit einem zweiten Gerät in die Nähe der Autotür." Schon gehe sie auf, und auch Wegfahren sei möglich.
Täter versuchen Signale abzufangen
Dass der Trick vor Einfamilienhäusern funktioniert, wo zwischen Auto und Autoschlüssel oft nur kurze Distanzen liegen, ist seit Jahren bekannt. Aber Tiefgaragen in großen Mehrfamilienhäusern? "Täter laufen auch durch Treppenhäuser von Mehrfamilienhäusern und versuchen, an den Wohnungstüren Signale abzufangen", warnt Peter Holmstoel vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV).
Zwar ist im Haus der Familie Çaki der Zugang zwischen Garage und Haus durch abschließbare Türen geschützt. Aber wer geschickt ist, schlüpft einfach mit durch, wenn ein Bewohner die Tür aufschließt.
Die Çakis stammen aus der Ost-Türkei. Vater Selami wuchs in armen Verhältnissen auf, hatte zu Hause nur einen weißen Esel. Also schwor er sich, sollte er es in Deutschland zu etwas bringen, einen ebenso weißen Mercedes zu kaufen. 1994 kam der Kfz-Elektriker nach Hamburg, machte sich hier 2000 mit einer Meisterwerkstatt selbstständig, sparte, belohnte sich schließlich mit dem weißen ML. Und nannte ihn: weißer Esel. "Wir sind damit oft in den Urlaub in die Türkei gefahren", sagt sein Sohn Samet, der nach dem Abitur inzwischen im elterlichen Betrieb arbeitet. "Wenn wir damit vorfuhren, haben die Leute gestaunt." Er habe seinen Vater noch nie so traurig gesehen wie nach dem Diebstahl.
Funkwellen: Kochtöpfe bieten Schutz
Schutz bieten, salopp gesagt, Kochtöpfe. Wird ein Keyless-Go-Schlüssel darin aufbewahrt, können die Funksignale nicht mehr abgefangen werden. Formschöner sind spezielle Schlüsselboxen, die Funkwellen abschirmen – gibt es zum Beispiel für knapp 20 Euro bei Amazon. Für Familie Çaki kommt der Tipp zu spät. Sie geht davon aus, dass ihr weißer Mercedes längst im Ausland ist. "Vielleicht Litauen oder Polen. Vielleicht in Einzelteilen oder als ganzes Auto", sagt Samet.

Besitzer Selami Çaki mit seinem gestohlenen ML 350 CDI, Edition 1, AMG-Paket.
Bild: Holger Karkheck
Inzwischen steht ein neuer GLE 400 d auf dem Parkplatz. Die Versicherung hat den Schaden ersetzt, aber aus Sicht von Familie Çaki weniger Geld gezahlt, als eine Neubeschaffung gekostet hätte. Dafür sei ihr Auto zu besonders gewesen.
Abgesehen vom materiellen Schaden bleibt bei den Çakis ein mulmiges Gefühl. "Was wäre passiert, wenn ich etwas im Auto vergessen hätte und noch mal zurückgegangen wäre?", sagt Sohn Samet. "Bei mir läuft bis heute das Kopfkino."
Citroën, Skoda, Seat und Opel wurden am seltensten geklaut
Die gute Nachricht, wenn auch nicht für die türkische Familie: Opfer eines Kfz-Diebstahls wird man in Deutschland immer seltener. Wurden 1994 noch fast 105.000 Autos entwendet, waren es 2020 lediglich 10.697. Allerdings stieg der Schaden pro Fall: "Erstmals mussten die Versicherer für einen Diebstahl im Durchschnitt mehr als 20.000 Euro zahlen", sagt die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach.
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